Toni Schumacher„Es waren mehr Titel mit dem 1. FC Köln möglich“

Uefa-Pokal-Endspiel 1986 im Bernabéu: Toni Schumacher zeigt wenig Interesse daran, Reals Starstürmer Emilio Butragueno den Ball herauszugeben.
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Köln – Natürlich hat Toni Schumacher noch Hoffnung auf den Klassenerhalt seines 1. FC Köln in dieser Saison. Es liegt in seinem kämpferischen Naturell, dass er optimistisch ist und an die eigene Stärke glaubt. Dieses Naturell hatte den heute 63-Jährigen schon als Stammtorwart und Legende des 1. FC Köln von 1974 bis 1987 ausgezeichnet. Und mit dem Wort „Abstieg“ in Verbindung mit seinem FC, damit kann der heutige Vizepräsident schon mal gar nichts anfangen. „Das Wort gab es früher beim FC nicht. Ich bin schon immer ein Kind der 1. Liga und daher kein Freund der 2. Liga“, sagt Schumacher ohne Umschweife und wirkt dabei selbst kampfbereit. Er sehe ja, wie die Mannschaft derzeit arbeite, zusammenhalte und einfach alles gebe. „Da lässt sich keiner hängen, und das macht mich zuversichtlich. Ich glaube an die Rettung.“
70 Jahre 1. FC Köln
Folge 1, 1948 – 1958: Franz Kremer, der Vater des Erfolges
Folge 2, 1958 – 1968: FC-Legende Wolfgang „Bulle“ Weber im Interview
Folge 3, 1968 – 1978: Double-Held Heinz Flohe
Folge 4, 1978 – 1988: Nach dem größten Erfolg der Vereinsgeschichte: Ein Spitzenklub in zunehmend aufreibenden Zeiten
Folge 5, 1988 – 1998: Der Niedergang nach der Daum-Euphorie endet im ersten Abstieg.
Folge 6, 1998 – 2008: Der 1. FC Köln wird zum Fahrstuhlklub.
Folge 7, 2008 – 2018: Rückkehr nach Europa und ein Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten.
Sollte sie dem FC doch noch gelingen, wäre das nach der katastrophalen Hinrunde „sogar noch höher zu bewerten“ als Rang fünf am Ende der vergangenen Spielzeit – auch wenn der FC dadurch 2017 erstmals seit einem Vierteljahrhundert wieder am Europapokal teilnahm.
Für Schumacher waren in seiner aktiven Zeit internationale Spiele mit dem 1. FC Köln Alltag. „Wir waren im Prinzip dauerhaft im Europapokal dabei“, sagt er. In der Dekade 1978 bis 1988 hatte er seine größten Erfolge gefeiert. Er wurde als DFB-Nationaltorhüter 1980 Europameister und 1982 sowie 1986 Vizeweltmeister. Nach dem Double aus Meisterschaft und Pokal 1978 gewann der gebürtige Dürener mit dem FC 1983 noch einmal den nationalen Pokalwettbewerb – im Endspiel gegen die Fortuna aus der Südstadt. Dazu kamen eine Vizemeisterschaft 1982 und eine weitere DFB-Pokal-Finalteilnahme 1980.

WM-Halbfinale: Schumachers Foul an Battiston
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Doch an den größten internationalen Erfolg der Kölner in den 80er Jahren hat er keine so guten Erinnerungen. „Das wurde damals von keiner Seite richtig gewürdigt. Das, was ein Höhepunkt für den ganzen Verein sein sollte, war irgendwie auch eine traurige Geschichte“, erinnert sich Schumacher an das Finale 1986 im damaligen Uefa-Cup gegen das große Real Madrid; damals noch in Hin- und Rückspiel ausgetragen. Da es aber nach dem Halbfinal-Rückspiel gegen KSV Waregem in Kortrijk zu Zuschauerausschreitungen mit Beteiligung von Kölnern gekommen war, belegte die Uefa den siegreichen FC (4:0, 3:3) für das Finale mit einer Platzsperre und der Auflage, das Spiel mindestens 350 Kilometer von Köln entfernt auszutragen.
Chronik des 1. FC Köln
13. Februar 1948: Gründung des 1. FC Köln als Fusion aus KBC und Sülz 07.
15. Februar 1948: Erstes Spiel des 1. FC Köln – am Ende steht ein 8:2-Erfolg gegen Nippes 12.
1949: Aufstieg in die Oberliga durch zwei Siege (2:0 und 3:1) in den Entscheidungsspielen gegen Bayer 04 Leverkusen.
13. Februar 1950: Anlässlich der zweiten Karnevalssitzung des Vereins überreichen Zirkusdirektor Harry und seine Frau Carola Williams einen Geißbock, der auf den Namen Hennes getauft und das Maskottchen des Vereins wird.
22. November 1950: Jupp Röhrig wird beim deutschen 1:0 gegen die Schweiz in Stuttgart erster Nationalspieler des 1. FC Köln.
1953: Der 1. FC Köln wird Westdeutscher Pokalsieger.
1954: Der 1. FC Köln wird erstmals Westdeutscher Meister.
13. August 1957: Erstmals trägt der 1. FC Köln in Müngersdorf ein Heimspiel unter Flutlicht aus.
9. Juni 1968: Mit einem 4:1 über den VfL Bochum wird der FC erstmals Pokalsieger.
7. Juni 1969: Erst am letzten Spieltag schafft der FC durch ein 3:0 gegen den 1. FC Nürnberg den Klassenerhalt; Nürnberg steigt als Meister ab.
23. Juni 1973: Köln verliert das Pokalfinale gegen Mönchengladbach 1:2; es ist das Spiel, in dem sich Günter Netzer selbst einwechselt.
12. November 1975: Mit einem 3:3 gegen Eintracht Frankfurt weiht der FC das neue Müngersdorfer Stadion ein.
17. August 1977: Beim 7:2 gegen Bremen erzielt FC-Torjäger Dieter Müller sechs Treffer.
29. April 1978: Mit einem 5:0-Sieg beim FC St. Pauli beendet der FC die erfolgreichste Saison der Vereinsgeschichte und holt das Double aus Meisterschaft und Pokal.
1982: WM-Halbfinale: Toni Schumachers Foul an dem Franzosen Battiston
1983: Der letzte FC-Titel: DFB-Pokalsieg gegen Fortuna Köln
1986: Uefa-Pokal-Finale, Rückspiel in Berlin gegen Real Madrid
1987: Toni Schumacher signiert im März 1987 sein Skandal-Buch Anpfiff.
20. Mai 1989: Der 1. FC Köln kämpft mit dem FC Bayern München um die Meisterschaft. Im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF geraten Christoph Daum und Jupp Heynckes legendär aneinander. Die Bayern werden trotzdem Meister.
7. Mai 1991: Im Halbfinal-Rückspiel des DFB-Pokals besiegt der FC den MSV Duisburg 3:0. Frank Ordenewitz fragt Trainer Rutemöller kurz vor Schluss, ob er eine Rote Karte provozieren solle, um einer Sperre für das Finale zu entgehen. Rutemöller antwortet: „Machet, Otze!“ – und gibt das später auch noch zu.
17. November 1991: Stürmer Maurice Banach stirbt im Alter von 24 Jahren bei einem Verkehrsunfall auf der Autobahn 1 auf dem Weg zum Geißbockheim.
30. September 1992: Der FC verliert das Rückspiel in der ersten Runde des Uefa-Pokals bei Celtic Glasgow mit 0:3 und scheidet aus. Für 25 Jahre soll es das letzte Europapokalspiel bleiben.
1. Juli 1993: Der 1. FC Köln verpflichtet den Österreicher Toni Polster für 500 000 Mark. Er erzielt anschließend für den FC in 168 Spielen 88 Tore.
18. Mai 1996: Der 1. FC Köln schafft bei Hansa Rostock durch Holger Gaißmayers Treffer einen 1:0-Sieg. Köln hält mit Peter Neururer dadurch doch noch die Klasse.
9. Mai 1998: Nach einem 2:2 am letzten Spieltag gegen Bayer 04 Leverkusen ist der 1. FC Köln zum ersten Mal in die 2. Bundesliga abgestiegen.
8. Mai 2000: Der 1. FC Köln steigt nach einem dramatischen 5:3-(1:2)-Sieg vor 36.000 Zuschauern im Niedersachsenstadion von Hannover erstmals in die Erste Liga auf.
1. Juli 2001: Für rund sechs Millionen Mark verpflichtet der FC Stürmer Marco Reich. Er ist der bis dahin teuerste Transfer der Vereinsgeschichte. Im Winter sagt Reich, ihm komme die Euro-Einführung entgegen: „Jetzt bin ich nur noch der Drei-Millionen-Flop.“
30. November 2001: Die Mitglieder beschließen auf der Jahreshauptversammlung die Umwandlung der Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft.
2. März 2002: Rekord! Im Heimspiel gegen Hertha BSC gelingt Thomas Cichon nach 1033 Minuten ohne Tor die Durststrecke der Kölner.
22. November 2003: Lukas Podolski gibt sein Debüt gegen den HSV, er ist 18 Jahre alt.
15. Juni 2004: Wolfgang Overath wird Präsident des 1. FC Köln; noch auf der Mitgliederversammlung verkündet er die Trennung von Trainer Marcel Koller sowie die Verpflichtung von Huub Stevens.
11. November 2006: Christoph Daum verkündet auf einer Pressekonferenz im Krankenhaus Hohenlind, nicht als FC-Trainer zur Verfügung zu stehen. Wenig später übernimmt er doch.
11. Mai 2008: Der FC steigt nach einem Heimsieg über Mainz 05 einmal mehr in die Erste Liga auf.
31. Mai 2009: Christoph Daum verlässt den 1. FC Köln, um Fenerbahce Istanbul zu trainieren.
15. August 2009: Lukas Podolski gibt sein Comeback.
14. Mai 2011: Der FC gewinnt unter Trainer Volker Finke 2:1 gegen Schalke und beschließt die Saison auf Platz 10.
13. November 2011: Wolfgang Overath tritt anlässlich der Mitgliederversammlung aus heiterem Himmel zurück.
15. Februar 2012: Verteidiger Miso Brecko wird in seinem Auto auf den KVB-Gleisen aufgegabelt. Bis heute halten sich Gerüchte, der FC-Kapitän habe nicht selbst gesteuert.
8. April 2012: Wegen Randale unter Alkoholeinfluss im Taxi muss Slawomir Peszko die Nacht nach dem Spiel gegen Bremen in der Ausnüchterungszelle verbringen.
5. Mai 2012: Am letzten Spieltag verliert der FC nach einer fürchterlichen Rückrunde 1:4 gegen die Bayern. Der fünfte Abstieg ist perfekt.
1. Juli 2013: Peter Stöger tritt die Nachfolge von Holger Stanislawski an. Der Österreicher wird Kölns Rekordtrainer.
20. Mai 2017: Nach einem 2:0 über Mainz beendet der FC die Saison auf dem fünften Platz und qualifiziert sich erstmals seit 25 Jahren für das internationale Geschäft.
2. Dezember 2017: Nach dem 2:2 auf Schalke informiert Peter Stöger die Mannschaft, nicht weiter ihr Trainer zu sein. Stefan Ruthenbeck übernimmt und startet eine Aufholjagd.
Der Klub, der gegen das Urteil erfolglos in Berufung gegangen war, wählte das Berliner Olympiastadion als Austragungsort. Das Rückspiel geriet stimmungstechnisch zum Reinfall. „Wir haben sogar noch Rosen in der Stadt verteilt, aber dennoch nahm kaum ein Berliner Notiz vom Finale“, erinnert sich Schumacher. Zuvor hatte der FC das Hinspiel 1:5 verloren, zudem ging der Transitweg noch durch die DDR. „Ich habe mehrere Fanbusse selbst bezahlt, trotzdem waren nicht so viele Kölner da. Das wäre heute alles undenkbar. Wenn ich alleine daran denke, dass uns zuletzt bis zu 20.000 Fans nach London begleitet haben“, sagt Schumacher. In der riesigen Berliner Schüssel waren es 1986 gerade einmal 16.185 zahlende Zuschauer. Sie sahen einen 2:0-Sieg der Kölner, der für den Titelgewinn zu wenig war.

Der letzte FC-Titel: Pokalsieg gegen Fortuna 1983
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Unvergessen blieben beim früheren Torhüter aber auch die „Schlachten in England“, wie er die Duelle gegen Nottingham Forest und Ipswich Town nennt. „Wir haben in Nottingham 3:3 gespielt. Die waren damals zu Hause eine absolute Macht. Die englischen Fans haben uns nach dem Abpfiff sogar applaudiert.“ Da sein Team aber das Rückspiel in Köln am 25.April 1979 mit 0:1 verlor, schied der FC im Halbfinale des Europapokals der Landesmeister aus. 1981 kam nach zwei 0:1-Niederlagen im Uefa-Pokal gegen Ipswich auch das Aus im Halbfinale.

Uefa-Pokal-Finale 1986, Rückspiel in Berlin gegen Real
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Dass es zu selten mit dem FC für den ganz großen Coup reichte, das ärgert Schumacher auch heute noch ein bisschen. „Wir hatten so viele Nationalspieler und Potenzial, um deutlich mehr Titel zu holen.“ Überheblichkeit sei es nicht gewesen, meint Schumacher, „wir hatten ja auch viele bodenständige Typen in der Mannschaft. Aber irgendwie fehlte uns manchmal die Konstanz. Nicht zu Unrecht sind wir wohl schon damals als die launische Diva vom Rhein bezeichnet worden“, sagt Schumacher mit einem Augenzwinkern, führt aber auch an: „Ich möchte die Zeit überhaupt nicht missen. Es war eine schöne und romantische Zeit. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft, manche von uns spielten zehn Jahre zusammen.“ Heute sei der Fußball so viel schnelllebiger geworden. Und natürlich regiere viel mehr das Geld.
Spricht man über Schumacher in der Dekade 1978 bis 1988, muss man natürlich auch zwei Ereignisse erwähnen, die damals echte Skandale waren, aber mit dem FC eher nichts zu tun hatten. Im WM-Halbfinale 1982 in Sevilla erregte der Keeper große Aufmerksamkeit durch seinen brutalen Zusammenprall mit dem Franzosen Patrick Battiston und dem flapsigen Spruch danach von den Jacketkronen, die er Battiston zahlen wolle. Als Schumacher wenig später beim ersten Länderspiel nach der WM gegen Frankreich das Stadion von Straßburg betrat, sah er sich als lebensgroße Puppe am Galgen baumeln. „Das hat mich für das Leben geprägt. Aber danach sieht man andere Dinge auch entspannter“, sagt Schumacher.

Schumacher signiert im März 1987 sein Buch Anpfiff
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Und dann war da natürlich sein Buch „Anpfiff“, das für den langjährigen Weltklasse-Torhüter der Abpfiff in der Nationalmannschaft und beim FC bedeutete. Schumacher erhob Dopingvorwürfe, plauderte Interna aus der Nationalmannschaft aus und enthüllte angebliche Sex- und Alkoholeskapaden der Kollegen. Schumacher hat immer wieder sehr viel zu dem Thema gesagt. Erst im vergangenen Jahr wieder, als er in seinem aktuellen Buch „Einwurf“ erzählte, wie sein Leben nach dem „Abpfiff“ verlief. „Das Buch gehört zu meinem Leben. Ich habe es genau zum richtigen Zeitpunkt geschrieben. Vieles aus »Anpfiff« hat sich ja später auch bewahrheitet. Ich bereue es nicht – auf keinen Fall“, sagt Schumacher im Brustton der Überzeugung, der sich auch heute noch als „Krieger“ bezeichnet.
Ein älterer vielleicht, aber kein müder.
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