Kolumne zum Duell mit Bayer 04Warum der Derbystatus bei vielen Kölnern umstritten ist

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Ein Bild mit Tradition: Bayer-Torjäger Ulf Kirsten verhöhnt Kölns Karsten Baumann.

Ein Bild mit Tradition: Bayer-Torjäger Ulf Kirsten verhöhnt Kölns Karsten Baumann.

Obgleich die Bundesligisten aus Köln und Leverkusen aneinander grenzen, ist umstritten, ob es sich beim Duell beider Mannschaften um ein Derby handelt.

Steffen Baumgart hat der Debatte um die Frage, ob man das Spiel zwischen dem 1. FC Köln und Bayer 04 Leverkusen nun ein Derby nennen dürfe, eine interessante Variante hinzugefügt. Und sich der Sache schlicht entzogen: „Ich nenne es gar nicht“, sagte der Kölner Trainer vor dem 91. Aufeinandertreffen beider Vereine am Freitagabend. Baumgart hat sich seit seiner Ankunft in Köln im Sommer 2021 bereits auf entscheidende Teile der lokalen Folklore eingelassen. Hat Karneval gefeiert und Derbys gegen Borussia Mönchengladbach gewonnen. Aber die Debatte um den Derbycharakter des Duells zwischen dem 1. FC Köln 01/07 e.V. und dem im Jahr 1904 nur drei Jahre nach dem ältesten Kölner Ursprungsverein gegründeten Werksklub ist sogar Baumgart zu viel.

Baumgart will Themenwechsel

Wenn Steffen Baumgart auf ein Thema überhaupt keine Lust hat, es ihm aber gleichzeitig ein Anliegen ist, dass sein Gegenüber das auch deutlich mitkriegt, sagt er stets „alles gut“, womit er selbstverständlich nicht sagen will, dass alles gut ist. Sondern eben ausschließlich, dass man jetzt besser mit einem anderen Thema kommt. Und also sprach Baumgart in diesen Tagen: „Hört jetzt auf, alles gut.“

Zur Erinnerung: Der Begriff „Derby“ geht auf ein noch immer jährlich stattfindendes Sportereignis mittelalterlichen Ursprungs in England zurück – das Shrovetide-Fußballspiel. Teilnehmer sind die Einwohner des Dorfes Ashbourne in der Region Derbyshire. Bei dem Spiel geht es darum, mit einem Ball das gegnerische Tor – einen Mühlstein – zu berühren. Die Entfernung der Mühlsteine zueinander beträgt etwa fünf Kilometer. Es gibt nur wenige Regeln, die Zahl der Spieler zum Beispiel ist nicht beschränkt. Üblicherweise nehmen pro Mannschaft etwa 1000 Spieler teil.

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Die Trainer Steffen Baumgart und Xabi Alonso nach dem Leverkusener 2:1-Sieg in Köln im vergangenen Herbst

Die Trainer Steffen Baumgart und Xabi Alonso nach dem Leverkusener 2:1-Sieg in Köln im vergangenen Herbst

Nun liegen die Stadien von Köln und Leverkusen etwa 20 Kilometer auseinander und damit deutlich weiter als die Tore von Nord- und Süd-Ashbourne. Doch selbst die Berliner Arenen von Hertha BSC und dem 1. FC Union sind weiter voneinander entfernt, was den Derbycharakter unterstreicht. In Ashbourne spielen die beiden Fluss-Seiten des Dorfs gegeneinander, was zwischen Köln und Bayer 04 selbstverständlich nicht funktioniert, denn Leverkusen findet linksrheinisch nicht statt. Dennoch grenzen Wiesdorf, Manfort und Schlebusch direkt an Kölner Stadtgebiet. Mehr Nähe geht nicht.

Aber mit derlei Fakten sollte man sich nicht aufhalten. Absolute Puristen nehmen ohnehin nur Stadtderbys zweier Mannschaften ernst, die beide schon Meister waren. FC Bayern gegen 1860 München also; Inter gegen AC Mailand oder natürlich der Superclásico zwischen den Boca Juniors und River Plate in Buenos Aires. Nicht zu vergessen das Madrider Derby. Eine Meisterschaft hat Leverkusen nicht beizutragen zum Duell mit Köln – anders etwa als Borussia Mönchengladbach. Nun liegt die Stadt Mönchengladbach etwa so weit weg vom Rhein wie Wuppertal oder Frankfurt. Dennoch würde niemand bestreiten, dass es sich beim Kölner Duell mit der Borussia um ein rheinisches Derby handelt.

Thomas Kessler, als langjähriger FC-Profi und gebürtiger Kölner bestens vertraut mit den Feinheiten der hiesigen Derbykultur, erklärte im vergangenen Herbst vor dem Aufeinandertreffen mit Bayer 04: „Wir haben ein Spiel gegen eine Mannschaft aus der Nachbarschaft, für die das ein Derby sein wird“ und nahm die Debatte damit schön auf.

Baumgart mahnt zu Respekt für den Verein Bayer 04

Letztlich ist all das selbstverständlich Folklore. „Zu sagen, Leverkusen sei kein Traditionsverein, halte ich nicht für angebracht. Es ist ein sehr alter Verein, das sollten respektieren. Das Spiel zwischen Leverkusen und Köln gibt es gefühlt seit 50 Jahren“, sagt Baumgart.

Tatsächlich ist die Werkself zwar erst im Jahr 1979 in die Bundesliga aufgestiegen, der 1. FC Köln als Gründungsmitglied und erster Meister musste also 16 Jahre auf das erste Bundesligaduell mit Leverkusen warten, vier weitere Jahre dauerte es, ehe Leverkusen im Dezember 1983 der erste Bundesligasieg über Köln gelang. Doch bereits 1949 standen sich Köln und Bayer 04 in den Spielen um den Aufstieg in die Oberliga-West gegenüber (Köln gewann), zwischen 1951 und 1963 gab es zahlreiche Oberliga-Partien Und in der Bundesliga treffen beide Vereine nun auch schon zum 70. Mal aufeinander.

Es waren einige große Duelle dabei. Am vorletzten Spieltag der Spielzeit 1996/97 gewann der 1. FC Köln gegen die Leverkusener 4:0 und beendete damit die Meisterschaftsträume der Werkself. Eine Saison später trennten sich beide Mannschaften am letzten Spieltag 2:2, wodurch der 1. FC Köln erstmals aus der Bundesliga abstieg – nächste Woche wird dieser Tag 25 Jahre her sein. Am drittletzten Spieltag der Saison 2010/11 kämpfte Bayer 04 Leverkusen wieder einmal um die Meisterschaft. Köln gewann daheim 2:0 und machte Borussia Dortmund zum Meister.

Nach dem Selbstverständnis vieler Kölner Anhänger sind bedeutende Spiele gegen Leverkusen allerdings grundsätzlich nicht möglich: Zwar ist der Spielbetrieb des FC ebenfalls in eine Kapitalgesellschaft ausgelagert. Die gehört allerdings zu 100 Prozent den FC-Mitgliedern. Die Bayer 04 Fußball GmbH dagegen ist eine werbetreibende 100-prozentige Tochter der Bayer AG und gilt den Kölner Fans damit als „Konstrukt“.

Die Geister mögen sich also weiter scheiden. Steffen Baumgart nimmt es salomonisch. „Der eine nennt es Derby, der andere Nachbarschaftsduell. Mir ist das scheißegal.“

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