Seit Januar Long-CovidAutorin kritisiert Versorgungslage in Deutschland

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Die polnisch-deutsche Schriftstellerin Margarete Stokowski nimmt an einer Pressekonferenz teil, auf der eine neue Kampagne zur Bekämpfung des Coronavirus vorgestellt wird.

Erschöpfung, Schwindel, Konzentrationsschwierigkeiten: Seit Anfang des Jahres leidet die Autorin Margarete Stokowski unter Long Covid. Schnelle Hilfe finden Betroffene in Deutschland nicht, kritisiert sie.

„Ich bin hier heute das Abschreckbeispiel“, sagt Margarete Stokowski. Die Autorin wirkt erschöpft, hat dunkle Schatten unter den Augen. Ihre blonden Haare hat sie zu einem lockeren Dutt am Hinterkopf zusammengebunden, aus dem sich einzelne Strähnen gelöst haben, die ihr ins Gesicht fallen. Auch ihre Kleidung ist ungezwungen: eine schwarze Sweatjacke, ein gleichfarbiges Unterteil und feine Goldketten. Sie sitzt auf dem Podium im Saal der Bundespressekonferenz in Berlin, direkt neben Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Vor der Berliner Presse soll Stokowski heute über ihre Erkrankung sprechen: Long Covid.

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Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach und die polnisch-deutsche Schriftstellerin Margarete Stokowski (L) nehmen an einer Pressekonferenz teil, auf der eine neue Kampagne zur Bekämpfung des Coronavirus vorgestellt wird.

Im Januar dieses Jahres hatte sich die 36-Jährige mit Corona infiziert. Der akute Krankheitsverlauf sei „einigermaßen mild“ gewesen – wohl auch, weil sie zum Zeitpunkt ihrer Infektion dreifach geimpft gewesen ist. „Doch danach wurde ich einfach nicht mehr gesund“, sagt sie. Tägliche Kopfschmerzen, eine starke körperliche und geistige Erschöpfung – auch als Fatigue bekannt –, Schwindel, Konzentrationsschwierigkeiten, Wortfindungsstörungen und eine verringerte Belastbarkeit plagen sie seitdem. Schon „banale Sachen“ wie sich zu duschen oder zu telefonieren, strengen sie an. Auch lange Reden zu halten, fällt ihr sichtlich schwer.

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Zahl der Betroffenen lässt sich nur schätzen

So wie Stokowski geht es noch vielen anderen Menschen weltweit. Wie viele es sind, das lässt sich nur schätzen. Anfang März dieses Jahres war eine Studie erschienen, die 125 Forschungsarbeiten zum Thema Long Covid ausgewertet hatte. Sie war zu dem Ergebnis gekommen, dass zwischen 7,5 und 41 Prozent aller Covid-Erkrankten, die nicht im Krankenhaus behandelt werden müssen, unter Corona-Spätfolgen leiden. Bei Erwachsenen, die hospitalisiert werden müssen, liegt der Anteil bei 37,6 Prozent.

Allein in den ersten beiden Jahren der Pandemie hätten mindestens 17 Millionen Menschen in Europa Long-Covid-Symptome entwickelt. Das hatte die Weltgesundheit WHO Mitte September in einer Analyse geschrieben. Demnach erkranken Frauen doppelt so häufig wie Männer. Und: Je schlimmer Covid-19 verläuft, desto größer ist das Long-Covid-Risiko. Inzwischen ist aber auch bekannt, dass selbst milde Verläufe zu Spätfolgen führen können.

Wie häufig Corona-Spätfolgen auftreten, hängt womöglich auch davon ab, welche Virusvariante für die Infektion verantwortlich ist. Eine Studie aus Großbritannien hatte gezeigt, dass das Risiko für Long Covid bei der Omikron-Variante geringer ist als bei der zuvor dominierenden Delta-Variante. Die Ergebnisse waren Mitte Juni im Fachmagazin „The Lancet“ erschienen.

Wenig Aufklärung und eine schlechte Versorgungslage

„Long Covid ist ein stark unterschätztes Problem“, sagte jüngst auch der Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, Gerald Haug. Er selbst kenne betroffene „junge sportliche Menschen, die nicht mal mehr eine Stunde Energie am Tag haben“. Haug sieht noch großen Forschungsbedarf bei Long Covid. „Die Ursachen und die unterschiedliche Symptomatik sind noch nicht vollständig verstanden.“

Stokowski beobachtet, dass selbst gut informierte Menschen zum Teil nicht viel über Long Covid wissen. Die Erkrankung würde oftmals mit einer Depression, einem Burnout gleichgesetzt oder als „verdiente Auszeit“ angesehen. „Das trifft alles nicht zu“, stellt die Autorin klar. „Das ist alles ziemlicher Quatsch.“ Ihrer Ansicht nach gibt es noch immer zu wenig Aufklärung über die Corona-Spätfolgen, zu wenig Forschung und zu wenige Behandlungsmöglichkeiten.

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Bundesminister für Gesundheit, steht neben Margarete Stokowski, Journalistin, Autorin und Long-Covid-Betroffene, nach einer Pressekonferenz zur aktuellen Corona-Lage und zur neuen Kampagne des Gesundheitsministeriums zum Schutz vor Corona.

„Die Versorgungslage bei Long Covid ist weiterhin sehr schlecht“, moniert Stokowski. Seit Anfang des Jahres leidet sie unter Spätfolgen, ihren ersten Termin in der Long-Covid-Sprechstunde der Berliner Charité hat sie aber erst in der zweiten Novemberhälfte. „Das war der frühestmögliche Termin.“ In der Zwischenzeit hat sie versucht, ihre Symptome selbst zu lindern – durch Nahrungsergänzungsmittel, Botox gegen die Kopfschmerzen und Kompressionskleidung. „Manche Sachen haben geholfen, manche nicht“, sagt sie. Gekostet hat sie die Selbstmedikation nach eigenen Angaben mehr als 1000 Euro.

Keine Medikamente gegen Long Covid verfügbar

Long Covid zu behandeln, bringt selbst Ärztinnen und Ärzte an ihre Grenzen. Sie können bisher nur die Symptome behandeln – etwa durch Physiotherapie, um die Muskulatur zu stärken, durch Ergotherapie bei Gedächtnisstörungen oder durch Atemtherapie, um Atembeschwerden zu lindern. Spezielle Medikamente gegen die Corona-Spätfolgen gibt es nicht – was auch der vielfältigen Symptomatik geschuldet ist.

Stokowski soll eine Reha machen. So will es zumindest ihre Krankenkassen. Allerdings komme für ihr persönliches Krankheitsbild gar keine Reha infrage, schildert die Autorin.

Die Krankenkassen würden Patientinnen und Patienten mit Long Covid teilweise nicht ausreichend behandeln, stimmt Gesundheitsminister Lauterbach zu. „Die Krankenkassen wollen zum Teil diese jungen Leute aussteuern“, sagt er. „Sie gehen dann quasi aus dem Rechtskreis des Beschäftigten, der Krankenkassenleistungen bekommt, in die Rentenversicherung hinüber. Das ist natürlich nicht richtig.“ Die Betroffenen sollten dann eine Reha unter dem Dach der Rentenversicherung machen, und wenn die Betroffenen nicht ausreichend Fortschritte machen würden, dann rücke eine Erwerbsminderungsrente näher.

Der Verband der gesetzlichen Krankenversicherung wies zurück, dass Krankenkassen Patientinnen und Patienten mit Long Covid aussteuern wollten. Den Eindruck zu erwecken, ihnen solle keine bestmögliche Behandlung zugänglich gemacht werden, sei unverantwortlich, sagte Verbandssprecher Florian Lanz.

Stokowski: Auch draußen, wenn nötig, Masken tragen

Es brauche neben besserer Aufklärung und Forschung auch eine stärkere Kostenübernahme durch die Krankenkassen, fordert Long-Covid-Patientin Stokowski. Ebenso wie mehr Fortbildungsmöglichkeiten für Ärztinnen und Ärzte. „Wenn das nicht passiert, dann hängt es wie bisher von Privilegien, Geld und Glück ab, ob man es schafft, diese Krankheit zu besiegen“, sagt sie. „Und das wäre bitter.“

Stokowski ist seit ein paar Wochen auf dem Weg der Besserung. „Aber es gibt immer noch sehr viele Tage, an denen ich einfach nur im Bett liegen kann – und das ist nicht so entspannt, wie man denkt.“ Kochen, Einkaufen gehen – Dinge, die sie selbst nicht mehr so gut kann, übernimmt jetzt ihr Freund. Die Tage ihrer Erkrankung zählt sie genau. Heute seien es 264 Tage ab Symptombeginn.

Wann sie wieder gesund wird? Unklar. Sie rät, bei Corona weiterhin vorsichtig zu sein. Bei großen Menschenansammlung lieber auch draußen eine Maske zu tragen. Dort, vermutet sie, hat auch sie sich angesteckt. „Natürlich hatte ich gehofft, dass mich die Impfung vor Long Covid schützt“, sagt sie. „Ich würde trotzdem allen Leuten rate, sich impfen zu lassen. Ich weiß nicht, wie es mir ergangen wäre, wenn ich nicht geimpft gewesen wäre.“

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