Sportmediziner Sörgel„Es geht um das Ende des Fußballs, wie wir ihn kennen“

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Die Bundesliga wird am Wochenende fortgesetzt.

  • Am Wochenende sollen die Bundesligen mit Geisterspielen fortgesetzt werden.
  • Es gibt Kritik am Hygiene-Konzept der DFL. Doch der Sportmediziner Fritz Sörgel unterstützt das Vorgehen, er vergleicht die Situation mit einer wissenschaftlichen Studie.
  • Im Interview spricht Sörgel zudem über den fast zum Erliegen gekommenen Kampf gegen Doping.

Köln – Herr Professor Sörgel, am Samstag beginnt die Fußball-Bundesliga unter außergewöhnlichen Umständen mit ihrem Spielbetrieb. Es gibt viele Kritiker dieses Großversuchs, Sie gehören nicht dazu. Warum?

Die Sache hat den Charakter einer wissenschaftlichen Studie. Ein solches Konzept, rund 1700 Personen in einer Hygiene-Zone inmitten einer Pandemie konsequent zu testen, ist so noch nie irgendwo durchgeführt worden. Alles ist bis ins Detail geregelt. Wo die Spieler sich aufhalten dürfen, wie sie von A nach B gehen. Das ist alles sehr durchdacht. Schwächen gibt es  immer wieder, wie der Fall Kalou von Hertha BSC gezeigt hat.

Welchen wissenschaftlichen Nutzen kann solch eine Studie haben?

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Ich nehme  einmal das Beispiel Dresden. Zwei Spieler, die zuvor mehrfach negativ getestet wurden und mutmaßlich kein hohes Ansteckungsrisiko hatten, werden plötzlich positiv getestet. Das kann sich im Moment keiner erklären. Solche Fälle werden jetzt dokumentiert. Es findet eine Beobachtung von besonderen Situationen statt, in denen Menschen mit anderen auf eine Weise in körperlichen Kontakt kommen, wie es in der Corona-Zeit mit ihrem Abstandsgebot nicht möglich sein sollte. Wenn es woanders stattfände, wäre es inakzeptabel. Im Fußball muss es gemacht werden. In den beiden Bundesligen geht es um über 160 Spiele, wenn die Saison zu Ende gespielt werden könnte. Wenn jetzt kein einziger der Gruppe mehr positiv getestet würde, würde das  Fragen aufwerfen. Ich finde das ganze Thema unglaublich spannend. Man wird auch Daten dafür bekommen, unter welchen Bedingungen Spiele in der neuen Saison, die im Herbst beginnen soll, überhaupt stattfinden können. Es geht um nicht weniger als das Ende des Fußballs, wie wir ihn kennen, um Teamsportarten mit viel Körperkontakt generell.

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Geht für  die Spieler und  die Öffentlichkeit von diesem Konzept eine Gefahr aus?

Worin soll die Gefahr liegen? Ich sehe die eigentliche Gefahr eher für die Fußballer, wenn sie diese Blase einmal verlassen. Besser geschützt als diese Spieler und ihr Umfeld im Moment ist niemand.  Sie leben ja in dem Hygiene-Konzept der DFL, man könnte fast sagen unter  „sterilen“, künstlichen Lebensbedingungen. Normale Menschen müssen raus und einkaufen oder zur Arbeit. Die Fußballer müssen das nicht. Von ihnen kann logischerweise keine Bedrohung für die Menschen draußen ausgehen.

Ist denn diese Test-Gruppe des Fußballs wissenschaftlich überhaupt repräsentativ?

Von der Altersverteilung und der Geschlechterverteilung sicher nicht. Es sind weder extrem alte Menschen noch Kinder vertreten. Dennoch werden die Daten ihren Wert haben, denn sie beschreiben eine Gruppe in der Pandemie unter besonderen Umständen.

Wie und wo sollten die Daten, wenn sie insgesamt vorliegen, veröffentlicht werden?

Professor Tim Meyer und Professor Barbara Gärtner, die das Konzept für die DFL mit ausgearbeitet haben, sind an der Universität des Saarlandes, und ich nehme an, sie werden genügend akademischen Ehrgeiz haben, es selbst zu publizieren. Und ich hoffe schnell. Ich denke, dass die Daten auch dem Robert Koch-Institut zur Verfügung gestellt werden. Die Gesellschaft wird auf die Daten wohl zurückgreifen können, aber zunächst  werden sie von der Taskforce und der DFL erhoben, deshalb haben sie  das Recht, sie zu publizieren.

Wie beurteilten Sie das Geschehen aus der Sicht des Doping-Experten?

In der Bundesliga sollen Doping-Proben weiterhin stattfinden. Das ist ausdrücklich im Konzept der DFL so vorgesehen.

Im Weltsport sind  die Tests zum Erliegen gekommen.

Das kann man so sagen. Dr. Mario Thevis in Köln hat ja gesagt, dass sie nur noch fünf bis zehn Prozent der Tests, die normal stattfinden, durchführen. Es finden keine Wettbewerbe statt, es existieren Reisebeschränkungen. Die Tester tragen auch ein Risiko. Das Doping-Problem ist in der Liste der dringlichen Probleme auf der Welt weiter nach unten gerückt. Viele Sportler können machen, was sie wollen.

Wie ist Ihre Prognose für die Rückkehr zu einer Normalität im Sport mit Publikum? Müssen alle auf einen wirksamen Impfstoff warten?

Nicht unbedingt. Ich sehe die Möglichkeit der schrittweisen Anpassung. Im Moment dürfen, auch bei uns in Bayern, die Gaststätten bald wieder öffnen, der Großhandel arbeitet wieder, man kehrt schrittweise in einen Alltag unter Auflagen zurück. Ich weiß nicht genau, wie realistisch das ist, aber wenn man sagen könnte: Der Zugang von Menschen zum Stadion kann so geregelt werden wie der Zugang der Kunden zum Ikea, und es wäre möglich, im Stadion die notwendigen Abstände einzuhalten, dann wüsste ich ehrlich gesagt nicht, was dagegen einzuwenden wäre, Spiele vor reduziertem Publikum zuzulassen. Wie es dann letztlich umgesetzt wird, das würde man sehen müssen. Die Dinge ändern sich ja praktisch täglich.

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