Deutsch-Kurs in GladbachUkrainische Schüler opfern ihre Ferien zum Lernen

Lesezeit 5 Minuten
Ukraineklasse-D

Angelina (r.) und Ljubana lernen in den Ferien am OHG in Bergisch Gladbach Deutsch.

Bergisch Gladbach – Angelina geht auf das Whiteboard vorne im Klassenraum zu. Auf einer blauen Sprechblase steht: „Max sucht das Büro von Herrn Brunner. Welche Zimmernummer hat das Büro?“ Die 14-Jährige aus Zaporischja tippt mit ihrem Zeigefinger auf das Feld. Eine monotone Frauenstimme erklärt, dass Herr Brunners Büro in Zimmer Nummer 314 ist. Das versteht auch Angelina, die selbstsicher auf die dritte Antwortmöglichkeit klickt. Das Feld wird grün.

Ihr Deutsch ist noch nicht perfekt, aber sie lernt. Motiviert und unermüdlich. Vier Wochen lang haben 20 Schülerinnen und Schüler, darunter Angelina, von Montag bis Freitag, 9 bis 13 Uhr geübt. Während ihre deutschen Altersgenossen in die Ferien gefahren sind, im Freibad entspannt haben und gemacht haben, was Jugendliche in ihren Sommerferien eben machen.

Ferienkurs am OHG in Bergisch Gladbach

Alexey ist einer dieser Schüler. Er ist im März aus der Ukraine geflohen, aus Charkiw. Während seine Heimat unter Beschuss steht, möchte sich Alexey hier ein neues Leben aufbauen. Er will in Deutschland studieren, Programmierer werden. Im Gespräch schaut der 16-Jährige immer wieder hilfesuchend zu seiner Lehrerin, die dann auf Ukrainisch übersetzt. Aber er zwingt sich, auf Deutsch zu antworten: „Ich möchte hier mit anderen Leuten sprechen.“ Wort für Wort, bis es irgendwann flüssig und ohne Hilfe funktioniert.

Die vergangenen vier Wochen hat er am Otto-Hahn-Gymnasium in Bergisch Gladbach den Deutsch-Intensivkurs besucht. Wenn die Sommerferien vorbei sind, geht er zurück an das Berufskolleg. Wie die meisten der Schülerinnen und Schüler, die an diesem Freitag ihre letzten Deutschstunden am OHG haben.

Neuer Inhalt

Zoia Richter hilft den Schülerinnen. Links im Hintergrund besprechen Alexey und Nana ihre Aufgben.

24.662 Ukrainerinnen und Ukrainer sind seit Ausbruch des Krieges an Schulen in Nordrhein-Westfalen untergekommen. Das geht aus der letzten Erhebung des Schulministeriums vom 22. Juni hervor. Kompliziert ist die Situation für Jugendliche, die in der Sekundarstufe II schulpflichtig sind. In der Ukraine würden sie jetzt auf ihren Schulabschluss hinarbeiten, sie haben Pläne geschmiedet für ein anschließendes Studium, von einer Karriere geträumt. Der Krieg hat diese Pläne zerstört.

In Deutschland „fallen sie in ein Loch“, sagt Nina Paulic vom Rotary Club Bergisch Gladbach. Sie hat den Intensivkurs initiiert, der mit Spendengeldern von Rotary finanziert wurde. Paulic hat im März eine Mutter mit Tochter aus der Ukraine bei sich aufgenommen, ist dadurch in ein Netzwerk aus ehrenamtlichen Helfern gerutscht. Beim Willkommenscafé in Refrath kam sie mit Jugendlichen aus der Ukraine in Kontakt. Die erzählten ihr, wie unterfordert sie in den Berufskollegs seien. Dort landen die meisten Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe II. Ihre Chancen, später auf ein Gymnasium zu gehen und das Abitur zu machen: verschwindend gering. Ihr Weg führt wahrscheinlich über eine Ausbildung zum Meister, damit dürfen sie in NRW an einer Fachhochschule studieren.

Täglicher Kontakt zur Familie in der Ukraine

Die 17-jährige Nana hat ihren Abschluss bereits in der Ukraine absolviert, studiert dort Geografie. Auch jetzt noch, online. Nana ist im März mit ihrer Mutter, Schwägerin und ihrem Neffen aus Odessa geflüchtet. Ihr Vater und ihr Bruder sind noch in der Ukraine. Sie haben täglich Kontakt zueinander. Ob sie zurück in ihre Heimat möchte? Nana überlegt. „Ich weiß es nicht“, sagt sie schulterzuckend. Am liebsten würde sie weiter studieren, auch in Deutschland möchte sie gerne ein Studium beginnen. Geografie, wie in der Ukraine. Sie kann sich aber auch vorstellen, Übersetzerin zu werden. Derzeit lernt sie aber im Berufskolleg. Das Studium ist auch ihre Motivation für den Ferienkurs. Sie möchte unbedingt mehr lernen, spricht neben ukrainisch schon englisch und russisch, ein bisschen armenisch. Selbstbewusst führt sie Gespräche auch schon auf Deutsch.

Neuer Inhalt

Ute Thewissen ist pensionierte Lehrkraft.

Ute Thewissen beeindruckt das Engagement der ukrainischen Schülerinnen und Schüler. Zwei Wochen lang hat sie Zoia Richter und Oksana Kamyschanska, beide Lehrerinnen aus der Ukraine, bei dem Deutsch-Kurs unterstützt. Thewissen ist pensionierte Lehrerin, bis vor drei Jahren hat sie an einer Schule in Essen Deutsch und Französisch unterrichtet. Ihre Rentenzeit verbringt sie in Köln, wo ihre Familie wohnt. „Mich hat die Kraft, der Wille und die Freude dieser jungen Leute beeindruckt“, sagt sie. Und sie wäre auch bereit, weiter als Lehrkraft zu unterstützen, „viele Kollegen von mir auch“. Zusätzliche Lehrkräfte, die in NRW so dringend notwendig sind.

Das könnte Sie auch interessieren:

1052 zusätzliche Stellen hat das Schulministerium für das Schuljahr 2022/23 geschaffen. Diese sollen auch von pensionierten Lehrkräften wie Thewissen besetzt werden. Die 68-Jährige wünscht sich, dass das Schulministerium oder die Schulen sie und ihre Kolleginnen und Kollegen direkter kontaktieren würden. Aktuell sei viel Eigeninitiative nötig, bürokratische Hürden seien zu hoch, wobei die Lehrkräfte doch so dringend gesucht werden. Der Lehrkräftemangel in NRW verschärft sich, die gerade eingeführte Schulministerin Dorothee Feller (CDU) steht vor einer Mammutaufgabe, wie bereits ihre Vorgängerin Yvonne Gebauer (FDP). Auch ukrainische Lehrkräfte werden gesucht. Im Mai gab das Schulministerium bekannt, dass bisher 61 eingestellt wurden, weitere 185 hatten Interesse bekundet. Ein Tropfen auf einem heißen Stein.

Für Alexey und Nana geht es zunächst wieder an das Berufskolleg. Der Sprachkurs ist vorbei. Ihre Lehrerinnen verdeutlichen am letzten Kurstag noch einmal, was sie seit Beginn predigen: „Sprecht Deutsch!“ Alexey und Nana haben bereits einiges mitgenommen: „Wir haben viel gearbeitet, viel gelernt, neue Wörter und Grammatik“, sagt Alexey. Und sie wollen weiter lernen. Nina Paulic wünscht sich, dass Rotary weitere Angebote für die Schülerinnen und Schüler aufbauen kann. „Es ist beeindruckend, was schon vier Wochen bringen, ich würde so gerne sehen, wo sie in einem halben Jahr stehen könnten“, sagt Paulic. Zur Diskussion stehen nicht nur weitere Ferienangebote, sondern auch Nachmittagskurse in Kooperation mit den Schulen. Ob es dazu kommt, ist jedoch offen.

KStA abonnieren