Europameisterschaft 1980Hrubeschs torreiche Nacht von Rom

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EM-Finale 1980 IMAGO

Horst Hrubesch (r.) setzt sich im Kopfballduell gegen Luc Millecamps durch und erzielt das 2:1.

Köln – Es kommt Schwung ins Bankett, Bundeskanzler Helmut Schmidt hebt in Rom an zu einer Laudatio, die der deutschen Nationalmannschaft gilt. Horst Hrubesch bekommt davon nichts mit, obwohl es ja allein ihm zu verdanken ist, dass es überhaupt dieses Galadiner gibt. Doch Hrubesch muss zeitgleich noch Verpflichtungen im Olympiastadion abarbeiten, Pressekonferenz, danach viele Interviews, er ist der gefragteste Spieler nach dem Finale der Europameisterschaft 1980 in der Ewigen Stadt.

Weil er zuvor beide Tore im Endspiel gegen Belgien erzielt hat, eins mit dem rechten Fuß, eins, na klar, mit dem Kopf. Deutschland gewinnt 2:1 und sichert sich damit zum zweiten Mal die kontinentale Meisterschaft für Nationen.

„Von der Festrede des Kanzlers habe ich nichts mitbekommen“, sagt Hrubesch dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Während er noch mit Medienvertretern sprach, waren seine Kollegen schon aufgebrochen ins Teamquartier „Holiday Inn“. Die Kabinentür war verschlossen, die Mitspieler hatten seine Sachen an sich genommen, Hrubesch wurde nachträglich ins Hotel gefahren. Dort angekommen hastete er in sein Zimmer, zog sich um, sprintete runter und stellte fest: „Das Fest war da fast schon vorbei.“ Ein bisschen was sei aber noch gegangen: „Es gibt ja immer ein paar Hartgesottene, die auf dich warten. Morgens um sechs Uhr haben wir uns in Richtung der Zimmer verabschiedet.“ Im Mittelpunkt aller Freude stand der an diesem Abend unwahrscheinlichste Held, Horst Hrubesch, ein westfälischer Hüne, damals 29 Jahre alt.

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In Rom bestritt der Mittelstürmer des Hamburger SV erst sein fünftes Länderspiel und erzielte zudem seine ersten Tore für die DFB-Elf. Er rutschte ins Team, weil Klaus Fischer, als zentraler Stürmer der Favorit von Bundestrainer Jupp Derwall, sich im März 1980 das Schienbein brach und damit für die EM ausfiel.

Dort jedoch war Hrubesch zunächst draußen. Das Turnier wurde erstmals mit acht Teams ausgetragen, die in zwei Vorrundengruppen à vier Mannschaften eingeteilt waren. Die Gruppenersten waren für das Finale qualifiziert, die Zweiten für das Spiel um Rang drei. Derwalls Elf musste sich gleich zum EM-Auftakt mit Titelverteidiger CSSR auseinandersetzen – und gewann in einem glanzlosen Spiel vor nur 10 500 Zuschauern im römischen Stadio Olimpico mit 1:0. Das Tor erzielte Karl-Heinz Rummenigge mit dem Kopf.

Bernd Schuster vom 1. FC Köln agierte überragend

Trotz des Erfolges konnte das deutsche Team nicht überzeugen, Derwall veränderte seine Startformation im zweiten Gruppenmatch gegen Vizeweltmeister Niederlande. Stielike rückte vom Mittelfeld auf den ohnehin für ihn vorgesehen Posten des Liberos, Bernd Schuster und Hrubesch kamen ins Team. Schuster genügte diese Partie, um zur Entdeckung des gesamten Turniers zu werden. Der Spieler des 1. FC Köln, 20 Jahre jung, agierte überragend, passte genial, suchte den Abschluss, bereitete zwei Tore vor und war plötzlich ein neuer Mittelfeld-Stern in der Welt des Fußballs.

Die Tore zum 3:2-Erfolg gegen die Niederländer schoss jedoch Klaus Allofs – und wurde mit diesen drei Treffern später Torschützenkönig des Turniers. Deutschland stand nach seinen beiden Erfolgen schon als Gruppensieger fest.

Es folgte ein ernüchterndes 0:0 gegen Griechenland. Derwall hatte in dieser Partie vielen Reservisten eine Chance gegeben. Hrubesch durfte zum zweiten Mal auflaufen – und enttäuschte. Schuster, Allofs und Kapitän Bernard Dietz kamen nicht zum Einsatz, um ihnen, jeweils gelb verwarnt, eine Sperre für das Finale zu ersparen..

Derwall wollte Hrubesch zunächst auf die Bank setzen

Derwall überlegte, ob er gegen Belgien nicht besser auf Hrubesch verzichten solle. Vor dem Endspiel habe ihm Derwall mitgeteilt, „dass er dazu tendiert, dass ich im Endspiel nicht anfange. Ich habe ihm gesagt: »Trainer, Ihre Entscheidung.«“, sagt Hrubesch. Derwall trifft sie pro Hrubesch, und hat damit Glück.

Hrubesch mit Pokal IMAGO

Horst Hrubesch 1980 mit EM-Pokal

Der Bundestrainer hatte die Nationalelf nach der WM 1978 übernommen, die für die deutschen Weltmeister mit einer 2:3-Niederlage gegen Österreich und damit in der Zweiten Finalrunde endete. Diese Pleite firmiert allgemein als „Schmach von Cordoba“. Anschließend blieb die deutsche Elf bis zum Finale von Rom in 19 Spielen ungeschlagen und baute diese Serie nach der EM noch auf 23 Partien aus – Rekord bis heute für eine deutsche Nationalelf. Derwall integrierte junge Spieler wie Karlheinz Förster, Briegel, Schuster und Allofs in sein Team. Im Tor setzte er auf den Kölner Toni Schumacher, der seinem Trainer einen Bruch der Mittelhand verschwieg, den er sich im Abschlusstraining zuzog. Schumacher spielte mit schmerzstillenden Spritzen und hielt in seinem erst siebten Länderspiel durch.

Und Hrubesch? Traf aus 16 Metern zum 1:0 (10.) und zum 2:1, eine Minute vor Schluss. Zuvor hatte René Vandereycken mit einem Strafstoß, der keiner war, ausgeglichen (72.). Das 2:1 fiel im Anschluss an eine Ecke, Rummenigge flankte in den Strafraum, Hrubesch stieg in die römische Nacht, traf den Ball perfekt – Europameister. Hrubesch, der Mann der nicht spielen sollte, wird zum Sieggaranten und muss seine siegbringenden Taten noch zwei Stunden lang erklären.

Die deutsche Elf im Finale: Schumacher – Kaltz, Stielike, Karlheinz Förster, Briegel - Schuster, Hansi Müller, Briegel (55. Cullmann) - Rummenigge, Hrubesch, Allofs.

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