NFL Draft 2020Trotz der Corona-Krise geht die Show im American Football weiter

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Der NFL-Draft ist eines der größten Sport-Events in den USA. Beim Eröffnungstag vor zwei Jahren waren insgesamt 100.000 Zuschauer vor Ort im Stadion und im Außenbereich des AT&T-Stadiums in Dallas.

  • Ab Donnerstag, 23. April, findet in der American-Football-Liga NFL trotz der Corona-Krise der Draft statt.
  • An drei aufeinanderfolgenden Abenden erfahren die Spieler, die von den Universitäten kommen, für welches Team sie in Zukunft spielen dürfen.
  • Eigentlich hatte die NFL ein pompöses Event mit Zehntausenden Zuschauern in Las Vegas geplant.
  • Stattdessen findet die Show nun virtuell statt. Und das sorgt bei einigen Spielern, Managern und Trainern für Bauchschmerzen.

Donald Trump verliert die Geduld. Seit Tagen fordert der US-Präsident eine Lockerung der Corona-Beschränkungen und heizt damit die Proteste der Bürger an. Am liebsten würde er eher gestern als morgen wieder den Alltag in den USA zurückhaben. Und zu diesem Alltag gehört für den Präsidenten offensichtlich auch der Sport: „Wir brauchen unseren Sport zurück. Ich habe keine Lust mehr, Baseball-Spiele zu schauen, die 14 Jahre alt sind“, verkündete Trump in der vergangenen Woche.

Während in der NBA (Basketball), NHL (Eishockey) und MLB (Baseball) aktuell die Bälle (und Pucks) ruhen, scheint zumindest die NFL sein Flehen zu erhören. Die American-Football-Liga zieht ihren Terminplan allen Umständen zum Trotz durch und veranstaltet ab Donnerstag, 23. April, eines seiner größten Events: den Draft, die Talentziehung von College-Spielern. (In der Infobox am Ende des Textes erklären wir Ihnen mehr zum Draft-System in den USA.) 

Draft: Das zweitwichtigste Event des Jahres

Seit Wochen diskutiert das Land, ob die Entscheidung der Liga richtig ist. Schließlich sind die USA mittlerweile das am stärksten von der Corona-Krise getroffene Land – täglich sterben Tausende Menschen, Hunderttausende sind mit dem Virus infiziert.

Doch die Amerikaner sind Football-besessen und deshalb hält NFL-Chef Roger Goodell an seinen Plänen fest: „Wir wollen den Menschen zeigen, dass es auch noch eine Zukunft nach Corona gibt.“

Roger Goodell NFL

NFL-Boss Roger Goodell

Und tatsächlich: Trotz der Corona-Sorgen freuen sich viele auf den Draft, der für einen Großteil der Amerikaner nach dem Super Bowl das zweitwichtigste Football-Event des Jahres ist.  Ein Dutzend Million Menschen verfolgen die Talentziehung jährlich – längst ist sie zu einer riesigen Show geworden, die Wochen im Vorfeld wie kein anderes Thema die Presse beherrscht. Am Tag des Events kommen Hunderttausende Menschen zusammen, um live zu verfolgen, wie NFL-Boss Goodell die besten Nachwuchsspieler des Landes auf die Bühne ruft und verkündet, bei welchem Team sie in den nächsten Jahren spielen werden.

NFL Draft: 2020 sollte alles noch größer werden

2020 sollte die große Show noch größer und pompöser als sonst werden. Denn die Stadt, in der der Draft ursprünglich ausgetragen werden sollte, hat seit diesem Jahr ein neues Team: die Las Vegas Raiders. Die Pläne sahen vor, dass die Spieler mit einem kleinen Boot über ein Gewässer zur Bühne gebracht werden sollten. Rundherum sollte alles glänzen und Las-Vegas-Charme versprühen, die Veranstalter rechneten an drei Tagen mit 750.000 Besuchern.

Doch wegen der Corona-Krise muss auch die NFL umplanen. Statt vollbesetzter Konferenzräume, in denen Manager, Trainer und Scouts hinter den Kulissen über die Wahl ihrer Spieler diskutieren, soll es jetzt Videokonferenzen aus dem Homeoffice geben. Kein Team darf zusammenkommen, lautet die Anweisung von Roger Goodell, der aus dem Keller seines Hauses die Namen der gezogenen Spieler vorlesen wird.

Der übertragende Sender ESPN verschickte deshalb Kameras und Film-Equipment an die wichtigsten Verantwortlichen und die 58 größten Talente. Damit wirklich alles rund läuft, wurden alle Teilnehmer zusätzlich darum gebeten, bei ihren Kabelanbietern nach mehr Bandbreite während des Drafts zu fragen, um eine reibungslose Videokonferenz mit 200 Teilnehmern zu ermöglichen.

NFL Draft 2020: Was passiert, wenn ein Team gehackt wird?

Dennoch äußerten einige Trainer und Manager im Vorfeld Bedenken. Was sei zum Beispiel, wenn das Internet für einen Moment ausfalle und ein Team keinen Spieler auswählen könne? Und was passiert, wenn Hacker während des Drafts einen Angriff auf den Computer eines Verantwortlichen versuchen, um so an Team-Interna zu gelangen, fragte John Harbaugh, Trainer der Baltimore Ravens.

Die Liga versicherte, dass schon alles gut gehen würde. Dabei gelang erst Anfang des Jahres einer Gruppe von Hackern der Zugriff auf mehrere Twitter-Accounts der NFL. Doch auch für eine der größten Sportligen der Welt ist solch eine Veranstaltung nicht alltäglich, wie wie Seth Markman, Chef des übertragenden Senders ESPN, deutlich macht: „Das ist die anspruchsvollste Veranstaltung, an der ich je beteiligt war. Und ich bin schon seit 27 Jahren bei ESPN. Die ganzen technischen Fragen bereiten mir die größten Sorgen, weil es keinen Testlauf gibt.“

Auch einige Team-Manager machten ihre Bedenken deutlich. Bob Quinn, Sportdirektor der Detriot Lions, wies deshalb den IT-Chef des Teams an, die drei Abende des Draft in Quinns Auffahrt zu verbringen, damit er bei möglichen Problemen sofort helfen könne.

EA Sports soll für eine Präsentation wie im Videospiel sorgen

Doch nicht nur die Team-Verantwortlichen und Sender müssen sich umstellen. Statt im Laufe des Abends womöglich auf der großen Bühne zu stehen und von Zehntausenden Fans bejubelt zu werden, müssen die College-Spieler daheim bleiben – nur der engste Familienkreis darf bei ihnen sein. Auch hierfür stellte die Liga klare Regeln auf: Werbung für Marken, die nicht mit der Football-Liga kooperieren, ist untersagt. Damit dann am Donnerstagabend nicht doch zufällig eine Coca Cola statt einer Pepsi im Stream auftaucht, verschickte die NFL Werbepakete mit Limo und Snacks ihrer Partner.

Joe Burrow

Quarterback Joe Burrow von der Universität LSU dürfte am Donnerstag als erster Spieler die virtuelle Draft-Bühne betreten.

Dennoch versucht sie alles, den Spielern zumindest eine virtuelle Bühne zu bieten. Werbepartner EA Sports, der unter anderem für Titel wie Fifa und Madden verantwortlich ist, wurde damit beauftragt, eine virtuelle Show auf die Beine zu stellen. Der Videospiele-Produzent hat kurzerhand die Nachwuchsspieler gebeten, eine ausführliche Biografie von sich anzufertigen. Außerdem durften sie Wünsche äußern, wie sie am liebsten die Bühne betreten wollen – ob mit einem Tanz, mit einem kreativen Handschlag oder in eine besonders auffälligem Anzug. Es wird also spannend sein, zu sehen, wie Quarterback Joe Burrow, der am Donnerstag als erster Spieler gezogen werden dürfe, die virtuelle Bühne betritt.

Die NFL steht vor einer ungewissen Zukunft

Für Spieler von kleineren Universitäten und angeschlagene Spieler dürfte das trotzdem nur ein kleiner Trost sein. Weil die Talentscouts der Teams seit Wochen wegen der Kontaktverbote nicht mehr reisen dürfen, konnten sie kaum ein Talent in einer privaten Trainingseinheit begutachten. Diese Spieler dürften damit womöglich erst deutlich später oder gar nicht von einem Team ausgewählt werden.

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Vielleicht ist die Corona-Krise aber auch ihre große Chance, denn ob in der kommenden Saison College-Football gespielt hat, steht nach wie vor in den Sternen. Das könnte zur Folge haben, dass am Donnerstag und in den darauffolgenden zwei Tagen Spieler ausgewählt werden, mit denen kein Experte gerechnet hätte. Viele sprechen deshalb von einem der unvorhersehbarsten Drafts aller Zeiten.

Doch auch das ist das schöne am System: Die Diskussionen darüber, welches Team am Ende der der große Gewinner ist und sich den nächsten Patrick Mahomes (Superstar-Quarterback der Kansas City Chiefs) schnappen kann. Und wer weiß: Vielleicht verdrängen die Amerikaner für einen Tag alle Probleme der Corona-Krise. Der Football macht's möglich.

Infobox: So funktioniert das amerikanische Sportsystem

Um zu verstehen, welche Bedeutung der Draft-Tag für die Amerikaner hat, muss man das amerikanische Sportsystem verstehen. Denn im Gegensatz zum europäischen Fußball, wo die besten Talente zu den Clubs mit dem besten Angebot wechseln, haben Nachwuchsspieler in den vier großen US-Sportligen NFL (Football), NBA (Basketball), NHL (Eishockey) und MLB (Baseball) kein Mitspracherecht, wenn es um ihr erstes Profi-Team geht. Vor der Saison gibt es in den großen US-Ligen deshalb eine Talent-Wahl, bei der die besten Spieler der Colleges zur Auswahl stehen.

In der Theorie ist es so: Ob im Football, Basketball, Eishockey oder Baseball – die besten Spieler gehen zu den schlechtesten Teams. So wollen die Ligen über die Jahre eine Chancengleichheit herstellen und Serien-Sieger oder Serien-Verlierer verhindern. So darf Super-Bowl-Gewinner Kansas City zum Beispiel in diesem Jahr in den ersten fünf Runden des Drafts erst als letztes der 32 Teams jeweils einen Spieler auswählen. Insgesamt geht es über sieben Runden. Ihre Wahlrechte für die sechste und siebte Runde tauschten die Chiefs bereits in der Vergangenheit gegen Spieler anderer Teams ein.

Die erste Runde findet in diesem Jahr am 23. April statt. Einen Tag später werden die Spieler der zweiten und dritten Runde ausgewählt. Am Samstag, 25. April, werden dann die Runden vier bis sieben übertragen.

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