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Wehrle über WM-Besuch in Katar„Ich will mit meiner Anwesenheit ein Zeichen setzen“

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Alexander Wehrle

Alexander Wehrle

Alexander Wehrle, Vorstandsvorsitzender des VfB Stuttgart, wird im Laufe des Turniers zur Fußball-WM nach Katar reisen. Ein Gespräch über Toleranz, Fehler der Fifa und die Rolle des DFB.

Herr Wehrle, Sie reisen zur WM nach Katar. Hätten Sie es sich auch vorstellen können, Ihren Lebensgefährten mitzunehmen?

Ich werde nicht als Privatperson vor Ort sein, sondern bin als Aufsichtsratschef des Deutschen Fußball-Bundes Teil der DFB-Delegation. Deshalb hat sich die Frage nicht gestellt. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, im Laufe des Turniers nach Katar zu reisen, auch wenn ich weiß, dass ich persönlich vielleicht gar nicht so willkommen bin. Aber wenn man eine Funktion übernimmt, muss man vor Ort sein. Ich will schließlich unsere deutsche Mannschaft unterstützen und den DFB und die Bundesliga repräsentieren. Aber ich will mit meiner Anwesenheit auch ein Zeichen setzen. Meine Botschaft ist: Egal, woher man kommt, was man hat, an was man glaubt, wen man liebt: Am Ende sind alle Menschen gleich. Und jeder hat den Respekt verdient, so wahrgenommen zu werden, wie er ist.

In der ZDF-Dokumentation „Geheimsache Katar“ war allerdings von diesem Respekt wenig zu spüren. Im Gegenteil: Ein hochrangiger WM-Botschafter bezeichnete vor der Kamera Homosexualität als „geistigen Schaden“, Schwulsein sei durch die islamischen Regeln ohnehin verboten. Waren Sie von den Aussagen geschockt?

Nicht geschockt, aber das waren natürlich nicht tolerierbare, unfassbare Aussagen. Wenn man sich entscheidet, als Ausrichter einer WM die ganze Welt zu Gast zu haben, sollte man auch alle anderen Weltanschauungen und Kulturen ernst nehmen. Es steht für mich völlig außer Frage, dass Gäste bei einer WM sich so verhalten dürfen, wie es die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vorsieht. Und darin steht zum Beispiel nicht, dass ein gleichgeschlechtliches Paar sich aus Rücksicht auf die Kultur des Gastgeberlandes nicht öffentlich küssen darf. Daher erwarte ich auch, dass die örtlichen Sicherheitskräfte die Gäste im Land schützen und ihre Rechte garantieren, statt ihnen zum so genannten Selbstschutz zum Beispiel Regenbogenfahnen wegzunehmen. Insgesamt geht es aber nicht nur um Rechte von homosexuellen und queeren Menschen, sondern auch um den Schutz von Frauen und den Schutz vor Rassismus. Und genauso müssen in Zukunft bei der WM-Vergabe auch Nachhaltigkeitsaspekte eine maßgebliche Rolle mitspielen.

Steht für Sie außer Frage, dass es ein Fehler der Fifa war, die WM nach Katar zu geben?

Natürlich war das falsch. Und diesen Fehler haben auch unerträglich viele Gastarbeiter auf den WM-Baustellen mit ihrem Leben bezahlen müssen. Das ist eine Tragödie. Und natürlich muss man sich auch mit dem Verhalten der Fifa seit der Vergabe kritisch auseinandersetzen. Man hätte nicht erst in den vergangenen Wochen, sondern schon 2010 die Diskussion über ganz wichtige Themen wie Menschenrechte führen und viele andere Kriterien klarer definieren müssen. Und man hätte von der Fifa in Bezug auf die Vergabe an Katar auch eine transparente Entscheidungsfindung einfordern müssen. Denn eine WM ist mehr als der reine Sport. Das größte Sportereignis auf dem Planeten ist auch eine Weltausstellung der Kulturen. Und wenn sich ein Land wie Katar, in dem Frauen nicht gleichberechtigt behandelt und Arbeiter ausgebeutet werden und das in Bezug auf die Rechte von Homosexuellen mittelalterliche Vorstellungen pflegt, ausschließlich an seiner Weltanschauung und seiner Kultur orientieren will, dann kannst du dich eigentlich nicht gleichzeitig für eine WM bewerben. Katar muss sich schon entscheiden, was es will.

2010 ist lange her. Werden die Fifa, aber auch der Profifußball insgesamt aus den Fehlern für die Zukunft lernen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass der Diskussionsprozess einen Mehrwert liefert und dazu führt, dass bei künftigen Vergaben von Großereignissen die genannten Kriterien genauer beleuchtet werden. Es ist ja richtig, dass der katarische Premierminister jetzt Garantien für die Sicherheit aller deutschen Fußballfans gibt, die sich entschließen, zur WM zu reisen. Aber gibt es diese Kriterien auch für die Einheimischen und die Arbeiter? Und was passiert nach der WM, wer fordert das dann weiterhin in diesem Land ein? Ich unterstütze vollends die Forderungen des DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf, dass unter anderem ein Entschädigungsfonds für Arbeiter eingerichtet wird. Und ich finde ich es daher sehr problematisch und bedenklich, dass Katar diese Forderung nun abgelehnt hat. Hier sehe ich die Fifa nun in der Pflicht. Wir können nicht so verfahren, dass nach dem Endspiel wieder alles egal ist.

Glauben Sie ernsthaft, dass diese WM und der Blick auf sie etwas nachhaltig in Katar verändern wird?

Nein, das glaube ich auch nicht. Aber vielleicht gibt es ja ein paar Fortschritte. Ich wäre zum Beispiel gespannt, ob sich Katar in Zukunft auch für die Austragung einer Frauen-WM bewerben würde. Das wäre mal ein klares Zeichen. Die Frauen-Nationalmannschaft von Katar wird nicht mal mehr in der Weltrangliste geführt, da sie in den vergangenen 18 Monaten kein einziges Spiel mehr bestritten hat. Ein Alibi-Team also.

Positioniert sich der DFB nicht viel zu spät?

Das sehe ich nicht so. Der DFB hat zusammen mit Amnesty International und Human Rights Watch Veranstaltungen, einen Kongress und ein Symposium organisiert, um diesen Themen Öffentlichkeit zu verleihen. Am 19. September gab es zudem eine Veranstaltung mit dem katarischen Botschafter. Kürzlich sind zudem DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Innenministerin Nancy Faeser nach Katar gereist. Der DFB hat klare Haltungen und Positionen – was ich sehr positiv finde. Und er fordert gleichzeitig auch ein, dass auch nach der WM diese Themen nicht in Vergessenheit geraten.

Der DFB-Kapitän Manuel Neuer trägt in Katar die so genannte „One Love-Binde“. Fehlte da nicht der Mut, um mit der Binde in den Regenbogenfarben aufzulaufen?

Diese Kritik kann ich nicht ganz nachvollziehen. Die One-Love-Binde ist für mich ein klares Zeichen gegen Diskriminierung, Antisemitismus und Rassismus. Für mich ist der Regenbogen ein Bestandteil dieser One-Love-Message.

Wir alle sollten unsere Nationalmannschaft unterstützen und sie nicht für etwas bestrafen, für was sie nichts kann.
Alexander Wehrle

Es gibt zahlreiche Stimmen, die WM und somit auch die Spiele der deutschen Mannschaft zu boykottieren. Wie lautet Ihre Meinung?

Die WM wird nun einmal leider in Katar ausgetragen. Jetzt zu sagen, alles sei falsch an dieser WM und deshalb auch unserer Nationalmannschaft die Unterstützung zu versagen, das wäre nicht richtig. Wir sollten vor, während und nach dem Turnier eine klare Haltung zeigen, aber in den kommenden vier Wochen muss der Fußball im Mittelpunkt stehen. Wir alle sollten unsere Nationalmannschaft unterstützen und sie nicht für etwas bestrafen, für was sie nichts kann.

Sollten die deutschen Verantwortlichen und Spieler auch während des Turniers ihre Stimme erheben und gewisse Dinge anprangern?

Wir haben Meinungsfreiheit. Wenn ein Verantwortlicher gefragt wird, dann wird er sicherlich auch konkret antworten. Wir sollten aber die Spieler nicht instrumentalisieren und damit überfordern, auch noch politische Beauftragte zu sein. Das sind sie nicht. Sie sind in allererster Linie Profifußballer und auf dem Platz gefragt. Manchmal sollte man auch vor der eigenen Tür kehren.

Engagiert sich der DFB genug in Sachen Gleichberechtigung und gegen Homophobie?

Perfekt ist es nirgends, der Fußball ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Trotzdem sollte man schon die Unterschiede selbstbewusst ansprechen und ich finde, dass wir im professionellen Fußball eine Menge nach vorne gebracht haben. Was die Bundesliga betrifft, bin ich deshalb absolut davon überzeugt, dass ein offen schwuler Spieler sehr viel Unterstützung, Zuspruch und Sympathie bekommen würde und dass die negativen Reaktionen sich sehr in Grenzen halten würden.

Das Gespräch führte Lars Werner

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