Thomas-Cook-InsolvenzMuss der Steuerzahler die Kunden entschädigen?

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Thomas Cook Logo vor Bäumen

Das Logo des britischen Reisekonzerns Thomas Cook vor der Zentrale des deutschen Ablegers. 

Ein heftiger Streit um die Entschädigungen für geprellte Kunden des insolventen Reiseveranstalters Thomas Cook ist entbrannt. Es geht um mehrere Hundert Millionen Euro. Wir erläutern, wer für die Anzahlungen geradestehen muss.

Warum wird über Entschädigungen gestritten?

In der Reisebranche hat es sich durchgesetzt, dass Kunden nach dem Buchen des Urlaubs eine vergleichsweise hohe Anzahlung leisten. 20 Prozent sind die Regel. Um diese Zahlungen bei der Insolvenz eines Veranstalters abzusichern, wurde der sogenannte Sicherungsschein eingeführt. Die Reiseunternehmen schließen dafür eine Versicherung ab. Der Gesetzgeber hat erlaubt, dass die versicherte Summe pro Veranstalter auf nur 110 Millionen Euro beschränkt sein darf. Die Summe wurde schon in den Neunzigerjahren – damals 200 Millionen D-Mark – festgelegt und seither nicht mehr angepasst. Damals wurde argumentiert, dass mehr nicht möglich sei, da es für höhere Summen keine Rückversicherung gebe, also eine Versicherung für die Versicherung.

Was ist an den 110 Millionen Euro so problematisch?

Seit Jahren warnen Branchenkenner, aber unter anderem auch Politiker der Grünen und der Linkspartei davor, dass die 110 Millionen bei Weitem nicht mehr reichen, wenn einer der großen Reisekonzerne zahlungsunfähig wird. Genau das ist Ende September mit Thomas Cook und seinen deutschen Veranstaltermarken geschehen. Schon einige Tage nach der Insolvenz erklärte der Versicherer Zurich, man könne die Forderungen nicht in vollem Umfang bedienen.

Wie hoch sind die Anzahlungen, die nicht zurückgezahlt werden können?

Das ist noch nicht klar. Sicher ist aber, dass allein etwa 80 Millionen Euro gezahlt werden mussten, um Reisende von ihren Urlaubsorten zurückzuholen. Diese Summe wurde kürzlich im Tourismusausschuss des Bundestags genannt. Dann blieben lediglich noch 30 Millionen Euro übrig. Auf der anderen Seite hatten die deutschen Cook-Marken (unter anderem Neckermann, Bucher und Öger) zu diesem Zeitpunkt nach Informationen aus Branchenkreisen mehr als 600.000 Buchungen in ihren Büchern. Schätzungen über die Gesamthöhe der Anzahlungen reichen von 200 Millionen bis zu 500 Millionen Euro. Es könnte darauf hinauslaufen, dass die geprellten Kunden weniger als 10 Prozent ihres gezahlten Gelds zurückbekommen.

Wer hat hier versagt?

Unter anderen sieht Markus Tressel von der Grünen-Bundestagsfraktion die Verantwortung bei der Bundesregierung. Seine Argumentation: Es sei versäumt worden, die versicherte Summe zu erhöhen. Allein schon die allgemeine Preissteigerung rechtfertige dies. Hinzu komme, dass der Reisemarkt stark gewachsen sei. Aus diesen Gründen hat auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestags die ausgebliebene Anpassung als „problematisch“ bezeichnet. „Es kann gut sein, dass die fehlerhafte Umsetzung der Pauschalreiserichtlinie eine Staatshaftung begründet. Dann muss am Ende der Steuerzahler die Thomas-Cook-Kunden entschädigen“, sagte Tressel.

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Die Richtlinie fordert, dass die Absicherung des Kundengelds wirksam sein und die vorhersehbaren Kosten abdecken müsse. Die Grünen hatten gefordert, die Haftungsgrenze auf 300 Millionen Euro heraufzusetzen. Doch dieser Antrag wurde mittlerweile von CDU/CSU, SPD und AfD abgelehnt.

Welche Rolle spielt die Versicherung?

Nach Ansicht von Felix Methmann vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) sind Forderungen gegenüber der Versicherung als „vorrangig“ zu betrachten. Entscheidend sei, ob die im Gesetz als Kannbestimmung festgelegte Begrenzung auf 110 Millionen Euro bei Thomas Cook angemessen sei. Den Experten der Zurich-Versicherung müsse schließlich bekannt gewesen sein, dass Thomas Cook jährlich einen Umsatz von rund 3,8 Milliarden Euro mache. Etwa 20 Prozent davon seien Vorauszahlungen von Kunden. „Deshalb war klar, dass 110 Millionen Euro niemals ausreichend waren, um im Insolvenzfall gestrandete Touristen zurückzubringen und um alle Anzahlungen zurückzuzahlen“, sagte der VZBV-Reiseexperte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Das bedeute, dass Zurich sehenden Auges mit Thomas Cook eine viel zu geringe Summe vereinbart habe. „Deshalb ist die Vereinbarung zwischen dem Reiseveranstalter und der Versicherung in ihrer Wirkung auf Reisende aus unserer Sicht unwirksam“, sagte Methmann. „Es handelte sich um eine Vereinbarung zulasten Dritter. Die geprellten Kunden haben ein Recht auf eine vollständige Erstattung ihrer Anzahlungen.“

Wie können sich die Cook-Kunden nun ihr Geld zurückholen?

Es werde notwendig, dies vor Gericht durchzusetzen, sagte Methmann. Anders als bei einer Haftungsklage gegen den Staat ist bei einer Klage gegen die Versicherung grundsätzlich eine Musterfeststellungsklage möglich. So wie auch rund 430.000 Autobesitzer im Dieselskandal über eine Musterfeststellungsklage Schadensersatzforderungen gegenüber dem Volkswagen-Konzern vor Gericht durchsetzen wollen.

Wobei die Klage vom VZBV und vom ADAC auf den Weg gebracht wurde. „Ob der VZBV auch im Fall Thomas Cook eine Klage einreicht, steht noch in den Sternen. Das hängt von einer Vielzahl von Umständen ab, die noch gar nicht abzusehen sind“, so Methmann. Bei Musterfeststellungsverfahren muss ein Verbraucherschutzverband stellvertretend für die Geprellten aktiv werden.

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