Frühkindliche BildungSchon beim Treppensteigen lernen

Yoga dient der Konzentration.
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Köln – Treppensteigen zählt. Zumindest für die Kleinsten im Familienzentrum „Schatzinsel“ im Kölner Stadtteil Volkhoven-Weiler. In der Kindertagesstätte der Arbeiterwohlfahrt (Awo) wird besonderer Wert auf die frühkindliche Bildung gelegt. Und die beginnt direkt nach Betreten des Baus am Donatushof auf dem Weg in die erste Etage. Zu jeder Stufe der Freitreppe in dem Flur voller Tageslicht gehört eine Zahl. Sie ist auf der Vorderseite des jeweiligen Tritts als Wort, auf der Oberseite als Ziffer und Menge dargestellt.
„So zählen unsere Kinder mehrmals täglich“, erklärt Rebekka Klevenz, Leiterin der Einrichtung, das Prinzip, nach dem in dem Zentrum beinah jeder Ort – und sei er für diesen Zweck auf den ersten Blick gar nicht gebaut – zu einem Lernraum wird. Und dient er scheinbar nur der Fortbewegung von einer Etage in die nächste. Vorwärts und rückwärts zählen die Kinder hier juchzend – auf und abwärts. Jedes Kind in seiner Muttersprache. Gerne auch mehrmals hintereinander. Immer auf und ab. Von 0 bis 20. Von 20 bis 0. Mal mit Erzieherin oder Elternteil. Mal ganz allein. Beiläufig, im wahrsten Sinne des Wortes.
„Wir wollen spielerisch überall Lernräume schaffen“, erläutert Klevenz, die die Verantwortung für 115 Kinder aus sieben Nationen im Alter von zwölf Monaten bis zur Einschulung trägt. 18 Erzieherinnen und ein Erzieher sorgen unter ihrer Leitung dafür, dass die Kinder insbesondere im Bereich musikalische Früherziehung möglichst bald stimuliert werden.
Musikpädagogin engagiert
Eine Musik-Grundausbildung hat das Stammpersonal absolviert. „Wir sind darin sicherlich ganz fit“, sagt Klevenz. Doch erst mit der 10 000-Euro-Weihnachtsspende des Modehauses und Textilunternehmens C&A konnten Instrumente angeschafft und eine Musikpädagogin engagiert werden, die zufällig gefunden wurde. Lisa Krieger ist Mutter eines Kindes im Kindergarten, selbstständige Musikschullehrerin und spezialisiert auf musikalische Früherziehung.
Seit der Spende Weihnachten 2011 kommt sie einmal wöchentlich auch in die „Schatzinsel“. Dadurch erfahren die „Schatzkinder“ noch mehr Wertschätzung und Stärkung. Lisa hier, Lisa da. Lisa ist unentbehrlich. „Wann kommt Lisa?“, fragen die Kleinen schon am Wochenanfang. Und kann sie einmal nicht kommen, ist die Trauer groß.
Für Lisa Krieger sind alle Kinder musikalisch. „Die einen mehr, die anderen weniger.“ Doch für alle gelte, dass sich mit der frühen Stimulation die Intonation verbessere. Und noch mehr als das. „Kinder, denen schon in frühen Jahren Musik nahegebracht wird, fällt auch vieles andere leichter“, sagt die Musikpädagogin. Konzentration, Koordination und Ausdauer würden geschult.
Einrichtungsleiterin Klevenz kann das bestätigen. Hirnforscher hätten herausgefunden, dass mit regelmäßigem Musizieren Verknüpfungen im kindlichen Gehirn entstünden, die das Lernen ebenso wie den Sprachrhythmus begünstigten. Das fällt nicht nur dem Erzieher-Team auf. „Wir bekommen das auch von den Grundschulen, auf die unsere Kinder wechseln, so zurückgemeldet.“ Zugleich ist der Input der Musikkollegin Fortbildung für die Mitarbeiter der Awo. „Alle profitieren davon.“ Dass Kinder schon vor ihrer Einschulung mehr gefördert werden müssen, merkt auch Ramona Koch. Die Kinder-Yoga-Lehrerin verstärkt seit 2011 das Erzieherteam und wird ebenfalls aus der Spende bezahlt. Bei ihr lernen schon die Kleinen Körperspannung und -entspannung. Das dient ihrer Motorik ebenso wie ihrem seelischen Gleichgewicht. „Ihren Atem wahrnehmen, ihr Herz schlagen spüren fördert zudem die Selbstwahrnehmung.“
Vibration eines Tons im ganzen Körper
Beim Yoga lernen die Kinder ihre eigene Energie und die der anderen zu erspüren. Über eine Klangschale auf dem Bauch fühlen sie die Vibration eines Tons im ganzen Körper. Das werde immer nötiger, stellt Koch. „Die Kinder werden jedes Jahr wilder.“ Gleichzeitig brächten sie immer weniger Wissen über Bewegungsabläufe mit. „Anfangs konnten manche von ihnen noch nicht mal rückwärtsgehen – oder Purzelbäume schlagen.“ Bei der Sprachförderung kooperiert die „Schatzinsel“ mit einer logopädischen Praxis.
Noch mehr Förderung ist nur ehrenamtlich möglich. Senioren, die den „Schätzchen“ zusätzlich vorlesen oder mit ihnen singen, stärken ihre Kommunikationsfähigkeit. Klevenz: „Das ist sehr wichtig zur Verinnerlichung der deutschen Sprache.“ Und damit meint sie nicht nur Kinder ausländischer Herkunft. „Auch in vielen Familien ohne Migrationshintergrund wird wenig gesprochen.“
Das können Kindergärten nicht allein auffangen. Dessen ist sich die Leiterin bewusst. Es ist aber eine Bestätigung für die Arbeit ihres Teams, wenn sich sogar noch Eltern Rat einholen, die schon lange keine Kinder mehr im Haus haben. Familienzentrum hin oder her. „Die Menschen sind entscheidend, nicht ein Zertifikat an der Wand.“Doch die zusätzlichen Angebote haben einen Preis. Sowohl Koch als auch Krieger arbeiten zum Freundschaftspreis, „für den ein Handwerker nicht einmal das Haus verlassen würde“. Doch die Weihnachtsspende ist endlich. „Das Geld reicht noch bis Jahresende“, hat Klevenz ausgerechnet. „Dann muss ich mir was Neues überlegen.“