ErnährungstrendImmer mehr Top-Sportler sind Veganer – aber was bringt das?

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Aleksandra Keleman mit Luca Waldschmidt

Aleksandra Keleman mit Luca Waldschmidt

  • Die Bundesliga-Fußballspieler Luca Waldschmidt und Diego Demmehaben eines gemeinsam: Sie ernähren sich vegan, weil Aleksandra Keleman es ihnen beigebracht hat.
  • Die 26-Jährige berät immer mehr deutsche Spitzensportler. Welche Vorteile bringt eine Ernährung Sportlern?
  • Und welche Argumente gibt es dagegen? Wir haben mit Experten gesprochen.

Köln – Auf Aleksandra Kelemans Website gibt es viele Bilder, die eine kleine, schmale Frau neben Muskelpaketen in Sportkleidung zeigen. Auf Tartanbahnen, Stabhochsprunganlagen, Fußballtribünen. Mit Meisterschale und Goldmedaille. Und: immer wieder vor vollen Tellern.

Die vollen Teller sind Kelemans Geschäft. Sie berät Spitzensportler, die auf eine vegane Ernährung umsteigen möchten. Geht mit ihnen einkaufen, erklärt Zutatenlisten und erstellt mit ihnen Ernährungspläne. Mit mehr als 100 Sportlern hat sie bereits zusammengearbeitet, erzählt sie, darunter aktuell zum Beispiel Fußballnationalspieler Luca Waldschmidt, die Erstligaspieler Diego Demme und Arne Maier sowie Tour-de-France-Fahrer Simon Geschke. Und die befinden sich in guter Gesellschaft. Auch international scheinen zurzeit viele Weltstars auf überwiegend vegane Ernährung zu setzen. Unter ihnen: die Tennisprofis Novak Djokovic und Venus Williams, Formel-1-Fahrer Lewis Hamilton. Auch Lionel Messi soll sich zumeist vegan ernähren, Dirk Nowitzki schwört zumindest auf Pflanzenmilch. Erfolgreiche Vegan-Dokumentationen wie „Game Changers“ sorgen dafür, dass die Anfragen bei Aleksandra Keleman zurzeit stetig steigen.

„Ich fühle mich leichter“

„Die Sportler regenerieren schneller, sie verdauen und schlafen besser, wenn sie sich vegan ernähren“, sagt Keleman. Auch auf die Nasennebenhöhlen und das Hautbild könne sich die Ernährungsumstellung – und vor allem der Umstieg auf Pflanzenmilch – positiv auswirken. Kelemans Kunden sprechen gerne über ihre Erfahrungen. „Ich fühle mich leichter“, sagte zum Beispiel Luca Waldschmidt einer Vegan-Zeitschrift. „Der Körper ist nicht mehr so übersäuert, ich habe kaum noch muskuläre Probleme“, so Leipzigs Mittelfeldspieler Diego Demme.

Wissenschaftliche Untersuchungen gibt es zu diesem Thema bislang kaum. „Aber die Berichte sind plausibel“, sagt Markus Keller, Professor für Vegane Ernährung an der Fachhochschule des Mittelstands in Köln. Durch den Verzicht auf tierische Produkte würden die Sportler beispielsweise keine Arachidonsäure aufnehmen, eine Omega-6-Fettsäure, die im Körper entzündungsfördernd wirke. Eine vegane Ernährung könne sich hingegen, beispielsweise aufgrund der in pflanzlichen Lebensmitteln enthaltenen Antioxidanzien, „sicher günstig auf die Regenerationszeit sowie die Verletzungs- und Infektanfälligkeit auswirken“, sagt Keller.

Auch Tour-de-France-Fahrer Simon Geschke wird von Aleksandra Keleman betreut

Auch Tour-de-France-Fahrer Simon Geschke wird von Aleksandra Keleman betreut

Er ist einer der wenigen, die bereits eine Studie zum Thema vegane Ernährung im Sport durchgeführt haben. 2018 begleitet er eine Volleyball-Mannschaft aus der dritten Liga, die sich für drei Monate vegan ernährt. „Bei der Leistung haben wir nach drei Monaten Umstellungszeit praktisch keine Unterschiede gesehen“, sagt Keller. „Manche Gesundheitsparameter, wie die Versorgung mit Folat, Vitamin C und Ballaststoffen, haben sich deutlich verbessert, andere jedoch auch verschlechtert, beispielsweise Kalzium und Zink.“

Proteinquellen ersetzen

Ob ein Sportler sich nun aber vegan, vegetarisch oder mit Mischkost ernähre, sei für die Leistung im Zweifel „nicht so ausschlaggebend“, sagt Keller: Man ersetze, vereinfacht gesagt, lediglich einzelne Proteinquellen durch andere; zum Beispiel fettarmes Fleisch durch Hülsenfrüchte.

Keleman selbst ist seit 2011 Veganerin. Die studierte Wirtschaftsingenieurin, heute 26 Jahre alt, entschied sich auch aufgrund von Hautproblemen, ihre Ernährung umzustellen. Drei Monate brauchte sie, bis sie alle tierischen Produkte vom Speiseplan gestrichen hatte. Damals, sagt Keleman, habe es noch viele Vorbehalte gegen vegane Ernährung gegeben. Sie sei mit Schwäche assoziiert worden, es habe nur wenige Ersatzprodukte gegeben.

Venus Williams soll überwiegend vegan leben

Venus Williams soll überwiegend vegan leben

2014 lernt Keleman Holger Stromberg, den damaligen Koch der Fußball-Nationalmannschaft kennen: Er stellt das Team, das im selben Jahr den Weltmeistertitel holt, komplett auf Pflanzenmilch um. Zu diesem Zeitpunkt reicht es Keleman nicht mehr, sich nur selbst vegan zu ernähren. Sie will sie hinaus in die Welt tragen, in die Sportwelt; trifft sich mit Ärzten, Sportphysiotherapeuten, Sportlern. Keleman erarbeitet die „Superstar Formel“, mit der sie heute die Sportler berät. Auf ihrer Website gibt sie Ernährungstipps, Supplemente-Empfehlungen; in langen Listen stellt sie dar, welche Tierprodukte wie ersetzt werden können. Zum Beispiel: „Für Soßen: beliebiges Nussmus oder Kokosmus mit Wasser verdünnen.“

Auch kritische Stimmen

Dennoch: Nicht alle sind überzeugt von der veganen Ernährung als Heilmittel im Sport. „Es gibt meines Erachtens aus ernährungsphysiologischer Sicht keine Belege dafür, dass die vegane Ernährung einer vegetarischen vorzuziehen ist – oder einer vollwertigen Mischkost auf Basis der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung“, sagt Hans Braun, der am Olympiastützpunkt Rheinland für die Ernährungsberatung von Kaderathleten zuständig ist.

Lewis Hamilton - ebenfalls Veganer

Lewis Hamilton - ebenfalls Veganer

Die DEG schlägt unter anderem einen Fleischkonsum von 500 bis 600 Gramm die Woche vor – deutlich weniger, als viele Deutsche essen. Sie nennt in einem Positionspapier einige kritische Nährstoffe, die durch vegane Ernährung schwer aufzunehmen seien: Vitamin B12, zum Beispiel, oder Calcium und Eisen. „Sportler können sich vegan ernähren, aber sie müssen sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen“, sagt Braun. Halbherzigkeit funktioniert hier nicht.

Keleman arbeitet viel mit Supplementen, um Mängeln vorzubeugen. Sie empfiehlt zum Beispiel die Aufnahme von Vitamin B12 und verschiedenen Omega-3-Fettsäuren; genauso wie gekeimte Samen. Grundsätzlich geht es ihr neben dem sportlichen aber immer auch um den ethischen Wert der veganen Ernährung: „Wir sollten einstehen für Ungerechtigkeit. Das ist etwas, was mich stark antreibt – ich habe das Leid der Tiere in den Ställen selbst gesehen.“

Im Umgang mit den Sportlern sei es aber zentral, die leistungssteigernde Komponente immer miteinzurechnen. Sie achteten auf ihren Vorteil, sagt Keleman und fügt hinzu: „Ich glaube, dass die vegane Bewegung durch Sportler stark an Wind gewinnen wird. Es ist Wahnsinn, was sich da gerade tut.“ In den meisten Profi-Mannschaften gebe es heute drei bis fünf Veganer. Vor fünf Jahren wäre es vielleicht einer gewesen – und der habe es im Zweifel nicht zugeben wollen.

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