Christoph Daum wird 70„Ich bin oft hingefallen, aber immer wieder aufgestanden“

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Christoph Daum gibt im Garten seines Hauses im Kölner Hahnwald ein Interview.

Trainer Christoph Daum in seinem Garten im Kölner Hahnwald

Der an Lungenkrebs erkrankte Kölner Trainer Christoph Daum wird 70 Jahre alt.  

Christoph Daum, einer der schillerndsten, erfolgreichsten und streitbarsten Trainer der Bundesliga-Geschichte, wird am 24. Oktober 70 Jahre alt. Im ersten Teil des großen Interviews blickt die Bundesliga-Legende auf ihr Leben und ihre lange Karriere zurück. Daum spricht über alte Widersacher wie Uli Hoeneß und Jupp Heynckes und seinen Gesundheitszustand. Der im Kölner Hahnwald lebende Trainer ist an Lungenkrebs erkrankt. „zzz“

Herr Daum, wie geht es Ihnen?

Christoph Daum: Mir geht es den Umständen entsprechend ganz gut. Ich kann die Nebenwirkungen der Chemotherapie recht gut kompensieren und trage von meiner Seite alles dazu bei, die Erkrankung in einen chronisch kontrollierbaren Zustand zu überführen. Ich fühle mich in der Kölner Uni-Klinik bei Prof. Dr. Jürgen Wolf in den besten Händen. Ich gehe mittlerweile wieder eine gute halbe Stunde durch den Forstbotanischen Garten joggen. Du musst die Krankheit bekämpfen – nicht nur mit der richtigen Behandlung, sondern auch mit der richtigen mentalen Einstellung. Ich lasse mich nicht hängen.

Wie geht es mit der Behandlung weiter?

Man fährt bei dieser Krankheit immer auf Sicht. Ich weiß nicht, ob ich das Schlimmste hinter mir habe. Man muss leider auch mit Rückschlägen rechnen. Ich habe eine Chemo- und eine Immuntherapie erhalten. Bei der nächsten Untersuchung zeigt sich, wie die weitere Therapie aussieht. Möglicherweise muss ich erneut an der Lunge operiert und Tumorgewerbe entfernt werden.

Man fährt immer auf Sicht. Ich weiß nicht, ob ich das Schlimmste hinter mir habe. Aber es lohnt sich zu kämpfen
Christoph Daum über seine Lungenkrebs-Erkrankung

Sie gehen auch in Social Media offen mit Ihrer Erkrankung um. Was sind Ihre Gründe?

Ich habe einen recht hohen Bekanntheitsgrad. Den möchte ich nutzen, um andere auf Vorsorge-Untersuchungen aufmerksam zu machen und sie zu bestärken, dass es sich lohnt, gegen diese Krankheit anzukämpfen. Wenn man die Diagnose Krebs bekommst, hört sich das oft wie ein Todesurteil an, das dachte ich zuerst auch. Man muss sie erst verarbeiten, aber sie ist sicher nicht immer gleich das Ende.

Mitte Mai waren Sie in New York auf der Intensivstation. Was ist passiert?

Nach der Lungen-OP bekam ich kurz darauf noch eine schwere Lungenentzündung. Ich hatte schon in Deutschland leichte Symptome und hätte wohl gar nicht in die USA fliegen dürfen. Aber mein Sohn Jean Paul hatte seine Abschlussfeier an der Uni in New York. Da wäre ich gerne aktiv dabei gewesen, leider war ich es dann passiv im Krankenhaus (lacht). Ich hatte mir zu viel zugemutet und die Sache unterschätzt. Zum Glück hatte ich meine Frau Angelica an meiner Seite. Nach 24 Stunden war ich stabilisiert, nach zwei Tagen ging es mir deutlich besser. Doch dann gab es leider über Pfingsten keine Rückflüge nach Deutschland. Reiner Calmund hat mir da mit seinen Kontakten glücklicherweise einen Rückflug nach Frankfurt organisieren können.

Sie waren recht starker Raucher. Bereuen Sie das im Nachhinein?

Rauchen ist für viele Genuss, das Aufhören eine Willenssache. Bis 30 habe ich nicht geraucht, das kam in meiner aktiven Zeit nicht infrage. Ich habe regelmäßig meine Gesundheits-Checks gemacht. Nach der Krebs-Diagnose habe ich sofort aufgehört. Vielleicht etwas zu spät.

Wie sind Sie mit der Diagnose umgegangen?

Ich dachte erst: Krebs? Das kann nicht sein. Aber die Bilder und Blutwerte waren absolut eindeutig. Danach habe ich den größten Fehler gemacht, bin ins Internet und habe alles googelt. Was ich da an Horror-Meldungen und Scharlatanerie gefunden habe, war der Wahnsinn. Das hat mir also gar nicht geholfen, ich habe das dann auch schnell eingestellt. Ich bin schon des Öfteren im Leben hingefallen, aber immer wieder aufgestanden. Ich hatte selbst viele Vorträge über Resilienz gehalten, die Erkenntnisse musste ich nun selbst bei mir anwenden. Aber du stößt da an Grenzen. Ich habe gelernt: Man muss zulassen, dass man mal Schwächephasen hat, dass man auch mal weint. Ich habe dann versucht, die Sache umzudrehen: Mir wurde nicht Gift verabreicht, sondern Doping! Die Chemo soll mir helfen – auch wenn du dich in den Tagen danach fühlst, als ob dir komplett der Stecker gezogen wurde.

Sie werden 70 Jahre alt. Was löst das in Ihnen aus?

Ich war eher geschockt über meinen 50. Geburtstag. Die Zahl 50 hat mir verdeutlicht, dass ich wohl deutlich mehr als die Hälfte meines Lebens hinter mir habe. Alle weiteren runden Geburtstage nehme ich voller Dankbarkeit und Zufriedenheit als Geschenk an. Ich durfte so viel erleben. Natürlich wäre es das schönste Geschenk, wenn der Krebs kontrollierbar wäre. Aber diese Prognose gibt es jetzt leider nicht.

Auf was für ein Leben blicken Sie bisher zurück?

Auf eines mit unterschiedlichen Phasen. Ich blicke auf meine Kindheit, die ich im Erzgebirge verbracht habe. Auf meine Schulzeit mit dem Abitur in Duisburg. Auf das Studium in Köln und später die vielen Jahre im Trainer-Beruf. Es war bisher ein Leben auf der Überholspur.

Ihr letzter Trainerjob liegt sechs Jahre zurück. Können Sie sich noch eine Aufgabe im Profifußball vorstellen?

Ja. Natürlich kann ich aufgrund der Erkrankung und der Therapien keinen Fulltime-Trainerjob übernehmen, das ist vorbei. Aber dem Fußball werde ich immer verbunden sein, ich berate Vereine und Trainer. Ich habe weiterhin attraktive Anfragen.

Welche?

Mein Ex-Klub FC Brügge hat zuletzt angefragt, ob ich Sportdirektor werden möchte. Die Verantwortlichen waren bei mir in Köln. Ich habe eine gute Beziehung zum Verein, das war ein richtig gutes Angebot. Ich habe es aber abgelehnt, weil die Anfrage fast parallel zu meiner Krebs-Diagnose kam. Das konnte und wollte ich dem Klub nicht zumuten. Wir haben daraus eine Berater-Tätigkeit gemacht – ohne Vertrag und ohne Vergütung.

Sind Sie eigentlich arbeitslos gemeldet?

Nein. Auch wenn ich Anspruch auf Arbeitslosengeld habe, kam das für mich nicht infrage; ich hatte zu gut verdient. Aber Rente bekomme ich – 900 Euro. Ich war auf dem Amt am Neumarkt, da wird man natürlich erkannt.

Der damalige Kölner Trainer Christoph Daum (l.) gibt Bayern-Coach Jupp Heynckes die Hand.

Mit Spannung erwartetes „Shakehands“: Der damalige FC-Trainer Christoph Daum (l.) gibt Bayern-Coach Jupp Heynckes die Hand. Die Münchner gewannen am 25. Mai 1989 das vorentscheidende Spiel um die Meisterschaft in Köln mit 3:1.

Zu Ihrem 70. sendet Sky eine große Doku. Wollten Sie diese schon immer machen?

Ich hatte mich immer dagegen gewehrt und alle Anfragen abgesagt. Doch dann waren wir Ende letzten Jahres im Thailand-Urlaub und saßen mit Freunden zusammen. Die Produktionsfirma Banijay hat sich wieder gemeldet und auch bei einigen Freunden von mir vorgefühlt.  Ich hörte von allen Seiten: „Das ist doch dein Lebenswerk, was kann dir denn passieren?“ Ich sagte dann doch zu – und das Kamerateam und Autor Marc Schlömer waren drei Tage später bei mir in Thailand.

Auch Uli Hoeneß, Ihr großer Gegenspieler von einst, soll zu Wort kommen, oder?

Richtig. Wie in meiner Biografie, so sollen auch in der Doku alle zu Wort kommen, die einen entscheidenden Einfluss auf mein Leben oder den Job hatten. Uli musste nicht überredet werden.

Und wie ist heute Ihr Verhältnis zu Jupp Heynckes?

Man kann Jupp Heynckes und Uli Hoeneß aufgrund des damaligen Auftritts im ZDF-Sportstudio in einem Atemzug nennen, dennoch ist mein Verhältnis zu ihnen sehr unterschiedlich. Ich habe mich mehrfach bei Jupp entschuldigt, dennoch habe ich das Gefühl, dass er mir nie verzeihen wird. Jupp hat das damals sehr getroffen, er sieht keinen Gesprächsbedarf. Uli tickt da anders. Wir waren große Rivalen und hatten uns bekämpft, das war ein Stück Bundesliga-Geschichte. Aber das ist längst vorbei. Wir haben uns oft getroffen und tolle Telefonate geführt. Uli hat eine sehr menschliche Ader. Wir haben heute ein von gegenseitigem Respekt geprägtes Verhältnis.

Ich habe heute zu Uli Hoeneß ein respektvolles Verhältnis. Jupp Heynckes wird mir aber wohl nie verzeihen
Christoph Daum über frühere Widersacher

Die Kokain-Affäre gehört zu Ihrer Vita. Gibt es nach über 20 Jahren wirklich noch neue Enthüllungen?

Das kann ich Ihnen noch nicht verraten (lacht). Ich reiße mich nicht darum, über das Thema erneut zu sprechen. Aber ich kann etwas, dass in meinem Leben eine Zäsur bedeutete, nicht ausblenden. Man muss auch heikle Fragen zulassen, wenn man ehrlich über sein Leben spricht.

Worüber Sie genau sprechen, das lag doch in Ihrer Hand, oder?

Gewiss, aber ich reagiere da eher auf die Fragen. Ich bin der Meinung, dass es nicht mehr viel bringt, alles wieder aufzurollen. Was habe ich davon, noch einmal im Detail zu schildern, warum ich damals von einem „absolut reinen Gewissen“ gesprochen habe? Die Aussage hatte mit mir nichts zu tun.

Aber Sie haben die Aussage doch getätigt.

Ja, aber Sie wissen doch auch, dass sie mir nahegelegt worden ist. Ich hätte den Satz streichen müssen, er fiel mir viel zu oft auf die Füße. Etwas anders verhält es sich mit den Aussagen zu Jupp Heynckes. Ich hatte gesagt, dass er Werbung für Schlaftabletten machen könne und die Wetterkarte interessanter sei als ein Gespräch mit ihm. Diese Aussage habe ich so getätigt, rückblickend finde ich sie aber nicht gut.

Sie sprachen Ihre Kindheit an. Sie sind in Zwickau geboren. Die AfD liegt in Sachsen in Umfragen bei 33 Prozent. Können Sie das nachvollziehen?

Die Leute, die Verwandten, die ich in der Region noch kenne, das sind keine Rechten. Aber natürlich gibt es dort Menschen, die sich abgehängt fühlen, alleine gelassen und von der Politik in Berlin nicht mehr entsprechend vertreten. Und dies trotz blühender Landschaften, die dort in der Tat an vielen Orten entstanden sind. Von diesen Menschen sind leider einige offen für falsche Versprechungen und einfache Parolen aus der rechten Ecke. Die demokratischen Kräfte müssen sich verloren gegangenes Vertrauen zurückholen und die Menschen wieder mitnehmen – und zwar in ganz Deutschland. Das ist noch möglich, die Zerrissenheit ist noch reparabel. Aber nur auf den politischen Gegner einzuschlagen, das ist kein Lösungsansatz. Man muss die Menschen überzeugen und braucht dafür kluge Köpfe. Von diesen sehe ich leider zu wenige.

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