Mit jahrzehntelanger Verspätung behandelt Borussia Dortmund die Missbrauchsvorwürfe gegen einen Ex-Manager auf großer Bühne.
Mutmaßlicher Missbrauch beim BVBWatzke muss liefern

Die Mitgliederversammlung wählte Hans-Joachim Watzke zum BVB-Präsidenten. /Dennis Ewert/RHR-FOTO
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Darauf mussten die mutmaßlich Betroffenen lange warten. Borussia Dortmund hat die Missbrauchsvorwürfe gegen einen langjährigen Manager auf der Mitgliederversammlung auf eine große Bühne gehoben. Tausende Menschen verfolgten die Veranstaltung, darunter die aktuellen Profispieler, große Namen aus den vergangenen Jahrzehnten, Fans aller Altersklassen. Und in diesem Kontext wichtig: Auch die Nachwuchsspieler waren anwesend, als vom Podium erstmals eine Entschuldigung denen gegenüber ausgesprochen wurde, die Leid erfahren haben sollen.
Eine öffentliche Debatte ist wichtig, damit zukünftige Generationen besser vor Gewalt geschützt werden können und Betroffene ermutigt werden, sich Hilfe zu holen und an einer Aufklärung mitzuwirken.
Im Fall von Borussia Dortmund sind einige der mutmaßlich Betroffenen heute Familienväter, manche sitzen noch regelmäßig mit einer Dauerkarte im Stadion. Vor ein paar Tagen erzählte einer dieser Menschen, wie seine Erinnerungen an den mutmaßlichen Missbrauch durch einen ehemaligen BVB-Manager „vergraben“ waren.
Erstmals mit der Familie über den Missbrauch gesprochen
Er schilderte eindrücklich, wie mit der Medienberichterstattung alles wieder hochgekommen sei und er erstmals mit seiner Familie darüber gesprochen habe. Im RND haben wir über diesen Fall berichtet und darüber, wie der Beschuldigte Vorwürfe von sexualisierter Gewalt an Kindern zurückweist.
Sexualisierte Gewalt ist ein Thema, über das lange Zeit in der Gesellschaft kaum offen gesprochen wurde – auch nicht bei Borussia Dortmund. Schon viel früher hätte die Aufarbeitung beginnen müssen.
Zur Erinnerung: Spätestens 2010 landeten erste Hinweise auf den Tischen der Führungsriege des BVB – auch beim nun neuen Klub-Präsidenten Hans-Joachim Watzke und seinem Vorgänger Reinhold Lunow. Erst in der vergangenen Woche haben zwei Kanzleien mit der Aufarbeitung begonnen. Es brauchte öffentlichen Druck, ausgelöst durch journalistische Recherche, damit sich Borussia Dortmund bewegte, und die Vorwürfe nicht mehr ausschließlich hinter geschlossenen Türen besprochen wurden.
Watzke muss zeigen, dass er seine Verantwortung ernst nimmt
Dennoch: Es ist nicht zu spät. Wichtig ist jetzt, dass der öffentliche Diskurs fortgesetzt, dass die vom BVB beauftragte Aufklärung ohne Rücksicht auf Namen und Heldenfiguren umgesetzt wird. Zwei Leitfragen sind wichtig: Wie groß war der mutmaßliche Missbrauch? Und wer hat weggeschaut?
Um diesen Kurs durchzusetzen, ist Watzke besonders in der Pflicht. Nach mehreren verpassten Chancen kann er zeigen, dass er verstanden hat, wie Missbrauchsvorwürfe ernsthaft behandelt werden sollten. Und welche Verantwortung Borussia Dortmund mit seiner Strahlkraft hat, um auf gesellschaftlicher Ebene für mehr Kinderschutz zu wirken.
Auf der BVB-Mitgliederversammlung kündigt Watzke an, über die Ergebnisse der Untersuchung auf einer „Informationsveranstaltung für alle Mitglieder“ Rechenschaft abzulegen. Das reicht nicht! Die Ergebnisse sollten allen Interessierten in einem Bericht zugänglich sein.
Vorbild England als Maßstab für den BVB
Welche Kraft eine transparente Aufarbeitung haben kann, zeigte der englische Fußballverband FA vor ein paar Jahren. Als dort ein Kindesmissbrauch-Skandal publik wurde, begann eine umfassende Aufarbeitung – mit dem Ergebnis, dass ein 710 Seiten starker Report veröffentlicht wurde. In der Folge wurde ein erschreckendes Ausmaß mit 240 Verdächtigen und fast 700 Opfern bekannt. Der englische Fußballverband legte ein umfassendes Schutzprogramm für Kinder auf.
Das sollte die Messlatte für den BVB sein: Wenn der Verein jetzt klug handelt, könnte er für besseren Kinder- und Jugendschutz im gesamten Sport sorgen.


