EuropapokalLeverkusen wagt den Gipfelsturm ohne Ortskenntnisse

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Leverkusens Trainer Peter Bosz

  • Nicht einmal Trainer Peter Bosz weiß genau, was beim Projekt Europa League auf Bayer zukommt.
  • Der Neustart nach 17 Tagen Urlaub ist weniger eine physische, sondern viel mehr eine mentale Frage.
  • In nur vier Spielen kann die Werkself einen Titel gewinnen und in die Champions League einziehen

Leverkusen – Die wichtigste Meldung hat Peter Bosz am Donnerstag morgen bekommen. Alle Corona-Tests seines Kaders waren negativ. Für solche Gewissheiten ist der Trainer von Bayer 04 Leverkusen dankbar, denn vor ihm liegen Wochen des Unbekannten. „Für das, was wir jetzt machen, gibt es keine Erfahrung“, sagt der Niederländer am Tag, als er mit der Vorbereitung auf das Europa-League-Endturnier begann.

Noch nie haben zwischen Hin- und Rückspiel im Achtelfinale dieses Wettbewerbs viereinhalb Monate gelegen. Noch nie hat Bosz in dieser Situation ein Team trainiert, das nach abgeschlossener Liga-Saison aus einem gut zweiwöchigen Urlaub kommt. Noch nie traf er auf Gegner, über deren Verfassung weniger bekannt war. Und noch nie wurde ein europäisches Turnier in solch einem Modus beendet.

Am 6. August darf die Werkself Glasgow Rangers noch in der BayArena empfangen, wegen Corona ohne Zuschauer. Dabei hat sie das Polster eines 3:1-Sieges auf ihrer Seite. Doch vom Viertelfinale an (Gegner Getafe oder Inter Mailand) wird jedes Spiel im K.o.-Modus ausgetragen. Bosz befindet sich also in der Position eines Nationaltrainers vor dem letzten Spiel der Gruppenphase eines großen Turniers. „Ich war noch nie Bundestrainer“, sagt er mit einem Lächeln, „vielleicht ist das jetzt eine gute Übung dafür.“

"Die Frage ist: Wie sehr bin ich bereit, dafür zu kämpfen?"

In 17 Tagen Urlaub, glaubt Bosz, hat sich die körperliche Fitness seiner Profis nicht massiv verschlechtert. „Da verliert man nicht so viel.“ Wichtig sei die Pause nach dem verlorenen Pokal-Finale für den Kopf gewesen. Genau hier, wo Wille und Entschlossenheit zuhause sind, wird sich seiner Ansicht nach alles entscheiden. „Es sind nur vier Spiele“, sagt der Trainer. Einen kürzeren Weg zu einem internationalen Titel und der Qualifikation für die Champions League, die dem Europa-League-Sieger sicher ist, gab es noch nie: „Die Frage ist: Wie sehr bin ich bereit, dafür zu kämpfen? Wie viel will ich dafür geben?“ Die physische Situation seines Teams ist für ihn allerdings schwer vorhersehbar: „Die Spieler werden sehr belastet sein. Und es ist physisch unmöglich, in so vielen Spielen in so kurzer Zeit 90 Minuten Gas zu geben. Irgendwann sagt der Körper: Stopp! Das ist die Angst, die ich als Trainer habe.“

Für Bayer 04 und die Konkurrenten muss sich das Unternehmen anfühlen wie die Erstbesteigung eines Achttausenders. Über weite Strecken des Weges gibt es keine Klarheit. Der Leverkusener Trainer hat während seines Kurz-Urlaubs fast jeden Abend der Konkurrenz in England, Spanien und Italien beim Spielen zugesehen. Seit Wochen jagen diese großen Ligen, aus denen die Leverkusener Gegner in den drei K.o-Spielen kommen könnten, ihre Profis im Drei-Tage-Rhythmus durch ihr Saisonfinale. „Eigentlich müsste es ein Vorteil sein für uns, dass wir ausruhen konnten“, meint er. Allerdings nur, wenn es der Mannschaft gelingt, schnell den Rhythmus zu finden. Der erste Gegner Glasgow Rangers wiederum hatte nach dem Abbruch der schottischen Liga zwar viel Pause, aber keinen echten Wettkampf mehr. 

Die letzten Testergebnisse – 2:0-Siege über Olympique Lyon und OGC Nizza – waren aber ziemlich respektabel. Deshalb besinnt sich Bosz wieder auf sein Alltags-Credo in der Bundesliga: „Wir haben die größten Chancen, wenn wir uns nur mit dem nächsten Gegner beschäftigen. Deshalb befasse ich mich auch nur mit Glasgow.“

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Auf alle Fragen zum Thema Kai Havertz hatte der Trainer die kürzesten Antworten der Welt parat. Ob der vor allem vom FC Chelsea heftig umworbene Top-Spieler unter den Urlaubsrückkehrern sei? „Ja.“ Ob er bis zum Ende des Europa-League-Projektes bleibe? „Ja.“ Ob er, Bosz, schon mit ihm wegen der Wechselpläne habe? „Nein.“ Mehr gibt es in dieser Angelegenheit für den Cheftrainer auch nicht zu sagen. Er ist froh um jedes Spiel, in dem der 21-Jährige Teil von Bayer 04 Leverkusen ist. Auf alles andere hat er keinen sehr großen Einfluss, also lohnt es sich nicht, Energie zu verschwenden, denn die Herausforderungen werden nicht enden.

Sollte Bayer 04 das Polster des Hinspiels zum Einzug ins Viertelfinale der Europa League nutzen, müsste der ganze Tross in einem Düsseldorfer Hotel in eine Art Turnierquarantäne gehen. Und sollten sie alle gemeinsam am 21. August das Finale in Köln erreichen, hätten sie danach nur drei Wochen Zeit bis zum ersten Pflichtspiel der neuen Saison in der ersten DFB-Pokal-Runde. Wie man sich in dem Termin-Salat mit der eher kurzen Pause vom Juli im Rücken auf eine Saison vorbereiten soll, die wegen des gedrängten Zeitplans vor einer 2021 geplanten paneuropäischen Europameisterschaft anstrengend wird wie keine zuvor, ist Peter Bosz absolut schleierhaft. „Eigentlich geht das nicht“, sagt der Niederländer, als stünde er als Bergwanderer am Fuße eines Felsmassivs, dessen Gipfel er ohne genaue Ortskenntnis erklimmen muss.

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