700 Fälle ohne ErklärungObama zu UFO-Sichtungen: „Es gibt keine einfachen Antworten“

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Vier fliegende ´Objekte» über der Stadt Salem wurden von einem Kameramann der amerikanischen Küstenwache 1952 beobachtet.

Washington – Der Pazifische Ozean lag ruhig vor dem Flugzeugträger USS Nimitz, als Alex Dietrich mit ihrem Kampfjet über die nicht einmal hundert Meter kurze Startbahn in den Himmel schoss. Rund 100 Meilen südwestlich von San Diego nahm die junge Leutnantin an einem Flugtraining teil. Hinter der damals 24-jährigen Kalifornierin in ihrer F/A-18F saß ein Waffentechniker. Der Kommandeur ihrer Einheit, David Fravor, flog mit seinem Co-Piloten voraus. Dietrich und Fravor hatten an diesem Novembertag einen besonderen Auftrag: Der Radarschirm eines anderen Marineschiffes hatte in der Gegend ein merkwürdiges Teil angezeigt, das sekundenschnell rund 25 Kilometer vom Himmel in Richtung Meer zu stürzen schien. Als sich die Piloten dem Ort des mutmaßlichen Phänomens näherten, fiel ihnen zunächst das plötzlich wild aufgewühlte Meer auf.

Tic-Tac-Förmiges Objekt auf dem Ozean

Dann sahen sie laut ihren übereinstimmenden Schilderungen ein Objekt mit der Form eines Tic-Tac-Pfefferminzdragees und der Größe ihrer eigenen Flugzeuge, das mit rasender Geschwindigkeit erratisch mal nach vorne, mal nach hinten, mal nach rechts und mal nach links über das Wasser schoss.

„Es sprang völlig unberechenbar von Punkt zu Punkt“, berichtete Dietrich später: „Mein Kopf versuchte zu verstehen: Ist das vielleicht ein Hubschrauber? Oder vielleicht eine Drohne?“. Doch ehe ihre Synapsen die Szene auch nur halbwegs erfassen konnten, war das mysteriöse Etwas verschwunden.

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Begegnung gemeldet, trotzdem passierte nichts

Fast 17 Jahre liegt der Vorfall nun zurück. Dietrich und Fravor meldeten die Begegnung der dritten Art sofort ihren Vorgesetzten. Ihre Schilderung wurde von den beiden Co-Piloten bestätigt. Nicht nur das: Bereits Sekunden nach dem mutmaßlichen Rendezvous mit den beiden Kampfjets wurde das Riesen-Tic-Tac 60 Meilen entfernt erneut von einem Marineschiff auf dem Radar geortet.

Einem weiteren Piloten gelang es, mit der Infrarot-Zielkamera seiner Maschine ein Video aufzunehmen. Trotzdem passierte in der Zeit danach nichts. Niemand im Pentagon schien sich für den Vorfall zu interessieren: Unbekannte Flugobjekte (Ufo) galten dort seit Ende der 1960er Jahre als „irrelevant“.

Pentagon verpflichtet, UAP-Bericht zu veröffentlichen

Doch seit neuestem ist Dietrich schlagartig ein Star. Die inzwischen 41-jährige Mutter dreier Kinder, die nach Kampfeinsätzen im Irak und in Afghanistan zur Ausbilderin an der Marine-Akademie in Annapolis aufgestiegen ist, kann sich vor Medienanfragen kaum retten, seit sie Mitte Mai in dem renommierten amerikanischen TV-Magazin „60 Minutes“ auftrat und kurz danach von CNN-Starmoderator Anderson Cooper interviewt wurde. Regelrecht „surreal“ komme ihr das neuerdings erwachte Interesse vor, gestand sie dort mit sympathisch offenem Lächeln: „Ich wollte nie im Fernsehen sein.“

Der Grund für die plötzliche Aufmerksamkeit verbirgt sich kurioserweise im ersten Corona-Hilfspaket, das der US-Kongress im vorigen Dezember beschloss. Buchstäblich in letzter Minute hatten republikanische und demokratische Kongressabgeordnete in das voluminöse Gesetzespaket eine Bestimmung eingefügt, die die Geheimdienste und das Pentagon innerhalb von 180 Tagen zur Vorlage des ersten nicht-geheimen Berichts über Sichtungen sogenannter „unidentified aerial phenomena“ (UAP), also unbekannter Phänomene in der Luft, verpflichtet. Ende Juni läuft die Frist für die Übergabe des Reports ab.

Ufos 1947 in Washington gesichtet

Entsprechend groß ist die Spannung in Washington. Selbst wenn das Schriftstück nicht mehr als eine Liste teilweise schon bekannter, unerklärlicher Begegnungen enthalten sollte, markiert seine offizielle Anforderung und Vorlage einen Kurswechsel im Umgang der US-Regierung mit einem alten Phänomen.

Mysteriöse Himmelserscheinungen faszinieren schon seit Jahrhunderten die Menschheit. Die neuere Geschichte der Ufos beginnt im Jahr 1947, als der Hobbypilot Kenneth Arnold nahe des Mount Rainier im Bundesstaat Washington neun bumerangförmige Luftobjekte mit anderthalbfacher Schallgeschwindigkeit gesehen haben will, die er mit „fliegenden Untertassen“ verglich. Seither zieht die Vorstellung unerklärlicher, möglicher außerirdischer Aktivitäten an unserem Himmel leidenschaftliche Ufologen und verrückte Verschwörungstheoretiker in ihren Bann. Die Politik aber hat das Thema bislang eher belächelt.

Dietrich für Erfahrung verspottet

Das liegt möglicherweise auch an der Faszination, die Ufos auf die Popkultur und auf Hollywood ausüben, wo sie ein ganzes Genre von Science-Fiction-Filmen speisen. Mal wird ein Außerirdischer von seinen Artgenossen nach ihrer überstürzten Abreise irrtümlich auf der Erde zurückgelassen wie in dem Kinohit „E.T.“. Mal bomben Angreifer aus dem All mit ihren fliegenden Untertassen die halbe Welt in die Apokalypse wie in „Independence Day“. Oder es werden Besucher aus anderen Galaxien von Geheimorganisationen auf der Erde eingeschleust wie in „Men in Black“.

Von wilden Fantasien ist die ebenso ehrgeizige wie bodenständige Stabsoffizierin Dietrich weit entfernt: „Wir haben einfach etwas gesehen, das sich nicht erklären lässt“, betont sie nüchtern. Trotzdem wurde sie nach ihrem Erlebnis im November 2004 zum Ziel des Kameradenspotts. Im Fernsehkanal der USS Nimitz liefen plötzlich Science-Fiction-Filme, auf den Tischen des Flugzeugträgers standen Aluhüte, und die Bordzeitung druckte eine Ausgabe mit grünen Männchen. Nach ihrem späteren Wechsel an die Marine-Akademie sprach Dietrich das Thema nur noch selten an. „Ich wollte nicht der Ufo-Freak werden“, sagte sie der Washington Post.

700 Fälle ohne Erklärung

Das entsprach durchaus der offiziellen Linie des Pentagon. Im Verteidigungsministerium hatte es zwar interne Arbeitsgruppen zu den regelmäßigen Ufo-Sichtungen durch Militärangehörige und Zivilisten gegeben: Das „Blue Book“-Projekt listete von 1952 bis 1969 mehr als 12.000 Berichte auf. Die große Mehrzahl beruhte auf Täuschungen, Irrtümern oder Falschaussagen. Tatsächlich entpuppen sich vermeintliche Flugobjekte oft als Planeten, Wetterballons, Raketen, Lichtreflexionen oder Polarlichter. Doch für 700 Fälle fand sich keine Erklärung. Trotzdem urteilten die Militärs, das Problem sei irrelevant. Fortan hieß es regierungsamtlich, jede Beobachtung könne konventionell hergeleitet werden.

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Das unbekannte Objekt, das auf einem der drei jüngst deklassifizierten Videos zu sehen ist.

Doch am 17. Dezember 2017 änderte sich die öffentliche Debatte in den USA. Da enthüllte die renommierte New York Times auf ihrer Titelseite ein Geheimprogramm des Verteidigungsministeriums zur „Identifizierung fortgeschrittener Bedrohungen im Weltraum“, das 2008 auf Betreiben vor allem des späteren demokratischen Mehrheitsführers im Senat, Harry Reid, gestartet worden war, um unbekannte Flugobjekte oder -phänomene zu erfassen und untersuchen. Die Informationen der Zeitung stammten offenbar vom langjährigen Leiter des Programms, Lue Elizondo, der aus Frust über mangelnde Unterstützung von oben kurz zuvor gekündigt hatte.

Drei Marine-Videos von Ufos freigegeben

Vor seinem Abgang aber hatte der Geheimdienstoffizier noch drei Marine-Videos deklassifizieren lassen, auf denen Objekte zu sehen sind, die mit hoher Geschwindigkeit den Regeln der Physik zu trotzen scheinen. Zwei wurden 2015 an der Ostküste der USA aufgenommen. Bei dem dritten handelt es sich um die eine Minute und 16 Sekunden lange Aufnahme des „Tic Tac“ vor San Diego von 2004.

Was aber steckt hinter diesen Sichtungen? Wenn es sich nicht um Naturphänomene oder Sinnestäuschungen handelt, scheinen die möglichen Erklärungen ebenso begrenzt wie abstrus: Geheime US-Aufklärungsdrohnen? Spionageflieger aus China oder Russland? Oder doch Objekte mit außerirdischer Herkunft? „Ich weiß, dass das verrückt klingt“, gestand Elizondo kürzlich in einem TV-Interview: „Aber es ist real.“

Obama zu Ufos: Es gibt keine einfachen Antworten

Die Investigativjournalistin Leslie Kean, die den Bestseller „UFOs“ schrieb, rät in ihrem 2010 erschienenen Buch zu einer agnostischen Herangehensweise: „Wir wissen die Antwort noch nicht.“ Die Vorstellung von den „kleinen grünen Männchen“ habe die Debatte vergiftet. Aber nur, weil man nicht glaube, dass fremde Raumschiffe an unserem Himmel herumfliegen, könne man „nicht Informationen leugnen, die die Anwesenheit von irgendetwas belegen“.

Eine ähnliche Sichtweise macht sich inzwischen auch in Teilen der amerikanischen Politik breit. Seit neuestem hat sie einen prominenten Unterstützer: Barack Obama. Der Ex-Präsident wurde vor zwei Wochen bei einem launigen Auftritt in der populären CBS-„Late Show“ scherzhaft auch zur Existenz von Außerirdischen befragt.

„Da gibt es einiges, was ich hier nicht offen sagen darf“, hob der Ex-Präsident zunächst ironisch an. Das Publikum lachte. Doch plötzlich änderte Obama seinen Ton: „Was aber wahr ist – und das meine ich ernst: Es gibt Aufnahmen von Objekten am Himmel, von denen wir nicht wissen, was sie sind.“ Ausdrücklich setzte er hinzu: „Es gibt keine einfachen Antworten.“

Auf ein solches Eingeständnis von hoher Stelle hat Ex-Navy-Pilotin Alex Dietrich lange gewartet. Am Tag nach der Sendung stellte sie das Video mit der Interviewsequenz in ihren Twitter-Kanal. Freudig zustimmend schrieb sie nur einen Begriff dazu: „Commander in Chief“ (Oberbefehlshaber).

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