Kulturkampf in den USARücktritt von Harvard-Präsidentin hinterlässt bitteren Nachgeschmack

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ARCHIV - 25.05.2023, USA, Cambridge: Claudine Gay, damalige Dekanin der Fakultät für Künste und Wissenschaften der Harvard-Universität, spricht während der Eröffnungszeremonie auf dem Campus der Schule. Nach nur rund sechs Monaten im Amt tritt die Präsidentin der US-Elite-Universität Harvard, Claudine Gay, zurück. Foto: Steven Senne/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Nach nur rund sechs Monaten im Amt tritt die Präsidentin der US-Elite-Universität Harvard, Claudine Gay, zurück. Foto: Steven Senne/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Harvard-Präsidentin Claudine Gay bot ihren Kritikern reichlich Angriffsfläche. Aber im Hintergrund tobt ein Kulturkampf. 

Am Ende war der Rücktritt nur noch eine Frage der Zeit. Immer neue Vorwürfe, offene Kritik von Kollegen und der Boykott bedeutender Geldgeber hatten den Wechsel an der Spitze der renommierten Harvard-Universität unausweichlich gemacht. Am zweiten Tag des neuen Jahres zog Claudine Gay, die Präsidentin der Elite-Hochschule, die Konsequenz: „Mit schwerem Herzen“, so schrieb die 53-jährige Afroamerikanerin in einer zweiseitigen Erklärung, räume sie den prestigeträchtigen Posten.

Damit geht ein Drama zu Ende, das für die Öffentlichkeit mit verstörenden antisemitischen Vorfällen auf dem Campus nach der Hamas-Attacke auf Israel vom 7. Oktober begann, bei genauerem Hinsehen aber deutlich mehr Ebenen hat. Gay selber sieht sich als Opfer „rassistischer Feindseligkeiten“. Tatsächlich feierte der ultrarechte Talkshow-Moderator Josh Hammer den „großen Skalp“ im „Kampf für die Reinheit der Zivilisation“.

Harvard: Kampagne von Trump-Republikanern gegen Gay

Auch gab es zuletzt eine regelrechte Kampagne von Trump-Republikanern gegen die Präsidentin. Ihre Äußerungen zum Antisemitismus hatten aber auch massive Kritik liberaler Beobachter hervorgerufen, und jüngste Enthüllungen nähren ernste Zweifel an ihrer wissenschaftlichen Qualifikation. Die Rolle reicher Geldgeber im Hintergrund berührt zudem die sensible Frage der Meinungsfreiheit an Amerikas Top-Universitäten.

Massiv in die öffentliche Kritik geriet Gay durch ihren mehr als missglückten Auftritt bei einer Anhörung des Kongresses am 5. Dezember. Zuvor hatte es antisemitische Proteste in Harvard gegeben, die Gay nach Meinung ihrer Kritiker unzureichend verurteilt hatte. Die republikanische Abgeordnete Elise Stefanik, die gegen den linken „Wokeismus“ an Hochschulen kämpft und sich Hoffnungen auf das Vizepräsidentin-Amt einer möglichen Trump-Regierung macht, stellte dort die gezielte Frage, ob der Aufruf zum Völkermord an Juden „gegen die geltenden Richtlinien“ der Universität zu Mobbing und Belästigung verstoße. „Das kann sein, abhängig vom Kontext“, antwortete Gay.

Mutmaßlich hatten Juristen diese Erwiderung mit Blick auf die in den USA hochgehaltene Redefreiheit gedrechselt vorformuliert. Politisch war sie eine Katastrophe und verstärkte den Eindruck, dass die Tochter haitianischer Einwanderer keine klare Haltung gegen Antisemitismus einnehme. Rund 1600 ehemalige Harvard-Studenten protestierten und kündigten an, ihre finanzielle Unterstützung der Alma Mater zurückzuhalten. Der aggressive Hedgefonds-Milliardär Bill Ackman, der seiner Hochschule viele Millionen gespendet hatte, startete eine Kampagne zum Sturz der Präsidentin.

Kurz zuvor schon waren zudem – zunächst von ultrarechten Aktivisten - Plagiatsvorwürfe gegen Gay erhoben worden, deren wissenschaftliche Veröffentlichungsliste mit lediglich elf Zeitschriftenartikeln und keinem einzigen Buch bemerkenswert kurz ist. Angeblich waren in der Dissertation und drei dieser Artikel Formulierungen anderer Wissenschaftler verwendet worden, die nicht als Zitat gekennzeichnet waren. Die Harvard-Universität beauftragte vertraulich eine Rechtsanwaltskanzlei, die dem Boulevardblatt „New York Post“ für diese Darstellung mit einer Schadenersatzforderung drohte. Öffentlich wurden von der Hochschule später Flüchtigkeitsfehler eingeräumt, die aber ohne Absicht unterlaufen seien.

Claudine Gay: Kein doppelter Standard

Als sich die Vorwürfe vor dem Jahreswechsel mehrten, meldete sich der renommierte Linguist John McWhorter in der „New York Times“ zu Wort. McWhorter ist schwarz wie Gay, wertet die angeblichen Plagiate eher als Unordentlichkeiten denn als absichtlichen Diebstahl geistigen Eigentums, hält sie angesichts ihres Umfangs aber für inakzeptabel: Studenten würden für jeden einzelnen dieser Fehler zur Rechenschaft gezogen, argumentierte er. Sie müssten das Gefühl doppelter Standards haben. Zudem warnte er vor dem Eindruck, dass es einen wissenschaftlichen Bonus für Afroamerikaner gebe. „Warum Claudine Gay gehen sollte“, überschrieb er seine Kolumne.

Das hat die Harvard-Präsidentin nun getan. In ihrer Erklärung zeigt sie sich „erschüttert, dass Zweifel an meinem Engagement aufgekommen sind, Hass entgegenzutreten und wissenschaftliche Sorgfalt aufrechtzuerhalten“. Die rechte Abgeordnete Stefanik triumphierte derweil bei X (ehemals Twitter),  dies sei erste der Anfang ihrer Enthüllung „der Verrottung unserer höchst angesehenen Bildungseinrichtungen“. Ihr Versprechen („Ich werde immer Ergebnisse liefern“) klingt wie eine Drohung.

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