Reiner Calmund im Interview„Der Fußball nimmt niemandem etwas weg“

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Reiner Calmund

  • Reiner Calmund ist ehemaliger Bayer-Manager und „Fußballbekloppter“.
  • Der 71-Jährige gehört in Corona-Zeiten selbst zur Risiko-Gruppe, hofft aber, dass bald wieder gespielt werden kann.
  • Im Interview stellt er klar: „Der Fußball nimmt niemandem etwas weg“ und spricht über Corona-Tests, Geisterspiele und die Finanzen der Klubs.

Herr Calmund, was bedeutet es, dass beim 1. FC Köln drei positive Corona-Tests vorliegen? Ist das für die Pläne der Wiederaufnahme der Bundesliga ein Rückschlag, oder zeigt sich dadurch, dass das Test-System funktioniert?

Reiner Calmund: Das Ergebnis ist für den FC natürlich nicht schön, weil die Betroffenen eine 14-tägige häusliche Quarantäne antreten müssen. Der Trainingsbetrieb kann aufgrund der bereits seit dem 6. April praktizierten Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen wie geplant weiterlaufen. Professor Tim Meyer, Vorsitzender der DFL-Taskforce erklärte dazu, dass man jetzt im Alltag sehe, dass das DFL-Konzept frühzeitig Risiken erkenne und reduziere. Deshalb ist die DFL davon überzeugt, dass sie den Spielern mit dem Konzept die Ausübung ihres Berufs unter bestmöglichem Infektionsschutz ermöglichen kann. Von Bayer Leverkusen, Fortuna Düsseldorf und Borussia Mönchengladbach, weiß ich, dass ihre 50-60 Tests alle negativ waren.

Wie geht es Ihnen eigentlich in der Corona-Krise?

Ich gehöre ja mit 71 Jahren zur Risiko-Gruppe, vor vier Jahren habe ich mir in Asien eine Lungen-Embolie eingehandelt und vor drei Monaten wurde mir der Magen operativ verkleinert. Ich habe bisher alles gut überstanden, nach der OP habe ich über 40 Kilo abgenommen, ich fühle mich topfit. Panik und Angst habe ich vor Corona nicht, allerdings Respekt.

Vermissen Sie den Fußball in der fußballlosen Zeit?

Ich bin und bleibe ein Fußballbekloppter und hoffe, dass es bald wieder losgeht. Doch an erster Stelle steht momentan die Gesundheit meiner Familie, die ist mir jetzt eindeutig wichtiger als der runde Ball. Letztlich entscheidet die Politik, ob und wann der Bundesliga-Spielbetrieb fortgesetzt werden kann.

Wie groß ist Ihr Vertrauen in die Politik? Haben die Bundesliga-Klubs alles Mögliche getan, um auch die Zustimmung der Regierung zu bekommen?

Wir sind ja das Land der Chef-Bedenkenträger und Dauernörgler. Für mich hat unsere Regierung die Krise bisher gut gemeistert, ein weltweiter Vergleich bestätigt dies auch objektiv. Natürlich gab es von den Experten auch schon mal einen scheinbaren Zickzack-Kurs, dies allerdings als Ergebnis neuer Erkenntnisse und Lernprozesse. Die machen das nicht aus Jux und Dollerei. Man muss immer wieder berücksichtigen, dass keiner bei dieser Pandemie auf Erfahrungswerte zurückgreifen konnte. DFL-Chef Christian Seifert hat mit der Task Force ein erstklassiges und umfangreiches Konzept vorgestellt, von den Ministerien und Gremien gab es dafür viel Lob. Mit den Chef-Ärzten der Vereine gibt es regelmäßig Konferenzen, in denen alle Details einer optimalen hygienischen und medizinischen Betreuung und Sicherheit klar festgelegt sind.

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Ist das nicht eine allzu optimistische Sichtweise?

Die Bundesliga ist mit modernster Technologie, Hightech-Geräten und erstklassigem Personal in der medizinischen Infrastruktur besetzt und kann so das Konzept perfekt umsetzen. Am Beispiel von Bayer 04 mit 30 hauptamtlichen medizinischen Mitarbeitern, davon vier festangestellten Ärzten, drei Vertrags-Ärzten, 15 Physio-Therapeuten, Fitnesstrainern, Ernährungsberater und einem externen Pool an Fachkräften kann man die Qualität und das Know-how erkennen. Gehen Sie davon aus, dass die anderen Bundesliga-Klubs ähnlich strukturiert sind.

Wie stehen Sie zur Kritik über unnötige Corona-Tests aus der Bundesliga?

Bei den Tests wird der Profi-Fußball niemandem etwas wegnehmen. Das Robert-Koch-Institut hatte in der vergangenen Woche eine Test-Kapazität von 820 000, in Anspruch genommen wurden 320 000. Dr. Müller, Vorsitzender der Fachverbände akkreditierter Labore, und auch der Virologe Professor Alexander Kekulé sehen keine Kapazitäts-Probleme durch Tests aus der Bundesliga.

Viele Menschen können dennoch nicht akzeptieren, dass die Bundesliga wieder spielen darf – Kinder, Jugendliche und Amateure aber nicht?

Ich bin ein großer Anhänger des Jugendfußballs und drücke ihnen und den Amateuren die Daumen, dass sie so schnell wie möglich als Hobby-Fußballer wieder dem Ball hinterherjagen können. Die Vereine in den beiden höchsten Ligen sind jedoch finanzstarke Wirtschafts-Unternehmen und ihre Kicker üben Fußball als Beruf aus. Wir dürfen eines nicht vergessen: Hier geht es um Jobs, um eine Industrie, um Arbeitslose. Das tröstet die Kinder nicht, ist aber ein elementarer Unterschied.

Die Bundesliga wird oft wegen der immens hohen Gehälter und der Show-Ausfälle von einigen Stars wie Ribery mit dem goldenen Steak in der Kritik. Wird und muss sich nach der Krise etwas verändern?

Die Gehalt-Explosion hat sich eindeutig negativ ausgewirkt. Selbst Karl-Heinz Rummenigge hat als Präsident der Europäischen Klub-Gemeinsacht gemeinsam mit der Uefa bei der EU versucht, die Gehälter zu deckeln. Die EU hat dem Antrag nicht zugestimmt, damit ist solch ein Vorgehen rechtlich nicht möglich. Die EU droht sogar mit sehr hohen Strafen und Geldbußen, wenn die Vereine gegen den Wettbewerb auf dem freien Arbeitsmarkt verstoßen. Ich hoffe aber, dass die Politik die Vereine und Verbände beim Bestreben nach Gehalts-Obergrenzen erfolgreich unterstützen kann, zumal auch die reichen Klubs aus England und Spanien das grundsätzlich befürworten. Große verrückte Exzesse haben im Fußball nichts verloren, man muss auch den verrücktesten Stars klarmachen, dass sie ein Vorbild für die Jugend sind.

Aber wo liegt der Unterschied zwischen Fußball- und Wirtschaftsunternehmen?

Zunächst im Produkt oder der Dienstleistung. Aktuell brauchen unsere Profi-Klubs bei einem Jahres-Umsatz von 4,8 Milliarden auch in der aktuellen Krise keine finanzielle staatliche Unterstützung. Dagegen benötigen selbst börsennotierte Konzerne, man spricht von 20 DAX bzw. M-DAX Unternehmen, zur Aufrecht-Erhaltung des Geschäftsbetriebes, staatliche Unterstützungen in Milliarden-Höhe. Das ist kein Vorwurf, sondern Realität in dieser schwierigen Krise. Unsere Bundesliga-Vereine beschäftigen mittelbar und unmittelbar rund 57 000 Mitarbeiter und zahlen jährlich etwa 1,4 Milliarden Euro Steuern und Sozialabgaben an den Staat. Der Profi-Fußball muss nicht staatlich subventioniert werden.

Die Politikerin Katja Kipping fordert, dass die Bundesligaspiele auch bei ARD und ZDF zu sehen sein müssten. Wie bewerten Sie diesen Vorstoß der Partei „Die Linke“?

Den politischen Einwurf von Frau Kipping kann ich grundsätzlich verstehen. Allerdings sollte die Politik die Reihenfolge einhalten. Erst Grünes Licht für die Geisterspiele, dann kann man mit Sky sprechen. Es gibt ja bekanntlich feste Verträge für viel Geld, da sind hemdsärmelige Forderungen fehl am Platz. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass der neue Sky-Chef Devesh Ray eine Lösung mit viel Empathie mit der DFL finden könnte. Ich halte Normalität mit viel Begeisterung gerade jetzt wichtig für die Stimmung im Land. Dafür ist die Fortsetzung des Liga-Betriebs bestens geeignet.

Wie würden sie als Vereins-Boss reagieren, wenn die Geisterspiele nicht genehmigt würden und so ein Verlust von über 750 Millionen für die Klubs entstehen würde?

Es wäre eine radikale Kürzung der Kosten erforderlich, die man effektiv nur bei den Gehältern der Spieler erzielen könnte. Ich würde den Spielern erklären, dass ich in meinen 71 Jahren noch nie solch eine Gesundheits- und Wirtschaftskatastrophe erlebt hätte und ich ihren Anspruch auf Gehalt nur mit einem Banküberfall lösen könnte. Normal liegt das Betriebsrisiko beim Arbeitgeber, der renommierte Kölner Anwalt für Arbeitsrecht, Stefan Seitz, verwies allerdings auf eine aktuell höchstrichterliche Entscheidung. Bei drohender Pleite oder Betriebs-Not, kann der Arbeitgeber die Zahlungen kürzen oder einstellen, ohne dass der Vertrag ungültig wird. In diesem Zusammenhang muss man fairerweise erwähnen, dass die Profis bereits auf viele Millionen freiwillig verzichtet haben.

Wie bewerten Sie die finanzielle Situation von Köln, Gladbach, Düsseldorf und Bayer 04 Leverkusen?

Ich gehe fest davon aus, dass mit der Austragung von Geisterspielen kein Verein finanzielle Probleme bekommt. Bei einer Absage durch die Bundesregierung geht der Liga-Verlust von rund 750 Millionen natürlich an keinem Klub vorbei, die müssen dann den Gürtel massiv enger schnallen, um existenzielle Auswirkungen zu verhindern. Dass der Transfermarkt sich für die kommende Saison beruhigt ist logisch, allerdings gehe ich fest davon aus, dass die Bayer 04-Führung Kai Havertz nicht zu einem Schnäppchen-Preis verkaufen wird. Trotz Corona sprechen einige Fakten für Bayer. Kai Havertz ist mit 20 Jahren leistungsstärker als Michael Ballack und Emerson, die auch absolute Weltklasse waren. Mit Real Madrid, Bayern München, Liverpool und Co. ist die Beletage der Königsklasse an ihm interessiert und sein Vertrag läuft noch bis 2022. Die realistische Transfersumme liegt um 100 Millionen.

Das Gespräch  führte Lars Werner 

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