Zell am See/Kaprun – Lars Bender ist Weltmeister. Jedenfalls behauptet das Manuel Neuer, und der muss es ja wissen. Lars Bender aber schüttelt nur den Kopf und sagt: „Nein, das bin ich ganz bestimmt nicht. Und ich fühle mich auch nicht so.“
Mit seinen Gefühlen ist das in diesen Tagen so eine Sache, und darüber auch noch zu sprechen, fällt ihm hörbar und sichtlich schwer. Denn der 25-Jährige hätte eigentlich zum Aufgebot der deutschen Fußball-Nationalmannschaft für die WM-Endrunde in Brasilien gehört. Eigentlich.
Dann aber kam alles ganz anders. Es passierte am 22. Mai im Trainingslager der DFB-Auswahl in Südtirol: In der zweiten Übungseinheit des Tages bestreitet Bender einen für Außenstehende harmlos anmutenden Zweikampf mit dem Hoffenheimer Kevin Volland und geht schreiend zu Boden. Die Ärzte diagnostizieren später eine ebenso schwere wie komplizierte Muskel- und Sehnenverletzung im oberen Bizeps-Anteil des rechten Oberschenkels. Das war’s dann mit der WM für Lars Bender. „Sowas passiert, Zweikämpfe gehören nun mal zum Fußball, da gibt’s auch keine Vorwürfe. Nur war der Zeitpunkt eben saublöd“, sagt er heute.
Es folgten die wahrscheinlich übelsten Tage seines bisherigen Fußballerlebens. In den ersten drei, vier Wochen konnte er sich noch überhaupt nicht richtig bewegen, hatte Mühe, sich fortzubewegen oder auch nur ins Auto einzusteigen. „Ich war regelrecht ans Sofa gefesselt, aber das war noch nicht mal das Schlimmste. Das Schlimmste war, dass ich immer noch unter dieser Hochspannung stand, weil der Kopf den ganzen Körper und alles Drumherum auf diese WM ausgerichtet hatte.“Kein Wunder also, dass er sich auch schwertat, die WM im Fernsehen anzusehen. „Ich hatte eigentlich kaum Lust, das Turnier zu verfolgen. Die deutschen Spiele habe ich natürlich geschaut, aber das war auch nicht so leicht – weil man sich ja irgendwie immer noch selbst dort sieht.“
Es kam das Finale, das er wie viele Millionen andere Bundesbürger auch daheim am Bildschirm verfolgte. „Ich habe mich ehrlich für die Jungs gefreut. Jeder einzelne, der dort war, und auch die vielen Menschen drum herum ums Team haben sich das verdient. Das haben sie super gemacht. Ich gönne jedem den Titel“, sagt Bender auch heute noch mit ein wenig mehr Abstand.
Und dann kam der Moment, als Manuel Neuer in einem seiner ersten Statements noch auf dem Platz vor laufenden Kameras an diejenigen Kollegen erinnerte, die dieses Ereignis aufgrund ihres Verletzungspechs kurzfristig verpasst hatten. „Ich denke jetzt auch an die Benders oder Marco Reus. Denn auch sie sind Weltmeister“, sagte der Nationalkeeper. Was dazu führte, dass Lars Bender in diesem Moment zu Hause erstmal schlucken musste. „Ich fand das sehr schön. Das ehrt ihn. Es zeigt, dass Manuel Neuer nicht nur der beste Torhüter der Welt, sondern auch als Mensch über jeden Zweifel erhaben ist“, erzählt der Leverkusener Bayer-Profi. Natürlich sei er in jenem Augenblick „ein Stück weit traurig“ gewesen, „aber dass der Manu dann so einen raushaut, war schon ’ne echt geile Nummer.“
Lars Bender, der bei dieser WM aufgrund seiner Vielseitigkeit sowohl im defensiven Mittelfeld (zum Beispiel im Finale für den angeschlagenen Sami Khedira) oder sogar als rechter Verteidiger (in Joachim Löws ursprünglichem Konzept mit Philipp Lahm auf der Sechs) vorstellbar gewesen wäre, hätte vermutlich mehr als nur ein paar Minuten in Brasilien gespielt. „Nun muss ich eben vier Jahre warten, aber wer weiß, was bis dahin noch passiert“, sagt er, und es klingt – wer will es ihm verübeln – ein wenig fatalistisch. Fragen nach seiner Zukunft in der DFB-Auswahl verbieten sich aus seiner Sicht ohnehin. „Darüber jetzt zu reden, wäre absoluter Unfug. Erstmal muss ich wieder richtig auf die Beine kommen und meine alte Verfassung wiederherstellen.“
Zu diesem Zweck absolviert er in diesen Tagen im Trainingslager der Leverkusener in Zell am See/Kaprun ein individuelles Aufbauprogramm. Ob er es rechtzeitig zum Bundesliga-Start am vorletzten August-Wochenende zurück in die Werkself schafft, lässt sich derzeit noch nicht seriös prognostizieren. „Ich mache derzeit jeden Tag einen kleinen Schritt nach vorn und tue wirklich alles dafür, aber ich will mich auch keinem unnötigen Druck aussetzen.“Der Mann weiß halt, was alles passieren kann.