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Bayer 04 in der AnalyseDas 1:5-Debakel und seine Folgen

5 min
Erik ten Hag beim Testspiel gegen Flamengos U20 - links Lomb, rechts Sarco.

Erik ten Hag beim Testspiel gegen Flamengos U20 - links Lomb, rechts Sarco.

Bayer 04 Leverkusen startet mit einer Blamage in die Vorbereitung. Es läuft an vielen Stellen noch nicht rund. Auch Coach Erik ten Hag ist gefordert.

Er kenne keinen einzigen Spieler des kommenden Gegners, antwortete Erik ten Hag am Tag vor dem Spiel gegen Flamengos U20 auf die Frage eines brasilianischen Journalisten. Ob diese Aussage für zusätzliche Motivation beim mehrmaligen brasilianischen Nachwuchsmeister geführt hat, ist nicht überliefert.

Die fünf Torjubel beim gnadenlosen 5:1-Erfolg vor rund 3000 Zuschauern im ehrwürdigen Estadio des Gavea zeugten aber davon, dass es für den mit vier Profis verstärkten amtierenden U-20-Copa-Libertadores-Sieger mehr als nur ein schnödes Testspiel war. Für Bayer 04 und seinen neuen niederländischen Trainer war es am Freitag jedenfalls ein denkbar schlechter Start in die Saison. Und ein Warnschuss für die kommenden Wochen.

Robert Andrich ordnete die Partie ein: „Ich will jetzt nicht schon zu dramatisch klingen, aber es ist schon eine kleine Katastrophe“, sagte der Nationalspieler. „Du darfst dich nicht gegen eine Jugendmannschaft so abspeisen lassen.“ Leverkusen lief ebenfalls mit einigen Nachwuchsakteuren auf, über den Verlauf der Partie kamen sieben U-19-Spieler zum Einsatz. Ein großer Unterschied war allerdings, dass die Brasilianer voll im Saft standen, Bayer 04 nur drei Trainingstage in Rio absolviert hatte. Das wiederum veranlasste den Trainer dazu, leichte Kritik Richtung der Verantwortlichen zu schicken. „Ich will gar kein Spiel verlieren, auch nicht im Trainingslager, aber dann können wir nicht so ein Risiko eingehen, dass Spieler drei Tage nach Trainingsanfang schon in ein Spiel gehen. Ein späterer Zeitpunkt wäre besser gewesen“, sagte ten Hag. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ war auch der Dienstag als Testspieltag im Gespräch, der Freitag wurde aber auch von der sportlichen Leitung abgenickt.

Fehler in der Startelf gegen Flamengo

Dass ten Hag seine Nationalspieler nicht verheizen will, ist logisch wie richtig, er machte dennoch Fehler mit seiner Aufstellung, die auch intern so wahrgenommen wurden. Der Coach startete mit einer Dreierkette, bestehend aus Arthur, einem gelernten Außenverteidiger also, und in Ferdinand Pohl und Ben Hawighorst zwei U-19-Spielern. Erst nach rund 60 Minuten kamen Edmond Tapsoba und Andrich. Da stand es bereits 0:5. Mit einer erfahreneren Elf zu starten und eher hintenraus, wenn die Brasilianer ein wenig müder sind, den Bayer-Nachwuchs zu bringen, hätte helfen können. Jonas Hofmann, der zu Beginn die Kapitänsbinde trug, betonte: „Wir müssen vielleicht auch in der Vorbereitung noch ein bisschen mehr ins Detail gehen, dass auch jeder genau weiß, was zu tun ist, weil es manchmal für die Jungen auf dem Platz schwer ist, intuitiv zu erkennen, was gerade gefragt ist.“ Besonders in England, wo einige Fußballanhänger Erik ten Hag nach seinem Engagement bei Manchester United nicht besonders wohlgesonnen gegenüberstehen, sorgte das Ergebnis für reichlich Häme in den Sozialen Medien. Die Partie erreichte weltweit über TV und Streams mehr als eine Million Zuschauer. Ein großer Erfolg für Leverkusen, das natürlich auch zu Werbe- und Marketingzwecken die Reise nach Brasilien angetreten ist.

Der Erfolg wird aber durch das blamable Ergebnis geschmälert. „Du merkst, dass die Leute sich freuen, uns hier zu sehen“, betonte Andrich. „Man merkt einen gewissen Hype um Bayer Leverkusen – und dann kommst du so hierher und wirst in der ersten Halbzeit teilweise vorgeführt. Es ist schade, dass man mit so einem Testspiel in die weitere Vorbereitung geht.“ Generell ist ein wenig Murren innerhalb des Kaders über die Bedingungen in Rio de Janeiro zu hören. Das Pendeln im Bus zwischen Hotel in Barra da Tijuca und dem Trainingsgelände in Vargem Grande frisst knapp anderthalb Stunden Zeit am Tag. Zudem haben Spieler und auch Trainer ten Hag intern über die Qualität der Trainingsplätze geklagt. Hofmann sprach von einem „schwierigen Platz“ im Testspiel und betonte: „Wir haben viel am Passspiel gearbeitet, aber der Trainingsplatz ist nicht ganz so prädestiniert, um am Passspiel zu arbeiten.“

Schwere Voraussetzungen für ten Hag, der in diesen Tagen vor allem auch die Aufgabe hat, für Aufbruchstimmung zu sorgen. Die erfolgreiche Zeit unter Vorgänger Xabi Alonso ist vorbei. Immer wieder ist ten Hags Credo „auf dem Wind von gestern, kann man heute nicht mehr segeln“ zu hören. Im Interview mit dieser Zeitung sagte der Coach: „Ich muss inspirieren, das ist klar. Sie müssen daran glauben, dass wir wieder Erfolg haben werden. (…) Wir sind mittendrin in der Transferphase. Wir wollen, dass alle Spieler, die jetzt hier sind, auch hierbleiben.“ Ob das gelingt, bleibt abzuwarten. Es ist fast einfacher, die Spieler aufzuzählen, um die es in diesem Sommer noch keine Abgangsgerüchte gab. Das spricht auf der einen Seite für die gute Arbeit in den vergangenen Jahren, bringt aber auch Unruhe in die Mannschaft. Es wäre von Vorteil, Führungsspieler zu haben, die diesen Umstand moderieren können.

Doch besonders in Granit Xhaka und Andrich sind es die übrig gebliebenen Leitwölfe, die womöglich das Rudel noch verlassen könnten. An einigen Ecken gilt es für den Klub, wachsam zu sein: Wie wird die Zusammenarbeit zwischen Disziplinfanatiker ten Hag und dem eher freigeistigen Victor Boniface ab? Wie wird die Rangordnung im Tor zwischen Zehn-Millionen-Zugang Mark Flekken und Fanliebling Lukas Hradecky aussehen? Und wie gewinnen Trainer und Klub wieder die volle Konzentration auf Bayer 04 Leverkusen von einem ihrer wichtigsten Spieler, Granit Xhaka? Coach Ten Hag selbst wird nicht müde, zu betonen, dass es noch Zugänge braucht, um den großen Ambitionen des Klubs gerecht zu werden. Noch ist knapp ein Monat Zeit bis zum ersten Pflichtspiel. Bis dahin ist noch einiges zu tun beim Vizemeister. Der kommende Test im Ruhrstadion gegen Bundesliga-Absteiger VfL Bochum (Sonntag, 18 Uhr) wird die nächsten Erkenntnisse liefern.