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Russlands perfider PlanWie Putins Angriffe auf ukrainische Infrastruktur gescheitert sind

Lesezeit 4 Minuten
Hennadiy Mazepa und seine Frau Natalia Ishkova sammeln Holz aus einem Haus, das von russischen Truppen in Tschassiw Jar zerstört wurde.

Hennadiy Mazepa und seine Frau Natalia Ishkova sammeln Holz aus einem Haus, das von russischen Truppen in Tschassiw Jar zerstört wurde.

Aktuell zeigt sich besonders deutlich, wie Kremlchef Putin eines seiner wichtigsten Kriegsziele verfehlt hat – auch dank deutscher Hilfe.

Wenn man in der südukrainischen Stadt Mykolajiw den Hahn aufdreht, kommt Salzwasser. Es zerstört die Kanalisation, ist tödlich für Wasch- und Spülmaschinen, trinkbar ist es schon gar nicht. „In keiner anderen Stadt der Welt fließt Salzwasser durch die Rohre“, sagt Wadim Danilkiw, Chef des regionalen Stromversorgers Mykolaivoblenergo, der das katastrophale Problem gern abstellen würde. Eigentlich könnte die Stadt mit ihren einst rund 500.000 Bewohnerinnen und Bewohnern problemlos Trinkwasser bekommen – wie früher. Wären da nicht die russischen Besatzer im Land.

Mykolajiw liegt auf einer Halbinsel zwischen den Flüssen Südlicher Bug und Inhul, die dort zusammenfließen und sich ins Schwarze Meer ergießen. Auf der Höhe der Stadt ist das Flusswasser schon salzig. Trinkwasser hat Mykolajiw daher bis zur russischen Invasion vor gut einem Jahr aus dem Fluss Dnipro im Südosten bekommen. Als sich die russischen Truppen im November vom rechten Dniproufer zurückzogen, zerstörten sie die Transformatorenstation, mit deren Hilfe das Wasser in die höher gelegene Stadt gepumpt wurde. Am linken Dniproufer sitzen die Russen weiterhin.

„Lieber kein Strom, keine Heizung und kein Wasser, als unter russischer Besatzung zu leben.“
Danilkiw (48)

Danilkiw (48) sagt, seine Reparaturtrupps gerieten jedes Mal unter Beschuss, wenn sie probierten, die Trafostation zu reparieren. Die Russen legten es darauf an, die Zivilistinnen und Zivilisten in der Stadt vom Trinkwasser abzuschneiden. Die Bewohnerinnen und Bewohner müssten sich daher mit einem notdürftig gefilterten Mix aus Grundwasser und salzigem Flusswasser behelfen. Zwischenzeitlich habe Mykolajiw eineinhalb Monate lang gar kein fließendes Wasser gehabt. „Aber lieber kein Strom, keine Heizung und kein Wasser, als unter russischer Besatzung zu leben.“

Trinkwasser fließt in Mykolajiw nicht wieder durch die Leitungen, Strom gibt es aber. Mit Luftangriffen auf die Infrastruktur in ukrainischen Städten versucht der russische Präsident Wladimir Putin seit Monaten, die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Elektrizität, Wasser und Wärme zu kappen. Er wollte die Ukrainerinnen und Ukrainer damit im Winter in die Knie zwingen, indem er sie dem Kältetod aussetzte. Zu Frühlingsbeginn zeigt sich, dass auch dieser perfide Plan nicht aufgegangen ist.

Reparaturtrupps mussten bei russischem Beschuss improvisieren

Mykolajiw wurde von den Angriffen besonders schwer getroffen. „Die Situation hier war schlechter als in anderen Städten“, sagt Danilkiw. Bis auf vier Kilometer waren die russischen Truppen an die Stadtgrenze von Mykolajiw herangerückt, rund 20 Prozent des gleichnamigen Verwaltungsbezirks (Oblast) hatten sie besetzt.

Die Stadt wurde von den Russen mit Artillerie beharkt. Früher seien zudem jeden Tag zehn bis 20 Raketen auf Mykolajiw niedergeregnet, sagt der Konzernchef. Ständig seien seine Reparaturtrupps draußen gewesen, um Schäden zu beheben. „Jeden Tag wurden sie beschossen.“ Die Trupps hätten improvisieren müssen: Wegen der Gefahren seien Fachleute nicht nach Mykolajiw gekommen, Ersatzteile seien nicht geliefert worden.

Schäden, die behoben werden müssen, sind immer noch gigantisch

Während der schweren Angriffe habe der längste Stromausfall in der Stadt eineinhalb Tage gedauert, sagt Danilkiw. „Die Situation war sehr schwierig.“ Lange Zeit habe man die Elektrizität rotierend in verschiedenen Vierteln über jeweils mehrere Stunden pro Tag abschalten müssen. Seit Kurzem laufe die Versorgung aber ohne Ausfälle. Und das, obwohl in Mykolajiw Tag für Tag mehr Elektrizität verbraucht werde – weil die Menschen, die geflohen sind, langsam zurückkehrten. Jetzt gebe es noch alle zwei, drei Wochen einen Raketenangriff. „Aber der Winter ist fast vorbei.“

Für die Reparaturtrupps gibt es trotzdem jede Menge zu tun. In den befreiten Gebieten im Oblast Mykolajiw seien nach dem Abzug der russischen Truppen im November 88 Orte mit rund 40.000 Haushalten ohne Strom gewesen, sagt Danilkiw. Jetzt seien nur noch drei dieser Orte ganz ohne Elektrizität. Die Schäden, die behoben werden müssen, sind allerdings immer noch gigantisch. Olexandr Mohiliuk, Vizedirektor für Hochspannungsleitungen bei Mykolaivoblenergo, schätzt, dass die Reparaturen für die Notversorgung noch ein halbes Jahr andauern werden.

Russen plünderten und ließen dafür Minen zurück

„Um den Zustand vor der Invasion herzustellen, werden wir fünf, sechs Jahre brauchen.“ Nicht nur sind Überlandleitungen und Trafostationen bei den heftigen Gefechten in der Region beschädigt oder zerstört worden. Die russischen Truppen haben beim Abzug zudem geplündert. „Was sie mitnehmen konnten, haben sie mitgenommen“, sagt Danilkiw.

Sein Kollege Mohiliuk sagt, vor allem auf Kupferdraht hätten es die Besatzer abgesehen gehabt. Zurückgelassen haben die Russen dafür etwas anderes: Minen und Sprengfallen. Nichts gefährde seine Kollegen draußen mehr, sagt Danilkiw. Vor Kurzem erst sei ein Mitarbeiter bei der Detonation einer Mine getötet worden.

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