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Rad-Star Schachmann„Das sind Freundschaften. Ich werde niemanden im Stich lassen“

Lesezeit 7 Minuten
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Erschöpft und glücklich: Maximilian Schachmann nach seinem Sieg

  1. Maximilian Schachmann ist eine der großen deutschen Radsport-Hoffnungen.
  2. Zuletzt gelang ihm nach einem starken Auftritt der Sieg bei der prestigeträchtigen Fernfahrt Paris-Nizza.
  3. Im Interview spricht Schachmann über seinen Erfolg und die Folgen der Coronakrise – die sich während seiner Triumphfahrt in Frankreich richtig entfaltet hatte.

KölnHerr Schachmann, wie geht es Ihnen gerade?

Gesundheitlich geht es mir gut: kein Schnupfen, kein Husten, kein Infekt. Alles bestens. Aber mental ist es schwierig zurzeit, denn die Gesamtsituation rund um die Auswirkungen des Coronavirus bereitet mir große Sorgen. Es ist gefühlt so,  die  Weltwirtschaft bald stillstehen könnte. Der Sport ist ja auch ein Wirtschaftszweig, eine Werbeindustrie. Wir Sportler werden die Auswirkungen der Coronakrise gewiss  wirtschaftlich zu spüren bekommen.

Aus dem Bereich des Fußballs ist eine Diskussion über Lohnverzicht der Topverdiener zu vernehmen, um den Betrieb aufrechtzuerhalten. Wie stehen Sie als Radprofi des Teams Bora-hansgrohe zu diesem Thema?

Na klar helfe ich, wenn es so weit kommen sollte. Wir haben ja nicht nur fast 30 Fahrer in unserem Team, dazu gehören insgesamt gut 70 Angestellte. Mit einem Teil von ihnen, seien es Mechaniker oder Physiotherapeuten, verbringe ich einen Großteil meiner Zeit, mehr als mit meiner Lebensgefährtin. Da entstehen Freundschaften. Ich werde niemanden im Stich lassen.

Zur Person

Maximilian Schachmann, geboren am 9. Januar 1984 in Berlin, wohnt derzeit mit seiner Lebensgefährtin Josephine am Schweizer Ufer des Bodensees. Schachmann, aktuell Deutscher Meister, ist ein für die Klassiker und Rundfahrten prädestinierter Fahrer: stark in den Bergen und im Zeitfahren, dazu mit einem außergewöhnlichen Renninstinkt ausgestattet. 2018 gewann er je eine Etappe des Giro d’Italia und der Deutschland-Tour, 2019 drei Etappensiege bei der Baskenlandrundfahrt, dazu kam ein Tageserfolg bei der Katalonien-Rundfahrt. Im März siegte Schachmann bei Paris-Nizza. (skl)

Vor einer Woche haben Sie Ihren größten Erfolg als Radprofi gefeiert, als Sie die Fernfahrt Paris-Nizza gewonnen haben. Wie ist die Woche danach für Sie verlaufen?

Die Woche war sehr stressig. Der Grund dafür war natürlich der Erfolg, danach hatte ich sehr viele Telefonate zu führen. Aber ich habe auch sehr viel trainiert. Am Freitag und Samstag war ich jeweils sieben Stunden mit dem Rad unterwegs. Ich wohne ja am Schweizer Ufer des Bodensees. Ich bin   einmal 173 Kilometer und einmal knapp 180 Kilometer durch die Berge gefahren mit jeweils 3000 Höhenmetern. Damit will ich sagen: Ich wäre bereit gewesen, jetzt erfolgreich Rennen zu fahren. Bei Paris-Nizza hatte ich eine super Form. Ich hätte  schon gerne herausgefunden, was für mich bei den Ardennen-Klassikern Ende April und beim Giro d’Italia im Mai möglich gewesen wäre. Geht aber leider nicht. Denn all diese Rennen sind verlegt worden – was ich übrigens komplett richtig finde.

Was hören Sie von Ihrem Team? Gibt es Trainingsaufträge an Sie?

Eine Trainingsanweisung gibt es nicht direkt, allerdings indirekt über meine Trainer Dan Lorang, der ja auch beim Team angestellt ist. Mein Ziel ist es, dass ich bald wieder Radrennen fahren kann, und dass ich schnell und erfolgreich  fahre. Ich muss nun überlegen: Was kann ich dafür tun? Ich kann weiter diszipliniert trainieren als Radprofi, und ich muss meinen Teil dazu beitragen, dass diese Krise schnell überstanden wird. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als solo auf meinem Rad zu trainieren und anschließend zu Hause zu bleiben. Ich gehe nur dann einkaufen, wenn es nötig ist.

Wie verläuft die Kommunikation mit Ihrem Trainer?

Am Montag gibt es eine Videokonferenz mit Dan und anderen Fahren, um uns   zu motivieren, um noch mal klar zu machen, was das Team mit uns vorhat. Mal sehen, was er dann noch so von mir auf dem Rad verlangt.

Marc Madiot, der Teamchef der französischen FDJ-Mannschaft wies darauf hin, dass es künftig Rennen mit zwei Geschwindigkeit geben könne. Denn es sei ja nun mal so, dass Radprofis in Frankreich, Spanien und Italien wegen der Ausgangssperren nicht trainieren können. Was denken Sie darüber?

Marc Madiot hat komplett Recht. Meine Trainingssituation ist komfortabel, das ist sie für einen in Frankreich lebenden Kollegen derzeit aber überhaupt nicht. Das sehe ich als problematisch an, sollten wir in absehbarer Zeit Wettkämpfe bestreiten. Das gilt auch für die Olympischen Spiele in Tokio. Ein Teil der Athleten kann trainieren, ein anderer Teil nicht. Wo ist denn das fair? Ich bin zudem geschockt, dass es mit den nicht stattfindenden Dopingkontrollen derzeit so heftig ist. Wir haben in dieser Woche eine E-Mail von der Nationalen Anti Doping Agentur  bekommen, die uns darüber informiert hat, dass das Dopingkontrollsystem heruntergefahren wird. Allerdings werde es deutlich reduziert weiter bestehen, um faire Wettkämpfe bei Olympia zu gewährleisten. Da hab ich gedacht: »Warum muss man das denn nun allen schicken und publik machen? Warum behält man das nicht für sich?« Das ist ja eine Einladung – nicht für mich, weil ich Doping strikt ablehne. Aber für die Leute, die vielleicht schon mal darüber nachgedacht haben. In anderen Ländern läuft das System wahrscheinlich gar nicht mehr. Das ist ein großes Problem.

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Glauben Sie, dass die Olympischen Spiele, bei denen Sie auch starten wollten, zum vorgesehenen Zeitpunkt im Juli und August in Tokio stattfinden können?

Selbst wenn wir es bis zum Juli schaffen sollten, die erste Corona-Welle abzufangen und die Gesundheitssysteme nicht zu überlasten,  könnte die Großveranstaltung Olympische Spiele doch dazu führen, dass wir gleich die nächste Welle haben. Insofern werden die Spiele meiner Meinung nach eher nicht im Juli und August stattfinden können.

Bei den sieben Etappen von Paris-Nizza waren Sie in der zweiten März-Woche einer der wenigen Sportler, der mit seinen Kollegen seiner Arbeit nachgehen konnte. Wie war die Situation vor Ort?

Es gab nicht viel Ambiente, es gab nicht das, was den Radsport ansonsten auszeichnet: viele Zuschauer am Straßenrand. Das war unter diesen Umständen aber genau richtig so, weil es für das Verantwortungsbewusstsein der Bevölkerung spricht, das Rennen diesmal vor dem Fernseher zu genießen. In den neun Tagen von der Anreise am 5. März bis zur letzten Etappe am 14. März ist zudem sehr viel passiert. Mich hat immer mehr ein komisches Gefühl beschlichen, weil fast alle Sportevents in dieser Zeit abgesagt wurden, zudem alle kulturellen Veranstaltungen, Theater, Kino, Konzerte – nur der Radsport fährt von Paris nach Nizza. Das war schon skurril. Aber ich habe die Verantwortung in die Hände der Veranstalter gelegt und mich darauf verlassen, dass sie  im Sinne aller – der Sportler und der Gesellschaft – handeln.

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Ein strahlender Sieger: Maximilian Schachmann

Letztlich haben Sie das Rennen gewonnen. Wie haben Sie den Moment des Erfolgs wahrgenommen?

Das war ein besonderes Gefühl. Volle Zufriedenheit. Glück auch, ja, aber das kommt dann erst später. Denn ich war echt kaputt. Ich habe auch eine große Erleichterung gespürt. Ich habe so ein Rennen noch nicht gewonnen in meiner Karriere. 

Der letzte Anstieg der letzten Etappe, eine Bergankunft, war über 16 Kilometer lang und hatte eine durchschnittliche Steigung von 6,3 Prozent. Sie konnten nicht nur Ihr Gelbes Trikot verteidigen, sondern am Ende auch mit den besten Bergfahrern der Welt mithalten. Was bedeutet Ihnen das?

Das ist ein großartiges Gefühl. Da wollte ich immer hin. Das Fahren um den Sieg einer Rundfahrt hat mich als Kind immer schon fasziniert. Die Klassiker kamen erst später in mein Blickfeld. Dass ich so eine prestigeträchtige Rundfahrt gewonnen habe, zeigt mir, dass sich meine ganze Arbeit, der ganz Schweiß, die vielen Stunden Training auszahlen. Das gibt mir eine Extra-Motivation für die kommenden  Jahre. Ich werde jetzt probieren, noch besser zu werden.

Was geht für Sie bei einer dreiwöchigen Rundfahrt wie der Tour de France?

Ich weiß es noch nicht so richtig. Bei einer dreiwöchigen Rundfahrt hat man so eine Bergetappe, wie wir sie bei Paris-Nizza am letzten Tag hatten, gleich dreimal  hintereinander. Das ist schon noch mal was anderes – vom Rennverlauf her,  von dem, was einem als Rennfahrer abverlangt wird. Natürlich war mein Erfolg ein großer Schritt in diese Richtung. Am Ende muss ich einfach ausprobieren, bei einer dreiwöchigen Rundfahrt aufs Klassement zu fahren. Das möchte ich aber in Zukunft auf jeden Fall für mich in Angriff nehmen. Dan und ich sammeln immer mehr Erfahrungen und Werte, um zu sehen,  was ich drauf habe. Mein Trainer Dan Lorang ist sehr erfahren und weiß, was man leisten können muss, um bei einer dreiwöchigen Rundfahrt konkurrenzfähig zu sein. Er  sieht da aktuell eine Möglichkeit für mich.