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Interview

Marian Wilhelm
„Bei Viktoria Köln herrscht kein Jugendwahn“

8 min
Marian Wilhelm, neuer Trainer von Viktoria Köln

Marian Wilhelm, neuer Trainer von Viktoria Köln

Marian Wilhelm, neuer Trainer der Viktoria, über sein junges Team, finanzielle Zwänge und die Ziele in Höhenberg

Herr Wilhelm, mehr als die Hälfte der Sommervorbereitung ist vorbei. Wie zufrieden sind Sie mit der Mannschaft?

Es macht unglaublich Spaß, mit den Spielern zu arbeiten. Ich glaube, wir haben eine extrem hungrige Gruppe zusammen, die wirklich viel aufsaugt, die im Prozess sehr wissbegierig ist und sehr motiviert. Wir haben viele Neue dabei, aber auch eine Achse von Arrivierten. Es ist beeindruckend, was sie vorleben – auf und neben dem Rasen. Manchmal wirkt es, als hätten wir drei, vier Trainer mehr auf dem Platz. In den letzten Wochen der Vorbereitung werden wir noch einmal Vollgas geben.

Die Ergebnisse der bisherigen Testspiele waren durchwachsen. Vermutlich auch, weil es viel Einsatzzeit für Nachwuchskräfte gab.

Ich glaube, in der Vorbereitung geht es nicht um Ergebnisse. Es geht um die Art und Weise, es geht um den Prozess, die Fortschritte, die wir machen. Es ist schön, die Jugendspieler zu sehen. Für sie ist es spannend, dabei zu sein. Das zeichnet den Weg der Viktoria ja auch aus. Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass sich jetzt auch der Profikader einspielt. Darum wird es in den nächsten Testspielen gehen – bislang hatten wir oft gemischte Teams, wo man dann auch einen großen Leistungsunterschied gesehen hätte, was ja auch ganz normal ist. Es wäre schlimm, wenn man keinen bemerken würde. Wir machen immer weiter Schritte nach vorn. Aber wir sind noch nicht da, wo wir für den Ligastart sein müssen. Zum Glück haben wir noch ein bisschen Zeit.

Die Viktoria hat zwölf externe Zugänge verpflichtet. Sind die Planungen damit abgeschlossen?

Es war wichtig, dass wir mit Verthomy Boboy und Leander Popp noch zwei Lücken schließen konnten. Damit ist der Kader erst einmal gut besetzt, schon früh in der Vorbereitung. Aber wir haben immer gesagt, dass wir handlungsfähig sind, wenn noch etwas Passendes kommt – jemand, der uns wirklich weiterhelfen würde.

Ihr Kader ist im Schnitt 23,9 Jahre alt, inklusive Stand-by-Keeper Kevin Rauhut. Nur die Reserveteams von Stuttgart und Hoffenheim sind noch jünger. David Otto ist mit 26 der älteste Zugang. Ist diese Kaderzusammensetzung gewünscht oder ein Ergebnis der wirtschaftlichen Zwänge?

Es gehört zusammen. Entstanden ist der Weg, weil wir unsere Herangehensweise ändern mussten und umstrukturiert haben. Mit vielen jungen Spielern ist es natürlich günstiger – für die kommende Saison haben wir den drittkleinsten Etat der Liga. Aber es ist kein Jugendwahn, der hier herrscht. Wir machen es aus Überzeugung. Die letzte Saison hat ja gezeigt, was möglich ist, wenn wir Spieler entwickeln. Uns geht es in erster Linie um ihr Mindset. Und das ist unabhängig vom Alter. Wir wollen niemanden haben, der auf sich und seine Leistung guckt und sagt: Ich bin fertig. Das machen auch Chris Greger mit 28 nicht oder Simon Handle mit 32. Wir wollen Spieler, die ständig besser werden möchten und nicht zufrieden mit dem aktuellen Stand sind. Gerade bin ich sehr zufrieden mit der Struktur des Teams. Wie es letztlich auf dem Feld funktioniert, wird die Saison zeigen. Klar ist: Wir wollen und müssen ein Ausbildungsverein sein.

Fürchten Sie, dass in kritischen Phasen der Saison fehlende Erfahrung ein Faktor werden könnte?

Ich glaube, dass wir die Verantwortung gut auf vielen Schultern verteilen werden. Wir haben viele junge Spieler im Kader, aber einige sind schon seit Jahren im Herren- und Drittliga-Bereich unterwegs, wie zum Beispiel unsere früheren NLZ-Spieler Jonah Sticker und Florian Engelhardt. Die haben schon viel mitgemacht. In jungen Jahren Verantwortung zu übernehmen, sehe ich auch als Chance. Die bietet sich nicht bei vielen anderen Vereinen. In der vergangenen Saison gehörten Verl, Bielefeld und wir zu den jüngsten Teams. Das hat keine der Mannschaften daran gehindert, erfolgreichen Fußball zu spielen. Und so ehrlich muss man sein: Spieler, die unser komplettes sportliches Anforderungsprofil erfüllen und dazu noch viel Erfahrung mitbringen – die können wir uns in der Regel nicht leisten. Darum gehen wir einen anderen Weg.

Sie hatten ein Jahr Zeit, sich auf Ihren ersten Cheftrainer-Posten im Profibereich vorzubereiten. Gestaltet sich der Alltag so, wie Sie es sich vorgestellt haben?

Grundsätzlich bin ich niemand, der zu weit in die Zukunft blickt. Aber es ist auch keine zu große Umstellung, weder für die Mannschaft noch für mich. Ich war ja gerade im letzten Jahr schon sehr aktiv. Und in den Jahren zuvor habe ich die Philosophie des Vereins und des NLZ mitgestaltet. Die Rolle als Chef ist natürlich eine andere – man trägt mehr Verantwortung. Aber sie macht großen Spaß. Man muss aber sehen: Jetzt ist Vorbereitung. Die richtige Herausforderung startet erst mit dem Saisonbeginn. Darauf bin ich sehr gespannt.

Sie mussten Ihre Spielerkarriere wegen einer Verletzung früh beenden.

Zunächst finde ich, dass „Spielerkarriere“ etwas hochgegriffen ist – das ist mir wichtig. Man kann vielleicht von einer Laufbahn sprechen. Ich war kein Riesentalent. Ich konnte viel laufen und einigermaßen gegen den Ball treten. Aber es wäre auch ohne Verletzung niemals hoch hinausgegangen. Trotzdem war es meine Leidenschaft, und es tat weh, als mir gesagt wurde, dass es unklar ist, ob ich je wieder spielen kann. Letztlich hat es dann auch nie wieder in dem großen Umfang geklappt.

War Ihnen sofort danach klar, dass es in Richtung Trainerjob gehen sollte?

Erst einmal bin ich im Rahmen eines sozialen Jahres nach England gegangen und habe dort an einer Sport-Uni mit Menschen mit Einschränkungen gearbeitet. Gleichzeitig konnte ich ein paar Vorlesungen besuchen. Ich hätte gerne richtig studiert, habe aber leider kein Stipendium bekommen – und ich komme aus keinem betuchten Elternhaus. Deshalb ging es dann an die Spoho nach Köln. Erst habe ich Sportmanagement studiert, dann aber schnell gemerkt, dass ich in die Trainerschiene reinmöchte. Ich habe den Studiengang gewechselt – ihn aber leider nie beendet, weil ich irgendwann hier bei der Viktoria so viel Zeit und Mühe investiert habe. Später kamen dann auch die ganzen Trainerscheine. Wenn ich mich einer Sache verschreibe, dann zu 100 Prozent.

Sie waren viele Jahre Jugendtrainer. Wann haben Sie sich dazu entschlossen, den Schritt in den Profibereich zu gehen?

Im Jugendbereich hat man in der Regel nur ein oder zwei Jahre mit den Jungs – bei den großen Talenten manchmal nur Monate, bis sie hochgezogen werden. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass ich gerne mehr Zeit mit ihnen hätte, um sie noch länger bei ihrer Entwicklung zu unterstützen. Irgendwann gab es bei der Viktoria dann das Commitment, ein Ausbildungsverein zu werden. Das hat dann sehr gut zu meinem Ansatz als Jugendtrainer gepasst – ich habe diese Rahmenbedingungen ja selbst geprägt. So kam dieser Entschluss ganz natürlich, und auch meine Entwicklung war ganz organisch. Ich glaube nicht, dass sie so, auch mit der einjährigen Übergabe von Olaf (Janßen, d. Red.) an mich, woanders hätte funktionieren können.


Zur Person: Marian Wilhelm (36), geboren in Berlin, arbeitet seit Anfang 2010 für Viktoria Köln – damals noch SCB. Über die Jahre war als Trainer für viele Jugendteams verantwortlich. Co-Trainer wurde er im Sommer 2024, zur neuen Saison hat er den Cheftrainer-Posten von Olaf Janßen übernommen. Wilhelm ist verheiratet und hat zwei Kinder. (ckr)


Ohne Viktorias Paradigmenwechsel hin zu einem Ausbildungsverein wären Sie heute kein Cheftrainer?

Das kann durchaus sein. Als wir in die Dritte Liga aufgestiegen sind, hatten wir die älteste Mannschaft. Das hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Gerade in den letzten vier Jahren unter Olaf haben wir diese andere Herangehensweise auf einen sehr guten Weg gebracht. Darum finde ich es auch wichtig, dass wir zur neuen Saison trotz der vielen Zugänge nicht von einem Umbruch oder Neuanfang sprechen. Wir wollen den Weg fortsetzen. Denn für uns ist es ein Zeichen des Erfolgs, wenn uns Spieler in Richtung höherer Ligen verlassen: Said El Mala ist beim 1. FC Köln in der Bundesliga, Sidny Cabral ist in die erste portugiesische Liga gewechselt, Semih Güler in die 2. Bundesliga, Zoumana Keita – mit Anderlecht zu einer echten Größe in Europa – und Enrique Lofolomo ebenfalls in die 1. Belgische Liga. Das wird unser Weg bleiben.

In wenigen Sätzen: Wofür steht Viktoria Köln aus Ihrer Sicht?

Viktoria steht für harte Arbeit – von den Jugendmannschaften bis nach oben. Das, wofür die ganze Schäl Sick steht. Wir wollen mit unserem Fußball positive Emotionen wecken – Leidenschaft und Begeisterung. Wenn wir Fehler machen, bügeln wir sie selbst aus. Dafür brauchen wir keinen Patzer des Gegners oder den Schiedsrichter. Wir nehmen es selbst in die Hand.

Wann würden Sie von einer erfolgreichen Saison der Viktoria sprechen?

Oberstes Ziel sind die 45 Punkte – die wollen wir so schnell wie möglich erreichen. Bestenfalls wollen wir den Stress unten in der Tabelle ganz vermeiden. Erfolgreich sind wir auch, wenn deutlich wird, dass sich die Spieler weiterentwickelt haben. In den letzten Jahren konnten wir den Zuschauerschnitt immer weiter steigern – das möchten wir fortsetzen. Als Team haben wir da viel Einfluss drauf. Wir wollen als Gruppe in der Lage sein, jeden Gegner zu schlagen. Das ist unser Auftrag. Bis dahin wartet noch harte Arbeit im Training auf uns.