VfL Gummersbach vor AbstiegDer Fall des einst erfolgreichsten Handball-Klubs der Welt

Zweikampf aus dem Februar 1983: Thomas Krokowski am Ball im Europacupspiel gegen Aarhus
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- Der VfL Gummersbach kämpft am Wochenende um den Verbleib in der Handball-Bundesliga.
- Der Traditionsverein war einst der erfolgreichste Handballverein der Welt. Es folgte eine Insolvenz, ein Wiederaufbau und der erneute Absturz.
- Heute kann der VfL finanziell nicht mehr mit den Großen mithalten, trotzdem wird er noch immer an seiner Tradition gemessen.
Köln – Genau vor 20 Jahren ist Gummersbach schon einmal untergegangen, sagt Heribert Rohr. Damals reiste der damalige Oberkreisdirektor von Oberberg nach Oberhausen, um zu retten, was noch zu retten war. 1999 wurde der mit 5000 Beschäftigten größte Arbeitgeber der Region und einer der Weltmarktführer seiner Branche, der Kesselbauer Steinmüller, bei einem Bankendeal in Hinterzimmern an den kleineren Konkurrenten Babcock verkauft. In Gummersbach wurden massiv Arbeitsplätze abgebaut, „das Schlimmste war zu befürchten“, erinnert sich Rohr.
Nun steht der nächste Schlag bevor, „und der könnte Gummersbach noch härter treffen“, befürchtet der SPD-Politiker. Am Sonntag könnte der VfL Gummersbach, eine Legende im Handballsport, in die Zweite Liga absteigen. (Wir verfolgen das Spiel am Sonntag im Liveticker)
In den Geschäften der Stadt oder der Fußgängerzone gibt es quasi kein anderes Thema mehr. Nur mit einem Sieg im letzten Saisonspiel ausgerechnet beim Rivalen in Bietigheim (Sonntag, 15 Uhr) wären die Blau-Weißen auf der sicheren Seite. Denn auch der Tabellenletzte der Liga, die Eulen aus Ludwigshafen, könnte den VfL in der Tabelle noch überholen.
Der Verein machte die Stadt weltweit bekannt
Das wäre der Abschluss eines tiefen Falls von der Weltspitze quasi ins Nichts. Und das in einer Stadt, die auf vielen Feldern ein Brennglas an Qualität gewesen ist: der Philosoph Jürgen Habermas kommt hierher, genauso Hans-Ulrich Wehler, einer der wichtigsten Historiker. Der Unternehmensberater Kienbaum kommt aus Gummersbach. Weltweit bekanntgemacht hat die Stadt jedoch nur der VfL.
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Ein Abstieg würde der Stadt und auch der Region das Herz herausreißen, fürchtet Rohr. „Durch den Handball ist Gummersbach weltbekannt geworden. Wenn wir im Urlaub gefragt werden, woher wir kommen, sagen alle: Aus Gummersbach, auch wenn wir in Bergneustadt leben. “
Das besondere Geschick eines Handballverrückten
Der VfL Gummersbach war einstmals der erfolgreichste Handballverein der Welt. Er erlebte seinen Aufstieg durch das besondere Geschick eines Handballverrückten: Eugen Haas. Ein Mann mit einem besonderen Gespür für das Neue. Er hatte sich in der Stadt ein Unternehmen für Büroeinrichtungen und Computertechnik aufgebaut.

Szene aus dem Oktober 1983: Rüdiger Neitzel am Ball für den VfL Gummersbach
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Als Obmann des VfL gelang es ihm, den besten und erfolgreichsten Handballverein der Welt aufzubauen. „Er ist der VfL Gummersbach“, hat der frühere DHB-Präsident Ulrich Strombach einmal über ihn gesagt. In den 1970er und 80er Jahren wuchsen beim VfL gleich reihenweise Handballer von Weltformat heran. Hansi Schmidt warf den Ball so schnell Richtung Tor, dass nur ein VW-Käfer in Höchstgeschwindigkeit mithalten konnte. Es gab Erhard Wunderlich oder Joachim Deckarm. Das Tor hielt Andreas Thiel in diversen Europapokalschlachten stets so sauber, dass es kaum mit natürlichen Dingen zugehen konnte. „Hexer“ nannten ihn ehrfurchtsvoll Mitspieler und Gegner. Heiner Brand, der spätere Bundestrainer, galt als bester Abwehrspieler der Welt.
Insolvenz Ende der 90er Jahre
Da die Gummersbacher Halle für große Zuschauerzahlen zu klein war, wurden die großen Spiele in der Dortmunder Westfalenhalle bestritten. Das brachte satte Einnahmen. Und die Titel wanderten Jahr für Jahr nach Gummersbach. Auf dem Rathausplatz jubelten die VfL-Fans ihren Spielern immer wieder zu, wenn es hieß: Deutscher Meister (zwölfmal), Pokalsieger (fünfmal), Europapokalsieger, Supercupsieger, Europameister der Vereinsmannschaft. Der VfL stellte auch eine Reihe von Weltmeistern im Jahr 1978.
Es war eine goldene Ära. Im Jahr 1983 wurden gleich alle Titel gewonnen, die man gewinnen konnte. Das war der Höhepunkt. Und von da an ging es bergab, erst langsam, dann immer schneller. Einige Meistertitel folgten noch. Doch TuSEM Essen hatte den Gummersbachern den Rang abgelaufen. „Die anderen haben eben aufgeholt und gleichzeitig wurde der VfL satter“, sagt der frühere VfL-Manager Carsten Sauer. Er übernahm den Klub, als der gerade in der Insolvenz steckte. Das war 1999. Der VfL wäre schon damals beinahe abgestiegen. Die Spiele waren für die treuen Zuschauer oft eine Qual. Nur wenige hielten dem Klub damals die Stange, darunter Unternehmensberater Jochen Kienbaum. Aber erst Sauer kam der Gedanke, die Top-Spiele in der Kölnarena zu bestreiten.
Aufbau und erneuter Absturz
Im Jahr 2001 gab es den nächsten Rekord aus Gummersbach: zum Spiel VfL gegen Kiel kamen über 19 000 Besucher. Weltrekord. Der VfL wurde wieder besser, neben Sauer waren Kienbaum, Ex-Weltmeister Gerd Rosendahl und Kreissparkassen-Chef Hans-Peter Krämer treibende Kräfte. Der Zuschauerschnitt stieg über 10 000, 2006 wurde der VfL Vizemeister und spielte wieder in der Champions League. Doch von 2006 an wurden immense Schulden angehäuft, die den Verein noch heute lähmen. „Handball ist eine Sportart, die vor allem auf Zuschauerfinanzierung setzen muss“, sagt Sauer. „Das war für den VfL immer ein Problem.“ Sauer wollte durch den Weg nach Köln „mehr Zuschauerzahlen generieren und auch neue Sponsoren anlocken“.
Die Spiele in Köln sollten in Gummersbach den Druck erhöhen, eine neue Halle zu bekommen. Damals stieß das Vorhaben Sauers auf Ablehnung. „Ich habe mir gedacht: Ich höre jetzt auf, weil es keine Perspektive gibt. Ganz nach Köln zu gehen hielt ich für einen Fehler, dann würde der Happening-Effekt verloren gehen. Aber ohne Köln geht es auch nicht.“
Der VfL ging ganz nach Köln – eine Fehlentscheidung, Millionenschulden wurden angehäuft. Jetzt ist man wieder in Gummersbach, hat eine schöne Halle, die auch gut besucht wird. Aber der Erlös ist dennoch zu gering. Deshalb setzt man wieder auf Sponsoren.

Die Halle in Gummersbach im März 2019
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„Der Handball ist zu teuer“, sagt Sauer. Grundsätzlich erhielten die Spieler zu viel Gehalt. Ein guter Spieler bekommt rund 250000 Euro, Top-Spieler 500 000 und mehr.
„Geld wirft Tore, das sind die Fakten im Handball“
Mit den Spitzen-Klubs kann der VfL finanziell nicht mithalten. „Trotzdem werden wir an der Tradition gemessen“, sagt Hendrik Haas. Er ist der Enkel von Eugen Haas und hat Ende 2018 den Vorsitz des Beirates übernommen. „Mein Großvater hat nicht auf die Vergangenheit Rücksicht nehmen müssen, sondern innovativ agiert.“ Diese Freiheit wünscht er sich häufig auch. „Wir arbeiten seit sieben Jahren gegen die Altlasten. Und Geld wirft Tore, das sind die Fakten im Handball.“ Nun droht dem Verein, den sein Großvater aufbaute, der Abstieg.
„Persönlich würde mich das total treffen, gar keine Frage“, sagt er.
Trost kommt aus Großwallstadt. Aus dem 4000-Seelen-Dörfchen kommt der große Rivale des VfL aus den 70er und 80er Jahren. Der TVG hat den Abstieg hinter sich. „Alles halb so wild“, sagt Roland Eppig, der Bürgermeister von Großwallstadt. „Ein Abstieg könnte die Region noch mal wachrütteln. Und eine neue Handball-Begeisterung entfachen.“ Darauf hofft man beim VfL. Falls der schlimmste Fall eintritt.