Lehrermangel als großes ProblemDie meisten Flüchtlingskinder lernen an Grundschulen

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Angelina (r.) und Ljubana lernen in den Ferien am OHG in Bergisch Gladbach Deutsch.

Düsseldorf – Erst musste Corona bewältigt werden, nun kommt die nächste Großaufgabe, die die Schulen zu lösen haben: „Durch die Pandemie standen die Bildungssysteme bereits unter Druck, und der Zuzug ukrainischer Schülerinnen und Schüler bedeutet gerade vor diesem Hintergrund eine enorme Herausforderung“, sagt Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung, die gemeinsam mit ihrem Kollegen Vincent Steinl von der Robert-Bosch-Stiftung daran arbeitet, die Schulen und die Kultusministerien zu unterstützen - vor allem durch Informationsaustausch.

An den Schulen in ganz Deutschland werden rund 150.000 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine unterrichtet, viele sind traumatisiert, wenn nicht durch unmittelbare Kriegserfahrungen, dann durch die Flucht und das Ankommen in einer neuen, fremden Umgebung. In Nordrhein-Westfalen beträgt nach Angaben des Düsseldorfer Bildungsministeriums die „Anzahl der neu zugewanderten Schülerinnen und Schüler in der Erstförderung“ aus der Ukraine 24.662 Kinder und Jugendliche, zu deren sprachlicher Integration es in einer Stellungnahme der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz von Ende März 2022 heißt: Geboten sei eine „möglichst rasche Integration der geflüchteten Kinder und Jugendlichen in Kita und Schule mit dem Ziel, den Erwerb der Bildungssprache Deutsch und die baldige Integration in den Fachunterricht zu ermöglichen."

Darüber hinaus empfiehlt die Kommission unterrichtsergänzende Bildungsangebote in ukrainischer Sprache durch geflüchtete ukrainische Lehrkräfte - orientiert an den Modellen zum herkunftssprachlichen Unterricht. „Denkbar“, so heißt es in der Stellungnahme, „wäre eine Zusammenarbeit mit geeigneten Vertreterinnen und Vertretern von Zivilgesellschaft (zum Beispiel Stiftungen) sowie Vertreterinnen und Vertretern der Bildungsministerien der Länder und der Ukraine.

Deutsches Schulportal

An diesem Punkt setzt das Engagement der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh und der Robert-Bosch-Stiftung an. Kern dieser Unterstützungsaktion ist das Deutsche Schulportal, das die Robert-Bosch-Stiftung unter der Leitung von Vincent Steinl schon seit Jahren betreibt. Berichtet wird über aktuelle Themen, die die Schulen in Deutschland bewegen, so auch über die jüngste Fluchtbewegung aus der Ukraine. Der „Ukraine-Blog für Schulen“ etwa bündelt praktische Hinweise, Reportagen und Hintergrundbeiträge dazu, wie Schulen das Ankommen der ukrainischen Schülerinnen und Schüler gestalten. „Zudem gab es beispielsweise eine Reihe zum Thema, wie Schulen mit Flucht- und Kriegstraumata umgehen können“, sagt Steinl.

Vor allem aber bemüht sich das Schulportal um eine in beide Richtungen zielende Aufklärung – für die Deutschen, die über die Ukraine lernen können, und für die Ukrainer, die Informationen über das deutsche Schulsystem erhalten. Es ist ein wechselseitiges Wissen, das hier vermittelt wird, so wie es Anette Stein von der Bertelsmann-Stiftung im Sinne der Wissenschaftlichen Kommission für wichtig hält, dass die neu in Deutschland angekommenen Schülerinnen und Schüler nicht allein auf Deutsch unterrichtet werden, sondern auch Stunden in ihrer eigenen Sprache erhalten. Hier gehe es nicht zuletzt um Wertschätzung.

„In der Ukraine findet noch ein sehr traditioneller Frontalunterricht statt – in Deutschland arbeiten wir kompetenzorientiert“, so Anette Stein. „Vor dem Krieg befand sich die Ukraine in einem Prozess der Umorientierung hin zum kompetenzorientierten Unterricht, und das ist zum Erliegen gekommen. Es geht aber auch um rechtliche Rahmenbedingungen, über die wir informieren, um Benotungssysteme: In der Ukraine gibt es am Ende jeder Stunde eine Note – das gibt es in deutschen Schulen nicht.“

Im Jahr 2022, sagt Anette Stein, sei man schon weiter als noch vor sieben Jahren: „Positiv an der aktuellen Situation ist, dass man aus den 2015/2016 gewonnenen Erfahrungen etwa mit syrischen Flüchtlingen extrem viel gelernt hat.“ Beide Stiftungen sind regelmäßig zu Gast in der Task Force, die die Kultusministerkonferenz gerade auch im Hinblick auf die sprachliche Integration nicht allein der Schülerinnen und Schüler, sondern auch der geflüchteten Lehrkräfte eingerichtet hat.

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Um die aus der Ukraine geflüchteten Kinder und Jugendlichen in die Schulen in NRW aufzunehmen, hat das Schulministerium in Düsseldorf noch unter der alten Landesregierung ein Rahmenkonzept erstellt. Im Vordergrund steht der Spracherwerb - Lehrkräfte, die aus der Ukraine stammen, sollen dabei helfen, die Schülerinnen und Schüler beim Ankommen in Deutschland und bei der Integration individuell zu begleiten. Kritiker weisen darauf hin, dass diese Aufgabe aufgrund des bereits bestehenden Lehrkräftemangels kaum zu bewältigen sei.

Die Grundschulen in Nordrhein-Westfalen nehmen den Hauptanteil der Schülerinnen und Schüler auf, die aus der Ukraine vor den russischen Angriffen geflüchtet sind – wobei es eben die Grundschulen sind, die am heftigsten darunter leiden, dass es zu wenig Lehrerinnen und Lehrer gibt.

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