Abreise nach KatarDFB-Team macht sich für die heikle WM-Mission bereit

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16.09.2022, Vorschau zur Fussball Weltmeisterschaft 2022 in Katar, VAE. Aussenansicht des Zulal Wellness Resort. Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wird hier im Zulal Wellness Resort in Al-Ruwais im Norden des Emirats während der WM unterkommen. *** 16 09 2022, Preview of the 2022 World Cup in Qatar, UAE Exterior view of the Zulal Wellness Resort The German national soccer team will be staying here at the Zulal Wellness Resort in Al Ruwais in the north of the emirate during the World Cup

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wird im Zulal Wellness Resort in Al-Ruwais im Norden des Emirats während der WM unterkommen.

Die DFB-Elf startet am 23. November gegen Japan in die Fußball-WM. Davor macht Hansi Flick mit seiner Mannschaft einen Zwischenstopp im Oman, wo die Deutschen ihren letzten Test vor dem heiklen Turnier bestreiten.

Das direkt neben die Autobahn A3 gepflanzte Gebäude „The Squaire“ sieht auch nach mehr als zehn Jahren noch so aus, als sei vor dem Frankfurter Flughafen gerade ein gigantisches Raumschiff gelandet. Der futuristische Riesenkomplex beinhaltet jenes Hotel, in dem die deutsche Nationalmannschaft die letzte Nacht vor dem Abflug zur WM nach Katar (20. November bis 18. Dezember) verbringt.

Zunächst geht der Charter mit dem DFB-Tross allerdings nach Maskat in den Oman, wo dann auch das einzige Testspiel gegen den dortigen Gastgeber (Mittwoch 18 Uhr MESZ/RTL) stattfindet. Bundestrainer Hansi Flick will in dem Kurztrainingslager „Temperaturen und Tageszeiten“ annehmen, ehe es am Donnerstag endgültig nach Katar weitergeht. Als Quartier dient dann das „Zulal Wellness Resort“ in Al-Ruwai an der Nordküste, um eine Autostunde von Doha entfernt die heikelste WM-Mission aller Zeiten anzugehen.

Das Spannungsfeld war zuletzt auf dem DFB-Campus in Frankfurt bereits mit Händen zu greifen. Irgendwie soll gute Laune bei der deutschen Mannschaft einkehren, während weite Teile der Öffentlichkeit diese WM als Stimmungskiller betrachten.

Man will sich auf Fußball fokussieren, muss sich aber auch zu Katar positionieren. Der für die Nationalelf zuständige Direktor Oliver Bierhoff äußerte bereits Besorgnis, dass die viele Kritik zu einer negativen Grundstimmung führen kann.

Bierhoff hofft auf Auftaktsieg der DFB-Elf gegen Japan

Was nicht passieren dürfe, so der 54-Jährige, „dass Spieler sich sagen: ‚Es ist eh ein Shit-Turnier, und wen juckt das. Dann fahren wir halt nach Hause‘“. Bierhoff hofft auf einen positiven Spirit, der am besten mit einem Auftaktsieg im ersten WM-Spiel gegen Japan (23. November/14 Uhr MESZ/ZDF) entsteht. Gewisser Druck ist nicht zu leugnen. Zwei vermasselte Turniere liegen hinter dem Aushängeschild. Die WM 2018, die Bierhoff rückblickend als „frustrierend, schlecht“ bezeichnet. Und die EM 2021, bei der „irgendetwas gefehlt“ habe.

„Der Teamgeist bei einer WM spielt eine große Rolle“, weiß Flick. Beim 57-Jährigen sind die Erinnerungen an das legendäre Campo Bahia beim WM-Triumph 2014 noch gut abgespeichert, als in einem aus dem Boden gestampften und anfangs nicht unumstrittenen Basiscamp am Atlantik erst der weltmeisterliche Zusammenhalt entstand.

Nicht umsonst hat Weltmeistercoach Joachim Löw in einer wackligen Videobotschaft bei der Kaderbekanntgabe seinen früheren Assistenten daran erinnert. Flicks Vorgänger schlüpfte in einen alten Trainingsanzug von Helmut Schön, um auszurichten: „Denk' noch mal daran, was uns 2014 stark gemacht hat, als wir den Pokal gewonnen haben: Wir waren ein super Team. Und wir haben uns nie aus der Ruhe bringen lassen.“ Weltmeister Sami Khedira versicherte noch, dass alle „die Egos beiseite“ geschoben hätten.

Was übrigens auch beim WM-Sieg 1990 passierte, der laut des glaubwürdigen Zeitzeugen Rudi Völler trotz der hohen Dichte an Alphatieren durch eine „tolle Harmonie in der Truppe“ ermöglicht wurde. Profifußballer waren damals keine Sprachrohre, die kritisieren mussten, dass WM-Turniere meistbietend in Länder verhökert werden, die sich über Menschenrechte hinwegsetzen und Homophobie verbreiten.

Als Deutschland jene WM 1990 in Italien dank Völlers Sturz auf römischen Rasen gewann, stand Homosexualität hierzulande noch im Strafgesetzbuch. Besagter Paragraf 175 wurde erst 1994 abgeschafft. Manch einer erinnert sich nur dunkel.

Neuer: „Wir werden unsere Werte vertreten“

Dennoch darf es im Jahre 2022 nicht sein, dass ein WM-Botschafter aus Katar das Schwulsein als „geistigen Schaden“ bezeichnet. DFB-Kapitän Manuel Neuer hat am Samstagabend im ZDF noch mal deutliche Worte gefunden. „Das ist eine absolute Entgleisung. Das stört mich, das ärgert mich, das ist inakzeptabel.“ Was der Torhüter versprach: „Wir werden unsere Werte vertreten.“

Als Zeichen sieht Neuer seine One-Love-Binde. Insgesamt neun Nationen haben sich auf diese Botschaft verständigt. Gleichwohl kritisieren viele Aktivisten aus der queeren Szene ein aus ihrer Sicht nicht ausreichendes Protestzeichen: die Regenbogenbinde wäre viel besser gewesen.

21.09.2022, Hessen, Frankfurt/Main: Fußball: Nationalmannschaft, Deutschland, Nations League, vor den Spielen gegen Ungarn und England, Pressekonferenz, DFB-Campus: Die spezielle Kapitänsbinde als Zeichen gegen Diskriminierung und für Vielfalt liegt auf einem Tisch. Diese ziert «ein Herz in bunten Farben, die für Vielfalt stehen, sowie die Aufschrift 'One Love'». Die Premiere der Kapitänsbinde wird es bei den anstehenden Nations-League-Partien am Freitag in Leipzig gegen Ungarn sowie drei Tage später in England geben. Dann ist Thomas Müller erster Vertreter von Manuel Neuer als Spielführer, da der Nationaltorhüter wegen eines positiven Corona-Tests ausfällt. (zu dpa: «DFB-Kapitän Neuer: Für «unsere Werte» werben in Katar») Foto: Sebastian Gollnow/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Manuel Neuers Kapitänsbinde soll als Zeichen gegen Diskriminierung und für Vielfalt stehen.

DFB-Mediendirektor Simon: „Befinden uns in einer Empörungsspirale.“

Steffen Simon, DFB-Direktor Öffentlichkeit und Fans, hat gerade den Eindruck, dass der größte Sportfachverband es niemand mehr recht machen kann, nicht mal mit dieser Aktion, die von neun Nationalverbänden umgesetzt wird: „Nirgendwo wurde derart negativ kommentiert wie bei uns.“

Der frühere Sportschau-Chef sagt: „Wir befinden uns in einer Empörungsspirale.“ Und er vermisst die differenzierte Auseinandersetzung: „Die Lage der Arbeitsmigranten spielt keine Rolle, wenn es um Energielieferungen nach Deutschland geht. Auch die Handball-WM 2015 oder die Leichtathletik-WM 2019 in Doha haben nicht im Ansatz zu solchen Diskussionen geführt wie jetzt.“ Wenn selbst schon Medienprofis mit den komplexen Zusammenhängen überfordert sind, wie soll sich dann die Mannschaft verhalten?

Wegducken ist zwar angeblich keine Option, aber das sportpolitische Spielfeld soll in erster Linie DFB-Präsident Bernd Neuendorf beackern, der im Wüsten-Quartier am Freitag nicht zufällig auch die erste Pressekonferenz gibt. Der gebürtige Dürener mit Stammwohnsitz in der ehemaligen Bundeshauptstadt Bonn kennt sich mit diplomatischen Verrenkungen aufgrund seiner politischen Vergangenheit gut aus.

Einerseits will der frühere SPD-Sprecher beim Entschädigungsfond für Gastarbeiter den Druck auf die Fifa aufrechterhalten, andererseits braucht der DFB den Weltverband bald wieder. Etwa bei der Vergabe der Frauen-WM 2027, die Deutschland ja gemeinsam mit Niederlande und Belgien unbedingt ausrichten will, um die in Katar vernachlässigten Werte für den Weltfußball wieder in den Vordergrund zu rücken.

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