85. GeburtstagUwe Seeler, eine Ikone der Normalität

Lesezeit 4 Minuten
Uwe Seeler 2

Plaudern mit Ilka, seiner Frau: Uwe Seeler dieser Tage zu Gast in einem Hamburger Restaurant. 

Köln – Uwe Seeler sitzt auf einer Bank neben seiner Frau Ilka, gestützt auf einen Stock, den er nach einer Operation in Folge eines Hüftbruchs Ende Mai 2020 als Gehhilfe benötigt. Das Sprechen fällt hörbar schwer, doch er sagt auf einmal, wunderbar eingefangen in einer Film-Hommage des ARD-Reporters Reinhold Beckmann: „Ich bin sehr zufrieden. Mein Leben war wunderbar. Das habe ich meiner Frau zu verdanken.“ Sie sagt: „Mein Leben war richtig so.“ Eine Lektion in Rührseligkeit ist zu erwarten, feuchte Augen, ein Hach-Moment. Aber Uwe Seeler, dieser Kauz und Schalk, schaut rüber zu seiner Frau, hält sich am Stock fest und beginnt zu lachen. Die Ilka mal wieder.

Uwe Seeler. Zwei Namen und zwei Erinnerungsstränge: Was für ein Fußballer. Und: Was für ein Mensch. Großartig im Stadion im Trikot seines Hamburger SV, Mittelstürmer, Torschützenkönig nach der ersten Bundesliga-Saison, deutscher Meister 1960 dank zweier Seeler-Tore beim 3:2-Finalerfolg gegen den 1. FC Köln. Dazu die Nationalmannschaft, 72 Länderspiele, 43 Tore, Kapitän und erster DFB-Ehrenspielführer. Als Typ: volksnah, einer von allen und für alle, in Kürze: „Uns Uwe“. Ein Hanseat, nicht unterkühlt, sondern empathisch und völlig geerdet. Sein Leitsatz: „Ich war, bin und bleibe normal.“ Dieser Normale wird an diesem Freitag 85 Jahre alt. In Beckmanns Film sagt er: „Ein paar Jährchen würde ich gerne noch machen.“

Angeschlagene Gesundheit

Die Gesundheit lässt ihn bisweilen jedoch im Stich. Gehen, sehen, hören, das klappt nicht mehr so gut. Rückenprobleme. Herzschrittmacher seit 2017. Ein Sturz am 12. September über die Stufe einer Terrasse bei sich daheim in Norderstedt bei Hamburg, Landung mit dem Gesicht im geborstenen Geschirr, starke Blutungen. Termine vor seinem Jubeltag hat er kurzfristig abgesagt, er fühle sich nicht gut, sagt Ilka Seeler, seine Frau seit Februar 1959. Feiern möchte er im kleinen Kreis, nur mit der Familie, Ilka, den drei Töchtern Kerstin, Helle und Frauke sowie den Schwiegersöhnen. Frauke ist die Mutter von Levin Öztunali, U-21-Europameister von 2017 und aktuell Profi bei Union Berlin.

Alles zum Thema Fußball-Bundesliga

Uwe Seeler ist der Sohn des Fußballers Erwin Seeler, genannt „Old Erwin“, auch er war schon eine Ikone der HSV-Anhänger. Dazu ist er Bruder von Dieter Seeler, ebenfalls ein HSV-Fußballer, verstorben 1979. Im Jahre 1949 interessierte sich Sepp Herberger für Dieter Seeler, woraufhin dessen Mutter dem Bundestrainer zurief: „Da müssen Sie erst mal unseren Lütten sehen“, ihren Jüngsten, den Uwe. Er war talentierter, ihm gelangen an der Seite seiner Zuarbeiter Klaus Stürmer und Charly Dörfel Tore wie keinem Zweiten in der Ära vor Gerd Müller, dem noch treffsichereren Kollegen von Bayern München.

Uwe seeler 4

Voller Einsatz, am Boden und in der Luft: Seeler im HSV-Dress.

Seeler war schnell, machte Tore aus unmöglichen Positionen, er schmiss sich in jeden Ball, kämpfte und glänzte. Er war gedrungen, er bekam den Spitznamen „Dicker“. Triumphale Rückkehr zudem sechs Monate nach seinem Achillessehnenriss im Februar 1965. Damals angesichts der Schwere der Verletzung eine Meisterleistung.

Uwe Seeler blieb auch im Erfolg als Volkstribun seinem Mantra von der Normalität treu. Volksnah ist er auch noch in Beckmanns Film, bescheiden, freundlich zudem. Ein Gemochter, ein Zufriedener. „Wir können uns nicht beschweren“, sagt er zu Ilka. Er nennt sie Mäuschen. Sie ihn auch. Und Dicker.

Absage an Inter Mailand

Seine Heimatverbundenheit illustriert vor allem die Absage an Inter Mailand 1961. Das Lockmittel: 1,2 Millionen Mark auf die Hand, damals ein unvorstellbares Vermögen, Jahresgehalt 400.000 Mark. „Uns Uwe“ verzichtete. Seeler war spätestens nach dieser Entscheidung mehr als ein Idol, ein Mythos, der Mann, der das große Geld ausschlug, weil ihm reichte, was er hatte. Das war neben dem Job als Fußballer der eines Vertreters für „adidas“. Auch als Geschäftsmann war Seeler erfolgreich.

Uwe seeler 3

Uwe Seeler (r), und die brasilianische Fußball-Legende Pele winken bei einem Benefizspiel für die Fernsehlotterie 'Ein Platz an der Sonne'.

Als Fußballer aber ist er unvergessen. Auch überregional, weil er vor allem Spuren im Dress der Nationalelf hinterlassen hat. Berühmt ist das Foto nach dem Finale von 1966 gegen England, kurz nachdem sein Team das Wembley-Tor schlucken musste, den berühmten Phantomtreffer. Seeler, leidend, gebeugt, der Kopf sackt nach unten, verlässt den Platz als Geschlagener, eine Foto-Ikone, das Sinnbild einer Niederlage. Doch Seeler ist Vize-Weltmeister: „Ist das nichts?“

Zuarbeiter für Gerd Müller

Und dann die WM 1970, klagloser Zuarbeiter für Gerd Müller, dazu Seelers Jahrhunderttor mit dem Hinterkopf erzielt vom rechten Rand des Fünfmeterraums im Viertelfinale gegen England – 2:2 nach 0:2. Deutschland gewann 3:2. Aus dann im Halbfinale nach dem Jahrhundertspiel gegen Italien.

Idol sein verpflichtet, Seeler wollte seinem HSV helfen, als es dem Klub Mitte der 1990er Jahre mal wieder schlecht ging. 99,9 Prozent der Mitglieder wählten ihn 1995 zum Präsidenten. Doch dieser Job fraß ihn auf, Haifischbecken, nichts für Uwe, den Anständigen. Rückzug 1998, er fühlte sich in Verbindung mit Unwahrheiten gestellt – „das muss ich mir nicht antun“.

Das könnte Sie auch interessieren:

Vor dem HSV-Stadion steht schon seit 2005 eine riesige Skulptur – Seelers rechter Fuß in Übermaßen: 5,15 Meter breit, 3,5 Meter hoch, vier Tonnen schwer. Ein Symbol. Denn genauso breit, groß und schwer ist die Bedeutung dieses Mannes für seinen Verein. Herzlichen Glückwunsch.

KStA abonnieren