Widerstand gegen den KremlSo schlägt das Team Nawalny zurück

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Oppositionelle finden vor allem übers Internet nach wie vor Mittel und Wege, um Putin zu kritisieren und Widerstand zu leisten. (Archivfoto)

Moskau – Die russische Opposition hat es schwer. Wer öffentlich den Krieg kritisiert, wird verhaftet. Das trickreiche Team um den inhaftierten Kreml-Kritiker Alexej Nawalny findet allerdings intelligente und effiziente Wege des Widerstands.

Die Protestaktion gegen Putins Krieg war sehr kurz und hatte fast gar kein Publikum. Es war so etwas wie das traurige Gegenteil einer Massendemonstration. Eine junge Frau, gelbe Wollmütze, Pelzkragen, stand am Wochenende auf einem zentralen Platz von Chabarowsk. Die Stadt liegt am südöstlichen Ende Russlands, an der Grenze zu China. Stumm hielt sie ein selbst gemaltes Bild in die Höhe, im Zeichenblockformat: zwei weiße Tauben auf blauem Grund.

Friedenstauben? Eine so unerträgliche Provokation können die russischen Behörden natürlich nicht durchgehen lassen. Schon in Sekunde 16 eines kurzen Handyvideos, das Freunde später verbreiten, sieht man, wie die Frau abgeführt wird. Normalerweise hätte diesen Spuk in der Provinz kaum jemand mitbekommen.

Putin-Kritiker erreichen online ein Massenpublikum

Doch das Video wurde ans Team von Alexej Nawalny weitergeleitet. Die Anhänger des inhaftierten Putin-Kritikers, das weiß man in Russland, sind sehr aktiv in diesen Tagen. Viele von ihnen sitzen im nahen Ausland und verfügen mittlerweile über diversen digitale Plattformen, mit denen sie inzwischen ein heimlich zuschauendes Massenpublikum in Russland erreichen können. Fürs Team Nawalny sind Szenen wie die groteske Verhaftung in Chabarowsk ein gefundenes Fressen.

„Jetzt stellt sich also heraus“, ätzte die messerscharfe russische Juristin Ljubov Sobol, „dass unter Wladimir Putin Tuschezeichnungen mit Friedenstauben verboten sind.“ So wurde aus dem absurden Theater in Chabarowsk, von dem anfangs niemand Notiz nahm, doch noch eine schwungvolle Rempelei gegen das Regime, mit russlandweiter Resonanz: Punkt für die Opposition.

Sobol nimmt den Kriegsherrn im Kreml unter digitales Dauerfeuer. Mal zerlegt sie seine „unverschämten Lügen“, mal lenkt sie den Blick auf die Sanktionsfolgen und zeigt leere Supermarktregale oder astronomische Preise, etwa für Babynahrung: „Ich weiß nicht, was erschreckender ist: die Preise oder dass jede Dose einen Diebstahlschutz hat.“ Auf Putin blickt Sobol ohne Respekt. Immer wieder macht sie dessen eigene Ängste, etwa vor Attentaten, zum Thema.

Jüngst nahm der Staatschef Abschied von dem verstorbenen russischen Politiker Wladimir Schirinowski, einem Rechtsradikalen, und trat an dessen offenen Sarg. Anders als bei allen anderen Trauergästen musste solange Schirinowskis Ehrengarde den Saal verlassen. „Wie paranoid kann man denn sein?“, höhnt Sobol.

Die 34-Jährige arbeitete jahrelang in Moskau als Rechtsanwältin für Nawalny, der im Jahr 2020 einen Giftanschlag nur knapp überlebte. In der russischen Hauptstadt aber wurde nach und nach auch für die Helferin von Russlands Staatsfeind Nummer eins die Luft immer dünner. Sobol wurde zeitweise auch selbst verhaftet, angeklagt und immer wieder bedroht. Im Jahr 2021 setzte sie sich ins nahe Estland. In Talinn twittert sie seither fast rund um die Uhr – und bedient inzwischen mehr als 390.000 Follower. Zu ihren Fans gehören auch immer mehr Westeuropäer. Die Londoner BBC listete Sobol als „eine der 100 inspirierendsten und einflussreichsten Frauen der Welt“ auf, die spanische Frauenzeitschrift „Muher Hoy“ widmete ihr im März eine Titelgeschichte.

Russen kommen über VPN an Informationen – YouTube noch nicht gesperrt

Innerhalb Russlands sind inzwischen mehr als eine Million Zuschauer auf den YouTube-Kanal des Teams Nawalny abonniert. Zwar hat die russische Zensurbehörde Roskomnadzor seit Kriegsbeginn viele Internetdienste ausgeschaltet, von Twitter bis Facebook. Über VPN-Tunnel aber besorgt sich derzeit eine wachsende Zahl von Russen, junge Leute vorneweg, regierungsunabhängige Informationen. Im März waren in Apples App-Store sieben der zehn in Russland am meisten heruntergeladenen Anwendungen VPN-Apps.

Um das Videonetzwerk YouTube machen die russischen Zensoren bislang einen Bogen: Allzu viele russische Familien versorgen sich hier mit Unterhaltung, Sport oder Zeichentrickfilmen für die Kinder. Auch noch YouTube abzuschalten, wagt Putin deshalb – noch – nicht. Viele verdächtigen ihn aber, das russische Internet bald komplett vom globalen Netz abkoppeln zu wollen, nach chinesischem Vorbild.

Putins „Gesetz über das souveräne Runet“ ist schon verabschiedet. Kernidee ist eine komplette Kommunikationskontrolle nach Orwell-Art: Ausnahmslos alle Datenströme sollen zunächst durch die Filter der Zensoren bei Roskomnadsor laufen. Die Behörde sortiert dann erstmal, welche Botschaften tatsächlich weitergegeben werden dürfen und welche nicht.

Noch hat sich dieser letzte Vorhang nicht gesenkt hat über Russland. Und noch feuert das Team Nawalny aus allen Rohren. Überzeugungsarbeit wird nicht nur durch digitale Massenkommunikation geleistet, sondern auch in unzähligen Einzelanrufen. So ruft ein Heer von Freiwilligen aus aller Welt im Rahmen der Kampagne „Call Russia“ nach und nach 40 Millionen Russen auf ihre privaten Telefonnummern an, um sie in eine ganz individuelle Diskussion über Putin und dessen Kriegsführung zu verwickeln.

Es ist ein mühseliger Kampf. Denn 22 Jahre mit Putin an den Hebeln der Macht in Moskau waren auch 22 Jahre einer immer weiter gesteigerten Gleichschaltung. Jüngst schlug das russische Staatsfernsehen stolz auf die Trommel und verkündete, die Zustimmung der Russen zu Putin sei seit Beginn des Krieges noch gewachsen. Leonid Wolkow, der langjährige Stabschef und Kampagnenmanager Nawalnys, glaubt davon kein Wort. Im heutigen Russland sei so etwas wie seriöse politische Meinungsforschung längst nicht mehr möglich.

Den Anteil von Hardcore-Putin-Fans sieht Wolkow, obwohl diese Gruppe nach außen oft sehr breitbeinig auftritt, nur bei 10 Prozent. Weitere 20 bis 30 Prozent tendierten ebenfalls zu Putin, wobei aber in dieser Gruppe mangelnder Zugang zu anderen Sichtweisen eine große Rolle spiele. Der Rest sei für Kritik an Putin und seinem System nicht nur empfänglich, sondern bemühe sich sogar aktiv um regierungsunabhängige Informationen.

Zensur von Russlands Medien mittlerweile gnadenlos totalitär

Die Zensur der russischen Medien, anfangs als autoritäre Allüre belächelt, ist in den vergangenen Wochen und Monaten umgeschlagen in gnadenlosen Totalitarismus. Im ersten Schritt erstickte Putin noch die letzten kritischen Stimmen in seinem Land. Im zweiten Schritt will er nun auch noch die ausländischen Organisationen mundtot machen, die seine Unterdrückungsmethoden anprangern. Am Wochenende verfügte Putin, dass gleich 15 Stiftungen und Verbände ihre Büros in Russland schließen müssen, darunter Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch.

Das abgebrühte Team Nawalny jedoch kann Putin auf diese Art nicht erschrecken. Leute wie Wolkow etwa, im Exil in Vilnius aktiv, senken derzeit umso mehr die Hörner. In diesen Tagen spüren sie, dass jenseits des Themas Krieg und Frieden ein Klassiker aus dem Nawalny- Repertoire bei den Leuten in Russland sehr gut ankommt: das gute alte Thema Korruption. Der krasse Gegensatz zwischen Arm und Reich in Russland warf schon zu allen Zeiten Fragen auf. So ist es auch jetzt wieder, in Zeiten der Wirtschaftssanktionen.

In Russland wächst das Interesse an einer Frage, der derzeit auch Ermittler aus den USA und der EU nachgehen: Wem gehört eigentlich die 140 Meter lange geheimnisvolle Luxusyacht „Scheherazade“, die gerade im italienischen Hafen von Marina di Carrara vor Anker liegt? Indizien deuten auf Putin – dessen Name aber selbstverständlich in keinem einzigen offiziellen Dokument auftaucht.

Luxusjagd mit vergoldetem Toilettenpapierhalter: Besatzung aus Putins Umfeld

Die „Scheherazade“, gebaut von der deutschen Lürssen-Kröger Werft und registriert auf den Cayman Islands, ist 700 Millionen Dollar wert. Die Yacht wäre gut genug für jeden abgedrehten Bösewicht im James-Bond-Film; sie verfügt über sechs Stockwerke, zwei Hubschrauberlandeplätze und einen Swimmingpool. Dass solchen Objekten kein Nutzer zugeordnet werden kann, ist weltweit extrem ungewöhnlich.

Inzwischen wurde eine Besatzungsliste bekannt, die dem Nawalny-Team zugespielt wurde. Danach sind mindestens zehn Besatzungsmitglieder Offiziere des Föderalen Sicherheitsdienstes der Russischen Föderation. Aus diesem Kreis kommen Putins Leibwächter.

Für die Nawalny-Mitstreiterin und Videojournalistin Maria Pewtschich liegt damit nahe, dass die Yacht tatsächlich für Putin bereitgehalten wird: Warum sonst, fragt sie, sollten wohl „dieselben Leute, die Putin in seinen Residenzen und auf seinen Reisen versorgen“ Mitarbeiter auf einer der teuersten Yachten der Welt sein?

Ein weiteres Detail steigert derzeit die Aufregung vieler Putin-Gegner: Auf der „Scheherazade“ sind die Toilettenrollenhalter vergoldet. Die britische Boulevard-Zeitung „Sun“ blies die Sache schon Ende März raus: Während „Mad Vlad“ Frauen und Kinder bombardiere, habe man sich mal auf seiner mit obszönem Prunk ausgestatteten Monster-Yacht umgesehen. Dass Geschichten wie diese auch im Zensurstaat Russland gelesen werden können, ergibt sich nicht von selbst. Das Team Nawalny half ein bisschen nach - und blickt jetzt zufrieden auf jüngsten Download-Statistiken.

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