Bayer 04 Leverkusen1:5-Debakel in Frankfurt war Xabi Alonsos wichtigster Moment

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Leverkusen's Spanish head coach Xabi Alonso reacts during the UEFA Champions League Group B football match between Bayer 04 Leverkusen and FC Porto in Leverkusen, western Germany, on October 12, 2022. (Photo by INA FASSBENDER / AFP)

Xabi Alonso, seit Anfang Oktober Trainer von Bayer 04 Leverkusen

Der spanische Trainer der Werkself hat ein Fazit seiner knapp 100 Tage im Amt gezogen – und einen Blick in die Zukunft geworfen.

In der Politik ist es üblich, vor dem Amtsantritt ein ausgeklügeltes Programm für die ersten 100 Tage vorzulegen. Das Volk soll mit schnellen und spektakulären Erfolgen in dem Glauben bestärkt werden, beim Ankreuzen auf dem Wahlzettel richtig gelegen zu haben. Im Sport sind die Abläufe anders. Hier werden die wichtigsten Entscheidungsträger nicht selten in Zeiten höchster Not kurzfristig von den Mächtigen herbeigerufen. Ohne großes Programm, dafür mit einer simplen Aufgabe: Erste Hilfe leisten.

So war es auch bei Bayer 04 Leverkusen, als Xabi Alonso Anfang Oktober 2022 den aufgrund einer beispiellosen Talfahrt untragbar gewordenen Gerardo Seoane ersetzte. Am Donnerstag ist dieser 5. Oktober nun 100 Tage her. Zeit für Xabi Alonso, ein erstes ausführlicheres Fazit zu ziehen und einen Blick auf die nächsten 100 Tage und darüber hinaus zu werfen.

„Als ich angekommen bin, war das Selbstbewusstsein am Boden“, sagt der spanische Trainer am Montag in der „Elfmeter“-Loge der Bay-Arena. „Ich habe viel Energie in den Versuch gesteckt, das zu verbessern, den Glauben der Spieler zu stärken.“ Xabi Alonso hatte Bayer 04 mit fünf Punkten auf Tabellenplatz 17 übernommen.

Bayer 04 glückte der weiche Fall in die Europa League

Die Werkself überwinterte, vor allem dank dreier Siege im Schlussspurt, mit 18 Zählern auf Rang zwölf. Zwar konnte das Champions-League-Aus nicht verhindert werden, doch immerhin gelang der weiche Fall in die Europa League. „Wir haben uns ein kleines bisschen verbessert und müssen uns noch weiter verbessern. Es gibt gute Zutaten, um hier in Leverkusen erfolgreich zu sein. Wie weit wir kommen können, wird die Zeit zeigen“, sagt der 41-jährige Spanier.

From the beginning it was Vollgas, very intense
Xabi Alonso über seine Anfangszeit in Leverkusen

Xabi Alonso spricht Englisch, wie immer, wenn er ins Detail geht und sein weiter leicht eingerostetes Deutsch an seine Grenzen stößt. Hin und wieder kommt es zu einem unterhaltsamen Mischmasch der Sprachen. „From the beginning it was Vollgas, very intense“, erklärt der Welt- und Europameister seine ersten Monate als Trainer einer Profimannschaft. „Ich habe in dieser Zeit gelernt, mich nur auf die wichtigsten Punkte zu konzentrieren, noch analytischer und fokussierter zu sein.“

Der Fokus des Weltstars, einst aktiv für Liverpool, Real Madrid und den FC Bayern, liegt im seit jeher offensiv-verliebten Leverkusen auf einer kompakten Defensive – wie er sie auch als Stratege im defensiven Mittelfeld früher am liebsten vorgefunden hat. Bei Bayer 04 begrüßte ihn hingegen das blanke Abwehr-Chaos. Kein Profi war auch nur in der Nähe seiner Normalform. Xabi Alonso änderte das. In den letzten vier Spielen vor der Winterpause kassierte Leverkusen nur noch ein Gegentor. „Ich glaube, dass wir uns in der Defensive gesteigert haben und auch in der Bereitschaft aller Spieler zu arbeiten. Wir sind kompakter geworden und spielen mit höherer Intensität.“

Debakel an Xabi Alonsos zehntem Tag in Leverkusen

Als „wichtigsten Moment“ seiner Amtszeit bezeichnet Xabi Alonso den gleichzeitig schlimmsten: „Das 1:5 in Frankfurt, es war so schmerzhaft. Aber es war auch ein gutes Beispiel, um den Spielern zu sagen: Wenn wir so spielen, mit so wenig Intensität und ohne Kompaktheit, dann werden wir noch sehr viele Spiele verlieren. Wir hätten auch 0:7 verlieren können“, erinnert sich der Spanier an jenes Debakel am zehnten Tag seiner Amtszeit. „Es war der Tiefpunkt. Aber von da an ging es aufwärts. Wir haben nicht immer gut gespielt, aber seitdem war kein Spiel mehr im Ansatz vergleichbar.“

Für die Attraktivität des Leverkusener Spiels konnte der Spanier bislang nicht viel tun – was mit Blick auf die Ausgangslage aber nachvollziehbar ist. Ändern könnte dies Rückkehrer Florian Wirtz, der am 22. Januar in Mönchengladbach sein erstes Pflichtspiel unter Xabi Alonso absolvieren wird. Beim 2:1 im ersten Test gegen Venedig war dem Jung-Nationalspieler ein Sensationstor gelungen. Die Erwartungen sind hoch – Xabi Alonso ist als Mediator zwischen Traum und Wirklichkeit gefragt.

Florian Wirtz soll den Unterschied machen

„Für außergewöhnliche Spieler wie Florian muss das Team so organisiert und eingespielt sein, dass er sein Spiel und damit den Unterschied machen kann“, sagt Xabi Alonso. „„Hier Florian, da ist der Ball, mach mal etwas Besonderes“ – so funktioniert es nicht. Wir wollen ein gutes Team sein, das Florian noch einmal verbessert.“

Kurz danach greift der Spanier ins oberste Regal: „Was ist mit Argentinien passiert? Lange hatten sie Messi, aber kein besonders gutes Team. Also war Argentinien nicht so gut. Als das Team gut war, war Messi noch besser und Argentinien damit auch.“ Noch im gleichen Atemzug versucht Xabi Alonso, seine Äußerung einzuordnen, es sei nur ein Beispiel, kein Vergleich der Fußballer.

Der Trainer möchte Druck, aber keinen unnötig großen. „Wir müssen uns selbst unter Druck setzen. Wenn wir mit dem zufrieden sind, was wir haben, stimmt etwas nicht. Das ist nicht genug“, sagt Xabi Alonso. Doch nach fast 100 Tagen in Leverkusen ist dem Spanier inzwischen klar, dass bei Bayer 04 alles möglich ist: „Ich bin optimistisch, dass wir uns verbessern werden. Weil ich realistisch bin und die Stärken der Mannschaft kenne. Sollte uns erneut der Hunger und die Leidenschaft fehlen, werden wir weiter Probleme haben. Wir arbeiten aber hart daran, dass es nicht so kommt.“

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