Bayer Leverkusen verliert Schlüsselspieler, sieht im Umbruch aber Chancen für Zukunft unter Trainer Erik ten Hag.
Mit Talenten zu TitelnBayer 04 sieht Zerfall der Meistermannschaft als Chance

Nur drei von sechs sind noch da: Jonathan Tah, Florian Wirtz und Jeremie Frimpong sind weg, Victor Boniface, Piero Hincapie und Amine Adli stehen noch unter Vertrag bei Bayer Leverkusen.
Copyright: IMAGO/Uwe Kraft
Florian Wirtz ist ein „Red“. Am Freitag absolvierte der 22-jährige Ausnahmespieler seinen Medizincheck beim FC Liverpool, anschließend unterzeichnete er einen Vertrag beim englischen Meister bis 2030. Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ liegt das jährliche Fixgehalt exklusive Prämien zwischen 20 und 25 Millionen Euro. Bayer Leverkusen verdient mit dem Wechsel rund 140 Millionen Euro. Als Sockelbetrag wurden zwischen 120 und 125 Millionen Euro vereinbart, hinzu kommen leicht erreichbare Bonuszahlungen von 15 bis 20 Millionen Euro. Der Betrag könnte in der Theorie sogar noch steigen, doch die vereinbarten zusätzlichen rund zehn Millionen Euro sind an sehr schwer erreichbare Ziele gekoppelt.
Es ist der größte Transfer sowohl der Geschichte der Premier League als auch der Bundesliga. Nur Paris St. Germain zahlte weltweit höhere Ablösesummen bei den Transfers von Neymar und Kylian Mbappé. Wirtz, der den Deal mit Liverpool ohne externen Spielerberater, nur mit Unterstützung der Familie und der Kölner Rechtsanwaltskanzlei Seitz durchgezogen hat, ist der größte sportliche Verlust für den Werksklub in diesem Sommer. Wirtz ist allerdings nicht das einzige Puzzleteil, das aus der Leverkusener Meistermannschaft von 2024 gerissen wird. Der Umbruch bei Bayer 04 fällt bemerkenswert groß aus. Intern kennzeichnet man diesen Umstand aber nicht als Risiko, sondern vielmehr als Chance. Der Umbruch sei nach den Erkenntnissen der vergangenen Saison unvermeidbar gewesen, heißt es aus dem Verein. Und: Wäre Trainer Xabi Alonso geblieben, wäre die Fluktuation wohl noch extremer geworden.
Alonso, Strippenzieher der historischen ersten Meisterschaft vor einem Jahr, entschied sich allerdings dafür, keinen neuen Anlauf mit Bayer 04 in verändertem Gewand zu unternehmen, sondern greift jetzt mit Weltklub Real Madrid nach den Sternen. Bei der Suche nach einem Nachfolger landeten die Verantwortlichen bei Bayer 04 unter der sportlichen Führung von Geschäftsführer Simon Rolfes schließlich beim Niederländer Erik ten Hag. Der Ex-Trainer von Manchester United war allerdings nicht die erste Wahl, Bayer wartete lange auf eine Zusage des Spaniers Cesc Fabregas von Como Calcio – vergebens. Ten Hag hat trotz aller Kaderveränderungen einen klaren Auftrag mitbekommen: Spieler entwickeln und Titel gewinnen.
Alles zum Thema Florian Wirtz
- „Kölsche Jung“ nach Liverpool Das Wirtz-Trauma haben jetzt eher die Bayern
- Mega-Wechsel offiziell Wirtz will „Etwas völlig Neues erleben“
- Star auf Weg nach Liverpool So plant Bayer 04 mit den Wirtz-Millionen – Eltern verdienen kräftig mit
- Fürstliches Gehalt So viel soll Florian Wirtz wohl beim FC Liverpool verdienen
- Einigung erzielt Florian Wirtz vor Wechsel von Bayer 04 zum FC Liverpool
- Ablösepaket von 150 Millionen Euro Bayer 04 und Liverpool kurz vor Einigung im Wirtz-Transfer
- Pleite gegen Portugal Nagelsmanns Notelf verpasst Finale – DFB-Stars flüchten vor Hagelschauer
Spaßvogel Frimpong wird fehlen
Dabei muss er neben den nahezu magischen Fähigkeiten von Wirtz auch auf die verlässlichen Dienste von Abwehrchef Jonathan Tah verzichten. Nach zehn Jahren bei Bayer 04 hatte sich der Nationalspieler frühzeitig dazu entschieden, den Vertrag nicht zu verlängern und eine neue Herausforderung anzunehmen. Aus dem Traum von England und Spanien wurde am Ende ein Engagement beim deutschen Rekordmeister Bayern München. Das dritte große Teil, das aus dem Meisterpuzzle gerissen wurde, ist Jeremie Frimpong. Der Niederländer, der mit Kumpel Wirtz nun für Liverpool spielen wird, ist auf dem Platz – vor allem durch seine enorme Schnelligkeit – ein ebenso großer Verlust wie in der Kabine, in der er als der große Spaßvogel für die nötige Lockerheit stand wie kein Zweiter. Diese drei Abgänge treffen Leverkusen ins Mark – und es könnten sogar noch weitere Führungsspieler folgen.
Granit Xhaka wird heftig vom AC Mailand umworben. Bayer 04 und ten Hag wollen den 32-Jährigen, der noch Vertrag bis 2028 hat, halten, doch will der Schweizer unbedingt gehen, wäre Leverkusen gesprächsbereit. Hradecky und Schick senden BotschaftenKapitän Lukas Hradecky (35) äußerte nach der Verpflichtung von Torwartkonkurrent Mark Flekken bereits, dass er sich Wechselgedanken mache. „Ich habe einen Vertrag in Leverkusen, kann aber nichts versprechen“, sagte er der finnischen Zeitung „Iltalehti“. „Ich werde es auf jeden Fall in Betracht ziehen, wenn ein einmaliges Angebot von irgendwo kommt, wo ich sicher spielen kann.“
Auch Torjäger Patrik Schick nutzte eine Zeitung in seiner Heimat, um sich auf dem Markt zu positionieren. Nachdem er bereits zum Ende der Saison gesagt hatte, dass es „ein interessanter Sommer in Leverkusen“ werden wird, betonte der 29-Jährige nun gegenüber der tschechischen Sportzeitung „Sport“: „Ich bin an dem Punkt, an dem ich darauf warte, dass die Dominosteine bei den Angreifern fallen. Ich bin nicht das erste Glied in der Kette, aber ich habe einen Platz auf dem Markt. (…) Ich habe ein Datum im Kopf, bis zu dem ich bereit bin, zu warten und über einen möglichen Wechsel nachzudenken, wenn ich mir bis dahin nicht sicher bin, werde ich wahrscheinlich bleiben.“ Ten Hag will allerdings voll auf Schick setzen, Bayer 04 ist also dem Vernehmen nach nicht bereit, den Angreifer zu verkaufen. Bei Konkurrent Victor Boniface (24) ist die Situation genau umgekehrt. Der Klub wäre bereit, den Shootingstar des Meisterjahrs zu verkaufen, doch der Nigerianer hat bereits öffentlich bekräftigt, in Leverkusen bleiben zu wollen.
Robert Andrich kokettierte hingegen zu Saisonende bereits mit einem Abgang: „Grundsätzlich habe ich einen Vertrag (bis 2028; Anm. d. Red.). Und jedem ist bewusst, wie wohl ich mich im Verein fühle. Ich glaube trotzdem, dass es nicht richtig von mir wäre, wenn ich nicht sagen würde: Es ist schon wichtig, wer Trainer wird – und wie der meine Situation sieht. Es ist nicht verwerflich, zu sagen: Die WM steht vor der Tür. Es ist ganz einfache Mathematik – mit wenig Einsatzzeiten sinken die Chancen.“ Heißt: Ten Hags Pläne mit Andrich werden entscheidend sein. Ähnlich sieht es bei Jonas Hofmann aus, der bei einem Verbleib von Xabi Alonso sicher einen neuen Arbeitgeber gesucht hätte. Nun will er die Situation unter ten Hag neu bewerten. Gerüchte um Interesse aus Spanien gibt es zudem immer mal wieder um Piero Hincapie und Alejandro Grimaldo. Die Tendenz geht aber zum Verbleib bei der Werkself.
Egal, wie groß der Umbruch am Ende noch ausfallen wird, in Leverkusen ist man davon überzeugt, dass er dem Klub helfen wird. Im vergangenen Sommertransferfenster, direkt nach dem Doublesieg, hatte sich die sportliche Führung dazu entschieden, den Kader nur punktuell in der Breite zu verstärken. Der Plan zeigte vor allem im Saisonendspurt seine Schwächen. Bayer 04 brachte nicht mehr die Gier, nicht mehr die Dominanz der Vorsaison auf den Rasen. „Wir haben ja schon ein bisschen länger nicht mehr wirklich gut gespielt (…) Vielleicht ist es deswegen auch gut, dass der Sommer kommt und alles wieder mal ein bisschen aufgefrischt wird“, hatte Simon Rolfes nach dem letzten Saisonspiel in Mainz gesagt.
Der Plan ist, neue Hierarchien zu schaffen, neue Energie in die Mannschaft zu bringen, die dem neuen Trainer helfen sollen. Neben Flekken hat der Klub in Ibrahim Maza (19) eines der größten Offensivtalente aus den deutschen Ligen von Hertha BSC verpflichtet. Axel Tape (17) gilt als hochveranlagtes Defensivtalent, kommt von Paris St. Germain. Ein Transfer von Englands U-21-Nationalspieler Jarell Quansah (22) vom FC Liverpool steht unmittelbar bevor. Auch der Senegalese Abdoulaye Faye (20) von BK Häcken soll kommen und – wie Tim Oermann (21), der aus Bochum kam – direkt weiterverliehen werden. Diese Transfers stehen alle für den Weg, den Bayer 04 konsequent weitergehen will: Talente früh erkennen, verpflichten, entwickeln und dann an die europäischen Topklubs mit Gewinn verkaufen. Im Optimalfall allerdings erst dann, wenn sie mit Bayer 04 Titel gewonnen haben.
Um diese Titelsehnsucht zu stillen, braucht es aber auch noch gestandene Zugänge. Vor der Meistersaison verpflichtete der Werksklub in Xhaka, Grimaldo und Hofmann drei erfahrene Spieler, die allesamt Grundpfeiler des Erfolgs wurden. Auch in dieser Hinsicht will Leverkusen in diesem Transfersommer nachlegen. Allerdings, so betonen es die Verantwortlichen, wollen sie Erfahrung nicht mit Alter gleichsetzen. Wichtig sei vor allem die Spielzeit auf europäischem Topniveau. Rolfes: „Veränderungen sind auch immer Teil des Erfolgs – und wir werden diese Veränderungen wieder für uns nutzen.“