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Calmund glaubt an DFB-Team„Haben die Qualität für Sieg gegen Spanien“

Lesezeit 4 Minuten
Reiner Calmund, der ein dunkelblaues Sakko trägt, lässt sich nach dem WM-Spiel zwischen Deutschland und Japan mit den deutschen Fans Elena (l.) und Elke Stegili vor demKhalifa International Stadions in Al-Rayyan fotografieren.

Reiner Calmund zu Gast bei der WM in Katar. Der frühere Leverkusener Manager lässt sich gerne mit den deutschen Fans Elena (l.) und Elke Stegili vor dem Khalifa International Stadion fotografieren.

Ex-Manager Reiner Calmund ist zu Gast bei der WM in Katar. Der Rheinländer glaubt auch nach der Pleite gegen Japan an die Chance der DFB-Elf und lobt den Gastgeber trotz einiger Missstände für die Organisation des Turniers.

Nach jahrzehntelanger Tätigkeit im Profifußball in unterschiedlichen Funktionen gibt es nicht mehr viel, das Reiner Calmund überrascht. Am Mittwoch allerdings, nach dem Auftaktspiel der deutschen Mannschaft bei der WM-Endrunde in Katar, war der langjährige Manager von Bayer 04 Leverkusen dann doch erstaunt. Das lag zum einen an der nicht einkalkulierten, folgenschweren Niederlage der DFB-Auswahl gegen Japan (1:2). Zum anderen aber auch an der Reaktion eines Fußballfans aus Japan direkt neben ihm auf der Tribüne des Khalifa International Stadions in Al-Rayyan.

„Die junge Frau heulte wie ein Schlosshund. Natürlich hatte ich schon mitbekommen, dass sie während des Spiels ein Deutschland-Trikot trug. Aber da wusste ich noch nicht, dass sie Japanerin ist und vor allem wegen Toni Kroos die deutsche Mannschaft liebt. Sie ist extra aus Japan angereist.“ Einen Toni Kroos in der Form der vergangenen Wochen bei Real Madrid hätte die deutsche Mannschaft gut brauchen können, aber der Weltmeister von 2014 hat bekanntlich seine DFB-Karriere beendet.

Und ist auch für das Team von Bundestrainer Hansi Flick das Turnier bereits am Sonntag nach dem Spiel gegen Spanien frühzeitig vorbei? Der Rheinländer Calmund möchte nicht in den Chor der Pessimisten einstimmen. Natürlich sei die Niederlage gegen Japan ein große Enttäuschung gewesen, natürlich setze sie das deutsche Team gegen die starken Spanier, die Costa Rica nach allen Regeln der Fußballkunst demontierten (7:0), unter größten Druck.

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„Chancen stehen 50:50"

„Aber ich sehe uns gegen Spanien nicht chancenlos. Ich sehe die Chancen wirklich bei 50:50, dass uns der benötigte Sieg auch gelingt. Das wird wiederum ein ganz anderes Spiel gegen einen Gegner, der viel mehr auf Ballbesitz aus ist. Ich bleibe zuversichtlich. Natürlich haben wir Schwachpunkte in der Mannschaft, aber sie hat weiterhin viel Qualität. Das hat man streckenweise auch gegen Japan gesehen, wir haben mehr als 60 Minuten lang ein ordentliches Spiel gemacht.“ Aber das Auslassen bester Torchancen zuvor und schwere individuelle Fehler am Ende hätten dem DFB-Team das Genick gebrochen. „Wir haben einfach gepennt. Das war so etwas von überflüssig“, ist Calmund auch noch Tage nach dem Spiel bedient.

Bundestrainer Hansi Flick will Calmund nicht großartig kritisieren – auch wenn er vielleicht anders ausgewechselt hätte. „Aber mir geht es vielmehr um fundamentale Sachen wie Einstellung, Konzentration und Geschlossenheit. Die Spieler sollen sich jetzt nicht weiter untereinander zoffen und die Schuld bei den Mitspielern suchen, das ist genau das Falsche. Sondern sie sollen Teamgeist, Disziplin und Willen zeigen und das Spiel als das annehmen, was es ist: ein absolutes Endspiel. Aber eines, dass die Mannschaft gewinnen kann.“

Appell an die Spieler

Der 74-Jährige rechnet auch nicht damit, dass Flick seine Startelf wesentlich verändern wird. „Hansi wird die Mannschaft und seine Pläne nicht umschmeißen. Aber man kann sicher über ein paar Veränderungen nachdenken, und das wird er auch tun. Vielleicht stellt Hansi auf einer Position in der Abwehr um, spielt mit Leon Goretzka von Anfang an im Mittelfeld und lässt in der Spitze Niclas Füllkrug früher ran oder sogar beginnen. Er hat ja einige Optionen.“

Calmund besucht in diesen Tagen mit Gästen eines Düsseldorfer Reiseunternehmens die WM-Vorrunde in Katar, danach verfolgt er die K.o.-Phase im Arabischen Golf auf einem Kreuzfahrtschiff, auf dem er als Experte die Spiele analysiert. Und freut sich in Doha auf das Wiedersehen mit Kōzō Tashima, dem Präsidenten des japanischen Fußballverbandes JFA und Mitglied. Tashima, auch Mitglied im Fifa-Rat, hatte von 1983 bis 1986 an der Sporthochschule in Köln studiert, der Kontakt zu ihm riss nie ab.

Von Belehrungen genervt

Calmund sieht natürlich die Missstände im Land des Ausrichters und den Nachbarstaaten, doch die seiner Meinung nach permanenten Belehrungen aus Deutschland gehen ihm gegen den Strich. „Wir müssen natürlich nicht akzeptieren, dass in Katar gegen Menschenrechte verstoßen wird. Ich finde es auch richtig, dass man darauf aufmerksam macht. Aber wir Deutschen sollten mal vom hohen Ross runterkommen, nicht immer alles besser wissen und nicht täglich gegen alles und jeden aus Katar wettern. Ich lese und höre nur noch Negatives. Und das bekommt die Mannschaft auch mit. Dabei liegt bei uns auch manches im Argen und nicht alle sind so liberal, wie immer getan wird.“

Obwohl Calmund die Kritik an der WM-Vergabe nachvollziehen kann, hält er nichts von generellen Boykott-Aufrufen. Seine Meinung zu den ersten Turnier-Tagen: „Es ist alles hervorragend organisiert, sagenhaft modern, und die Einheimischen sind sehr gastfreundlich. Deshalb sind die meisten WM-Touristen aus den ganzen Ländern in diesen Tagen auch begeistert.“ Calmund glaubt allerdings nicht, dass sich am WM-Stimmungsbild daheim in Deutschland etwas ändern könnte: „Natürlich wird das keine Liebesbeziehung mehr zu diesem Turnier in Katar. Die Einzigen, die das etwas ändern könnten, sind die deutschen Spieler. Und zwar mit erfolgreichem Fußball.“ Doch ob das noch gelingt? Selbst der Berufsoptimist Reiner Calmund wäre wohl ein zweites Mal überrascht.

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