Jimmy Hartwig im Interview„Es muss etwas beim DFB passieren“

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Fußballspieler Jimmy Hartwig

  • Der ehemalige deutscher Fußballspieler spricht im Interview über seine kurzzeitige Präsidentschafts-Kandidatur und die Zukunft des Verbands.
  • Das Gespräch führten Joachim Frank, Lars Werner und Arno Schmitz.

Herr Hartwig, Sie sind 66 Jahre alt und hatten bisher ein sehr bewegtes Leben mit vielen Höhen und Tiefen. Was hatte Sie bewogen, als möglicher DFB-Präsident zu kandidieren?

Ich mache seit acht Jahren ganz intensive – und wie ich denke – hervorragende Arbeit für den DFB in Sachen Integration, Teamfähigkeit und Fairplay. Fußball, das ist in der Öffentlichkeit ja erst einmal der DFB als Verband. Doch die Fußballer da draußen, die C-Klasse, die Jugend, die Kinder, die früher vor der Nationalelf gekniet haben, die jetzt aber nicht einmal mehr vor dem TV zuschauen, die werden meistens vergessen. Ich habe mir gedacht: Das könnte ich besser machen mit Leuten, die mir dabei helfen. Und ich habe auch gedacht, dass die Zeit in Deutschland reif ist für einen Mann an der DFB-Spitze, der hier groß geworden ist, der aber genau weiß, was es heißt, anders auszusehen, anders zu ticken. Der weiß, wie diese Menschen fühlen. Es geht ja nicht nur um Hautfarbe. Es geht auch um Menschen aus Syrien, um Homosexuelle oder Transgender, um Menschen, die vielleicht etwas dicker sind oder anders aussehen. Diese werden oft vergessen. Doch genau für sie will ich da sein. Wissen Sie, ich habe mir immer wieder neue Ziele gesetzt in meinem Leben.

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Und ich will auch im Fußball noch einiges bewegen. Das wäre doch ein Highlight gewesen: Ein Dunkelhäutiger als Präsident – in Deutschland! Die Welt hätte aufgehorcht. Vielleicht kommt auch ein anderer dunkelhäutiger Präsident, vielleicht ein homosexueller oder eine lesbische Präsidentin? Das ist mir alles wurscht. Bloß: Es muss etwas passieren! Ich wurde oft gefragt: Wie kann man denn so heiß sein auf dieses Amt bei einem Verband, der mir in meiner Nationalmannschaftskarriere so oft die Knüppel zwischen die Beine geworfen hatte? Mein Antwort: Man muss im Leben vergessen können.

Sie forderten grundlegende Veränderungen. Welche sind das explizit?

Grundsätzlich: Dass man das Wesentliche nicht vergisst. Ist der DFB bloß die Nationalmannschaft? Sicherlich, die braucht man, um das Geld reinzuholen. Aber wir vergessen doch immer wieder: Die Basis des Fußballs sind die Amateure. Ohne Amateure, ohne Jugendfußball, ohne die Ehrenamtler können wir alles dichtmachen. Ich bin viel unterwegs und höre immer wieder: „Kann der DFB nicht was für uns machen?“ Dann sage ich: „Pass auf, der DFB macht wirklich schon viel. Aber wir müssen gemeinsam was machen.“ Doch das ist verloren gegangen. Die große Fußballfamilie gibt es nicht mehr. Aber ich möchte eine große Fußballfamilie haben.

Klingt schön, aber vielleicht auch ein bisschen naiv.

Fußball ist der größte Integrationsträger der Welt. Wenn ich hoch fliegen würde ins Orbit und lasse einen Fußball runterfallen auf die Erde, dann ist das völlig egal, wo der liegen bleibt: Spätestens nach einer halben Stunde kommt irgendeiner, sieht die Kugel, dann fangen die an zu daddeln! Ob in Afrika, Asien, Amerika oder in der Kölner Südstadt.

Ein Verband wird von oben geführt. Wie sehen Sie den Zustand des DFB an der Spitze?

Die Herren müssten selber wissen, was passieren muss und sollten jetzt wirklich auf das Volk draußen hören. Der DFB braucht da mehr Phantasie, sonst wird er in dieser Hinsicht nie vorankommen. Man muss mehr miteinander reden, alles zusammentragen und dann versuchen, das Beste daraus zu machen.

Ist das nicht ohnehin Grundvoraussetzung?

Ja, sollte es sein. Aber ich will nicht irgendwo hinfahren und dann hören: „Ach hör mir auf mit dem DFB!“ Warum denn? Wir machen doch sehr viel beim DFB. Doch viele Menschen meinen, dass die dort ohnehin nur ans Geld denken. Und das ist ein Todesurteil. Beim DFB arbeiten so viele super Leute in der Otto-Fleck-Schneise, die machen tagtäglich einen geilen Job. Aber die bekommen jedes Mal einen mit, wenn da vorne irgendwas nicht läuft. Das ist sehr schade, denn ich liebe diese Leute, die da arbeiten. Nicht jeder mag mich beim DFB, aber die mich mögen, mit denen arbeite ich ganz eng zusammen.

Wie war die Resonanz auf Ihre kurzzeitige Kandidatur?

Meine Frau, eine Unternehmensberaterin, und ich waren von der positiven Resonanz überwältigt. Wie gesagt: Ich hätte es gerne gemacht. Geht aber nicht.

Und warum geht es nicht? Warum haben Sie nur wenige Tage später Ihre Kandidatur zurückgezogen?

Das ist jetzt schwer zu sagen. Ich habe gesagt, ich mache weiter als Integrationsbotschafter, weil das meine Welt ist da draußen. Wir machen jetzt „Jimmy unterwegs“, das wird ein Riesending. Da gehe ich zu den Vereinen. Da geht es erneut um Jugendarbeit, Ehrenamt, Integration. Nach der Ankündigung meiner Kandidatur müssten die Herren beim DFB doch die positive Resonanz wahrgenommen haben.

Zu Person und aktuellem Film

Jimmy Hartwig (66), geboren in Offenbach, spielte in der Fußball-Bundesliga unter anderem für den Hamburger SV und den 1. FC Köln. Der Stürmer absolvierte zwei A-Länderspiele.

In der Film-Doku „Schwarze Adler“ über schwarze Spielerinnen und Spieler in der Fußball-Nationalelf ist Hartwig einer der Protagonisten. Der Film des Kölner Produzenten Leopold Hoesch (Broadview Pictures) ist auf „Amazon Prime“ abrufbar.

Und dann hätten sie auch sagen können: „Wir können uns vorstellen, den Hartwig mit in den Vorstand zu nehmen.“ Das wäre eine Hausnummer, da wäre ich auch dabei. Es gibt in meinen Augen im DFB keinen, der so nah am Volk dran ist wie Jimmy Hartwig. Ich spreche die Sprache dieser Menschen.

Als Sie Ihren Rückzug begründeten, haben uns zwei Sätze aufhorchen lassen: „Es war nicht mein Ziel, DFB-Präsident zu werden“ und „Das ist eine Nummer zu groß für mich“.

Ja, das ist ein Widerspruch.

In der Tat. Können Sie ihn erklären?

Es war mein Ziel, DFB-Präsident zu werden. Aber nach vielen Gesprächen bin ich zur Auffassung gekommen, dass es vielleicht doch zu schwierig für mich geworden wäre.

Also zu viel Widerstand? Sie erwähnten zudem: „Es hat viel Zustimmung gegeben, die Anderen will ich nicht in den Vordergrund heben.“ Kamen diese „Anderen“ aus dem DFB?

Von außen kam nichts. Wir sollten es jetzt dabei belassen. Ich habe gesagt, ich will Präsident werden, ich habe gemerkt, dass man dann mehr Zustimmung bräuchte. Zum Beispiel von den Landesverbänden, doch die gab es nicht ausreichend. Die Zustimmung der Bevölkerung draußen, von den Vereinen, die war riesig. Aber dann kam auch ein Anruf von meiner Frau, die gerade im Ausland weilte, dass wir noch einmal reden müssen.

Hatten Sie Ihre Frau denn nicht eingeweiht?

Doch, sie wusste Bescheid, aber ich habe den Zeitpunkt der Veröffentlichung meiner Kandidatur vorgezogen. Und sie hat gesagt: „Bist du dir wirklich sicher, dass du schon politisch so gut bist, dass du diese ganzen Fallen, die sie dir stellen werden, überlebst? Bist du sicher, dass du nicht Gefahr läufst, mal auszuflippen – so wie es vielleicht mal deine Art ist? Und bist du dir wirklich sicher, dass du deinen anderen DFB-Job wirklich aufgeben willst?“ Das haben wir alles die ganze Nacht diskutiert.

Um dann zurückzuziehen.

Ja. Ich bin so, wie ich bin. Und lasse mich nicht verbiegen. Ich erwarte und wünsche mir, dass der neue Präsident näher am Bürger ist und vielleicht ein bisschen von Jimmy Hartwig hat.

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