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BVB unter DruckMissbrauchsvorwürfe gegen Ex-Manager erschüttern den Verein

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Das Bild zeigt Trikot, Hose und Stutzen von Borussia Dortmund. foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Sieht sich aktuell mit schweren Vorwürfen ausgesetzt: Fussballverein Borussia Dortmund

Fans werfen einem ehemaligen Manager von Borussia Dortmund vor, jahrzehntelang im Umfeld des Vereins sexualisierte Übergriffe begangen zu haben. 

An viele Details jenes Tages erinnert sich Jonas Schneider bis heute – auch 40 Jahre später. Er war damals, Mitte der 1980er-Jahre, noch minderjährig und begeisterter Anhänger von Borussia Dortmund. Es sei für ihn etwas Besonderes gewesen, dass der einflussreiche BVB-Manager ihn gefragt habe, ob er ihn zu einer Spielerbeobachtung nach Norddeutschland begleiten möchte.

Der BVB-Manager Horst Jansen ist 30 Jahre älter als Schneider (beide Namen geändert). Tagsüber beobachten sie an jenem Tag einen Spieler. Danach gehen sie etwas essen, erinnert sich Schneider heute im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Im Restaurant soll Jansen den Teenager überredet haben, Bier zu trinken. Als sie später ins Hotel gehen, habe sich Schneider nicht mehr ganz bei Sinnen gefühlt.

Im Hotelzimmer habe Jansen nur noch in einem „Tiger oder Leoparden“-Slip vor ihm gesessen. Dann soll er ihn aufgefordert haben, sich auf seinen Schoß zu setzen. Er habe seinen Körper betastet, auch den Genitalbereich, sagt Schneider. Ob er sein T-Shirt ausziehen wolle, habe Jansen ihn noch gefragt. Dann sei Schneider schlecht geworden. Er habe das Zimmer fluchtartig verlassen. Auf einer öffentlichen Toilette des Hotels habe er sich mehrmals übergeben.

Hier der Manager, dort die Jungs, die vom Profifußball träumen

Die Vorwürfe von Schneider lassen sich Jahrzehnte später nicht mehr im Detail rekonstruieren. Das RND hat im Vorfeld dieser Berichterstattung einen Fragenkatalog an Jansen gesendet und um Stellungnahme zu den Erinnerungen von Schneider und zu weiteren Vorwürfen gebeten. Jansen beauftragt die Kölner Anwaltskanzlei Höcker. In einem Schreiben der Kanzlei werden die Vorwürfe der sexualisierten Gewalt an Kindern zurückgewiesen. Konkrete Fragen zu den Vorwürfen gegen Jansen bleiben unbeantwortet.

Es gibt weitere BVB-Fans, die von mutmaßlichen Übergriffen durch den ehemaligen BVB-Manager berichten. Auslöser war Anfang Oktober eine Berichterstattung der „Bild“-Zeitung, die in den Wochen danach von „mehr als zehn mutmaßlichen Opfern“ berichtete. Sie seien Nachwuchsspieler und BVB-Fans gewesen und zwischen elf und 17 Jahre alt, als sie auf den damaligen BVB-Mitarbeiter getroffen seien. Es ist das erste Mal, dass sich ein Bundesliga-Verein mit Missbrauchsvorwürfen in einem solchen Ausmaß öffentlich auseinandersetzen muss.

Auch in ihren Berichten geht es um ein Machtgefälle: Auf der einen Seite Horst Jansen, der Freikarten verteilt haben soll, ins Restaurant eingeladen habe und Hoffnung auf eine Profikarriere bei Nachwuchstalenten schürte. Auf der anderen Seite die Jungs, die vom Profifußball träumten oder vieles bereit waren zu geben, um ihren Idolen bei Borussia Dortmund nahezukommen.

Auch diese Vorwürfe werden über die Kanzlei Höcker zurückgewiesen. Sollte Jansen Eintrittskarten oder andere Geschenke weitergegeben haben, seien diese nicht mit Erwartungen zu Gegenleistungen verknüpft gewesen, erst recht nicht in einem sexualisierten Zusammenhang.

Weiterhin gilt für Jansen die Unschuldsvermutung. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die zuständige Staatsanwaltschaft Ermittlungen nach „drei Strafanzeigen“ gegen einen Beschuldigten im hohen Rentenalter eingeleitet habe, wie die Behörde dem RND bestätigte. Die Tatvorwürfe würden das Sexualstrafrecht behandeln und sich auf die 1980er- und 1990er Jahre beziehen.

Die Erinnerungen lange „vergraben”

Nicht nur die Justiz ermittelt. Mit Wochenbeginn gab der BVB bekannt, dass eine „unabhängige Aufarbeitung der Vorwürfe sexueller Übergriffe“ begonnen habe. Es ist wahrscheinlich, dass in den kommenden Tagen die Debatte weiter Fahrt aufnehmen wird. Gegenüber dem RND rechnen Insider damit, dass die Vorwürfe am Sonntag auf der BVB-Mitgliederversammlung diskutiert werden.

Schneider sagt, er habe die Erinnerungen an damals lange „vergraben“. Das änderte sich Anfang Oktober, als die „Bild“ berichtete. In den Wochen danach hätten ihn die Erlebnisse mehrmals in seinen Träumen begleitet.

Er gibt an, sich zu erinnern, wie Jansen gönnerhaft aufgetreten sei. Seine Eltern und er hätten von ihm begehrte Premium-Eintrittskarten zu BVB-Spielen geschenkt bekommen und kostenlose Parkmöglichkeiten im Westfalenstadion erhalten. Auch hier gilt: Jansen weist über die Kanzlei zurück, dass Geschenke solcher Art mit Erwartungen von Gegenleistungen verbunden waren.

Das Bild zeigt die Südtribüne im Westfalenstadion, Dortmund. Fotro: Maximilian Koch/IMAGO

„Die gelbe Wand“ - die legendäre Südtribüne im Westfalenstadion fasst 20.000 Zuschauer.

Borussia Dortmund ist nach dem FC Bayern beispielsweise bei der Anzahl der Mitglieder der größte Verein Deutschlands, eine internationale Marke. Den Grundstein für die gegenwärtige Größe legte der Verein in den 1990ern. Kämpften die Dortmunder 1985 noch gegen den Abstieg, gaben sie ein paar Jahre später viel Geld aus für einige der besten Fußballer Deutschlands und Stars aus dem Ausland.

Spieler wie Jürgen Kohler, Andreas Möller, Matthias Sammer, Stéphane Chapuisat, Karlheinz Riedle und der junge Lars Ricken (heute BVB-Geschäftsführer) halfen dabei, den BVB in den Jahren 1995 und 1996 zweimal nacheinander zum Meister zu machen. 1997 gewannen die Dortmunder die Champions League und den Weltpokal. Immer dabei in diesen Jahren des Aufstiegs war Horst Jansen.

Mitte der 1990er trifft Fabian Schmidt (Name ebenfalls geändert) nach seiner Erinnerung das erste Mal auf Jansen. Mit 15 Jahren sei er leidenschaftlicher BVB-Fan gewesen, sein Kumpel und er hätten regelmäßig vor der Geschäftsstelle von Borussia Dortmund angestanden, um begehrte Tickets fürs Westfalenstadion zu ergattern. An einem Tag sei Jansen aufgetaucht und habe Karten verschenkt, erinnert sich Schmidt.

„Warum hat niemand etwas gesagt?“

In den Monaten danach wollen sie regelmäßig von Jansen Freikarten erhalten haben. Mit der Zeit habe Jansen mehrere Anlässe geschaffen, um ihm außerhalb des BVB-Geländes zu begegnen. Schmidt spricht von Einladungen in ein Stammlokal des Vereins, Besuchen in seiner Privatwohnung und gemeinsamen Autofahrten. An einem Tag habe Jansen ihn erst aufs Knie, dann auf den Oberschenkel gefasst. Schmidt sagt, er habe die Hand sofort zurückgewiesen. Zu weiteren Annäherungsversuchen sei es nicht gekommen.

Konkrete Fragen zu den Vorwürfen von Schmidt lässt Jansen unbeantwortet. Stattdessen weist er über seine Kanzlei die Vorwürfe zu sexualisierter Gewalt an Kindern zurück.

Worüber sich Schmidt bis heute wundert: Warum hat niemand etwas gesagt, als der BVB-Manager so viel Zeit mit Kindern und Jugendlichen in der Öffentlichkeit verbrachte? Als Minderjährige seien sie damals in die BVB-Geschäftsstelle gegangen, hätten sich am Empfangstresen gemeldet und seien ohne Termin in Jansens Büro gegangen, dazu habe es Besuche in Restaurants gegeben.

„Jeder kannte die Geschichten“, sagt Schmidt heute. Seine Annahme stützen emotionale Diskussionen, die im BVB-Fanforum „schwatzgelb“ geführt werden. Ein Teilnehmer schreibt von einem Mann, der „nicht selten mit ein oder auch zwei jungen Jungs als Begleiter“ auf Dortmunder Fußballplätzen aufgetaucht sei. Das sei für jeden sichtbar gewesen.

Das Bild zeigt den BVb-Geschäftsführer hans-Joachim Watzke. Foto: Sven Hoppe/dpa

Hat Kenntniss übver die Missbrauchsvorwürfe: BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke

Dennoch vergingen offenbar Jahre, bis sich Borussia Dortmund erstmals mit den Vorwürfen auseinandersetzte. Im April 2010 meldete sich der Rechtsanwalt Thorsten Kahl, der sich seit Jahrzehnten mit Missbrauchsfällen beschäftigte. Er vertrat als Opfer-Anwalt zahlreiche Geschädigte; darunter missbrauchte Schüler der Odenwaldschule.

Sein Schreiben, das dem RND vorliegt, war an BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke adressiert. Darin nennt der Anwalt den Namen eines ehemaligen Nachwuchstalents, das er vertritt, und beschreibt Vorwürfe von mehreren sexuellen Übergriffen durch Jansen. Die „Bild“ hatte zuerst über den Schriftverkehr und die Folgen berichtet.

Der damalige BVB-Vereinspräsident Reinhard Rauball übernahm den Fall. Das diskussionswürdige Ergebnis: Jansen behielt trotz der Vorwürfe zahlreiche Ämter, saß im Ältestenrat des Vereins, wurde als geringfügig beschäftigter Mitarbeiter angestellt und blieb Ehrenmitglied.

Aufarbeitung erst nach öffentlichem Druck

Auch im Rückblick sieht der BVB keine Verantwortung bei Watzke, weil der Verein zuständig gewesen sei und Watzkes Aufgaben die ausgegliederte Kapitalgesellschaft von Borussia Dortmund umfasst hätten. Diese Trennung ärgert Anwalt Kahl, wie er im Gespräch mit dem RND sagt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Geschäftsführer bei einem solch gravierenden Vorwurf sich nicht weiter über die Angelegenheit informieren lässt.“

Nach dem ersten Schreiben verging wieder mehr als ein Jahrzehnt. Dann meldete sich ein zweites mutmaßliches Opfer im Jahr 2023 beim BVB. Der Verein gibt an, dass Jansen erst danach aus dem BVB ausgeschlossen wurde und sämtliche Ämter verloren hat. Eine Untersuchung der Vorwürfe wurde allerdings auch damals nicht beauftragt.

Das Bild zeigt die Sportpsychologin Dr. Jeannine Ohlert. Foto: Deutsche Sporthochschule

Sportpsychologin Dr. Jeannine Ohlert soll den Prozess aus Sicht der Betroffenen begleiten

Diese begann erst diese Woche, ausgelöst durch den öffentlichen Druck. Borussia Dortmund hat die forensische Abteilung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO und die Strafrechtskanzlei Knauer mit der Aufarbeitung beauftragt. Zudem soll die Sportpsychologin Jeannine Ohlert, die an der Sporthochschule Köln seit Jahren zu sexualisierter Gewalt im Sport forscht, den Prozess aus Sicht der Betroffenen begleiten.

Borussia Dortmund ist nach einer anfänglich zurückhaltenden Kommunikation mittlerweile bemüht zu unterstreichen, wie ernst der Verein eine unabhängige Aufarbeitung nehme. Auf Anfrage des RND bleiben einige Fragen allerdings unbeantwortet: etwa zum genauen Zeitplan der Aufarbeitung, und ob zum Arbeitsauftrag auch dazugehört, mögliches Fehlverhalten von ehemaligen und aktuellen Entscheidungsträgern zu untersuchen.

Es ist wahrscheinlich, dass die umfassende Untersuchung sich auf die BVB-Rolle von Jansen fokussieren wird. Auch darüber hinaus war er im Fußball aktiv, etwa in Schleswig-Holstein. Zudem war er rund um die WM 2006 in Deutschland eingebunden. Zu diesen Nicht-BVB-Aktivitäten sind keine Missbrauchsvorwürfe gegen Jansen bekannt.

Für den Mönchengladbacher Schneider liegt der Fokus nun auf der Aufklärungsarbeit beim BVB. Am Sonntag will Schneider die Mitgliederversammlung im Livestream verfolgen. Ihn ärgert, „dass der BVB das über die Jahre so toleriert hat und das Mäntelchen des Schweigens darüber gelegt hat“. Ganz besonders möchte er hinhören, wie sich Watzke äußert. Dieser will sich bei der Versammlung zum neuen BVB-Vereinspräsidenten wählen lassen.


Haben Sie Gewalt oder Missbrauch im Sport erlebt oder machen sich Sorgen um jemand anderes? An diese Beratungsstellen können Sie sich wenden:

Ansprechstelle Safe Sport: 0800 11 222 00 (montags, mittwochs und freitags von 10 Uhr bis 12 Uhr und donnerstags von 15 bis 17 Uhr)

Anlauf gegen Gewalt: ‭0800 90 90 444 (montags, mittwochs und freitags von 9 Uhr bis 13 Uhr, dienstags und donnerstags von 16 Uhr bis 20 Uhr)

Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530 (montags, mittwochs und freitags von 9 Uhr bis 14 Uhr, dienstags und donnerstags von 15 Uhr bis 20 Uhr)