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Hilfe für Heimkinder„Ich wünsche mir, ein Anker in Leonies Leben zu werden“

6 min
Eine ältere Frau und eine Teenagerin sitzen vor einer Wand und haben jeweils eine Tasse in der Hand.

Ehrenamtliche Wegbegleiterinnen können für „Heimkinder“ zu einer dauerhaft wichtigen Bezugsperson werden.

Kölner Verein bildet wieder ehrenamtliche Wegbegleiter für Heimkinder aus – Drei Freiwillige berichten von ihrem sinnstiftenden Einsatz. 

Der Eisvogel ist bekannt für seine Fähigkeit, eine klare Sicht über und unter Wasser zu haben, und er symbolisiert Mut, innere Stärke und Ruhe. „Diese Eigenschaften stehen sinnbildlich für das, worin wir junge Menschen, die abseits des Elternhauses in Wohngruppen leben, gemeinsam mit ehrenamtlichen Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern stärken wollen: in ihrer Resilienz, ihrem Selbstvertrauen und der Fähigkeit, auch unter schwierigen Lebensbedingungen den eigenen Weg zu finden“, sagt Julius Daven.

Der Gründer und Vorsitzende des EWD (Ehrenamtliche Wegbegleitung Deutschland e.V.) erklärt damit auch gleich, warum er den Eisvogel als Vereinslogo auserkoren hat. Seit seiner Gründung im Jahr 2023 hat der, unter anderem auch von „wir helfen“ geförderte, Kölner Verein 20 ehrenamtliche Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter im Großraum Bonn/Düsseldorf/Köln qualifiziert, sechs von ihnen haben schon erfolgreich „gematcht“, was bedeutet, dass Julius Daven sie mit einem jungen Menschen zusammengebracht hat, der in einer Wohngruppe in Köln oder dem nahen Umland lebt – und ideal zu ihnen passt. Das perfekte Match, eben – und bitternötig.

Keine erwachsene Bezugsperson außerhalb des Heims

Denn vielen der 120.000 Kindern und Jugendlichen, die aktuell deutschlandweit in Heimen, korrekter gesagt: Wohngruppen der stationären Jugendhilfe leben – allein in Nordrhein-Westfalen sind es 25.000 – fehlt eine erwachsene Bezugsperson außerhalb der Einrichtung, die ihnen ein Stück Exklusivität und Normalität gibt. Denn diese Jungen und Mädchen haben schon viel Belastendes in ihrem jungen Leben erfahren müssen.

Diese Eigenschaften des Eisvogels stehen sinnbildlich für das, worin wir gemeinsam mit ehrenamtlichen Wegbegleitern junge Menschen, die nicht bei ihren Eltern leben, stärken wollen: in ihrer Resilienz und ihrem Selbstvertrauen
Julius Daven, Gründer und Vorsitzender des Kölner Vereins „Ehrenamtliche Wegbegleitung Deutschland e.V.“

Sie können nicht zu Hause leben, weil ihre Eltern überfordert sind mit der Erziehung und Versorgung oder weil die jungen Menschen in ihrem Elternhaus seelische, körperliche, sexualisierte Gewalt erfahren haben. Oft erleben sie auch in der Zeit nach ihrem Einzug in eine Jugendhilfeeinrichtung – insbesondere aber dann, wenn sie dort wieder ausziehen und als sogenannte Careleaver („Fürsorgeverlasser“) ins eigenständige Leben starten – Bindungsabbrüche, Enttäuschungen und unzureichende Unterstützung.

Junge Menschen beim Übergang ins eigenständige Leben begleiten

„Keine Frage, die Kinder und Jugendlichen werden in den Wohngruppen liebevoll und professionell unterstützt und gefördert. Was einigen von ihnen aber fehlt, ist eine erwachsene Bezugsperson außerhalb des professionellen Kontexts, die freiwillig, unentgeltlich und ausschließlich für sie da ist“, sagt Julius Daven. Die von seinem Verein qualifizierten, ehrenamtlichen Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter dienten dabei, und das ist Daven sehr wichtig, nicht als Ersatz für Fachkräfte, vielmehr sollen sie „Lücken schließen, wo systembedingte Brüche, etwa aufgrund von Personal- oder Einrichtungswechsel, eine Beziehungskontinuität verhindern“. Und sie sollen die jungen Menschen beim Übergang ins eigenständige Leben verlässlich und stärkend begleiten.

Drei dieser frisch qualifizierten Wegbegleiterinnen aus Köln und der Region sind durch einen „wir helfen“-Artikel, der im vergangenen September auf dieser Seite erschien, auf das sinnstiftende Ehrenamt aufmerksam geworden. Katja P. (57), Doris L. (67) und Claudia S. (55), die zum Schutz ihrer jungen Tandem-Partnerinnen und -Partner nicht mit vollem Namen genannt werden möchten, waren spontan fest entschlossen, betroffenen jungen Menschen Halt, Perspektiven und eine zusätzliche Stütze für ihr weiteres Leben zu geben.

Kölnerin wird zu Wegbegleiterin für 13-jähriges Heimkind

„Ich bin voll berufstätig, vermisse die gemeinsame Familienzeit, Ausflüge und Aktivitäten mit Kindern, und habe nach einem Ehrenamt gesucht, das sich mit meinem Job vereinbaren lässt“, sagt Katja P. Da die Mutter von zwei erwachsenen Kindern in einem, wie sie sagt, sehr harmonischen Elternhaus ausgewachsen ist, war ihr Wunsch, diese Erfahrung weiterzugeben an einen jungen Menschen, der dies nicht erleben durfte. Also hat sich Katja P. an den EWD e.V. gewandt und hat zunächst – wie alle Bewerberinnen und Bewerber – einen ausführlichen Fragebogen ausgefüllt und ein erweitertes Führungszeugnis eingereicht.

Es folgten ein 45-minütiges Online-Video-Gespräch mit Julius Daven, in dem es um ihre Motivation für dieses Ehrenamt ging, um ihre Haltung und Reflexionsstärke sowie ein einstündiger Hausbesuch. Zum Schluss absolvierte Katja P. zwei ganztägige Workshop-Samstage, bei denen pädagogische Inhalte und die intensive Auseinandersetzung mit dem Gewaltschutzkonzept des EWDs auf der Agenda standen.

Zeit schenken, gute Gespräche und gemeinsame Aktivitäten

Vier Monate sind anschließend verstrichen, bis Julius Daven einen „aufgeweckten Jungen“ gefunden hat, 13 Jahre alt, nennen wir ihn Martin, der sich eine Bezugsperson wie Katja P. wünschte, eine, mit der er gemeinsam aktiv sein, Minigolf, Fußball, Tischtennis spielen, durch den Wald stromern kann. Viermal hat Katja P. ihn seither getroffen, und bezeichnet ihr Zusammensein als „aktives Kennenlernen, Gespräche sind bisher nicht so sein Ding“. Die Einrichtung, in der Martin lebt, hat attestiert, dass der Teenager aufblüht, seitdem Katja P. ihn alle 14 Tage samstags für etwa vier Stunden besucht.

Ganz anders lief das Kennenlernen bei Doris L. mit der 15-jährigen Leonie ab, die auf der Suche nach einer älteren Gesprächspartnerin war, und sich von der ersten Minute an mit der belesenen und diskussionsfreudigen Doris L. über gesellschaftliche, politische und private Themen austauschte. „Ich wünsche mir, dass ich Leonie, diese sympathische und eloquente Jugendliche, möglichst lange begleiten, zu einem Anker in ihrem Leben werden darf“, sagt Doris L., die sich als Tandem-Partnerin ein Mädchen wünschte, weil sie selber zwei erwachsene Töchter hat.

„Ich hätte auch ein kariertes Kind genommen“

Claudia S. indes sei völlig egal gewesen, welcher junge Mensch ihr „vermittelt“ wird. Nun ist es Alexander (Name geändert), 15, der eine KVB-Stunde entfernt in einer Wohngruppe lebt und sich nach einer stabilen Beziehung zu einem erwachsenen Menschen sehnt, weil er diese Bindung selbst noch nie erfahren hat. „Ich hätte auch ein kariertes Kind genommen“, scherzt Claudia S. und erzählt davon, dass sie schon immer einen guten Draht zu allen jungen Leuten gehabt, ihren Sohn „prima durchgebracht habe, selbst durch die Wirren der Pubertät“ und ihrer ersten Begegnung mit Alexander in wenigen Tagen deshalb völlig offen und neugierig entgegensehe.

Fakt ist: Kinder und Jugendliche wie Martin, Leonie und Alexander haben teils Traumatisierendes erlebt, davor sollten ehrenamtliche Wegbegleiter Respekt aber keine Angst haben, denn sie werden zum einen auf diese Aufgabe sehr qualifiziert vorbereitet und auch anschließend fachlich gut begleitet – etwa durch regelmäßig stattfindende Supervisionen und eine enge Abstimmung des Vereins mit den beteiligten Jugendhilfeeinrichtungen, Allgemeinen Sozialen Diensten und Sorgeberechtigten. „Zentrales Element unserer Arbeit ist ein wirksames, an das spezifische Eins-zu-Eins-Setting angepasstes Kinderschutzkonzept, das sowohl die begleiteten jungen Menschen als auch die Ehrenamtlichen schützt. Alle Beteiligten verpflichten sich zu Offenheit, Reflexion und Zusammenarbeit. Wir verstehen Wegbegleitung als einen kooperativen, nicht als isoliertes Handeln“, sagt Julius Daven. Selbstverständlich werden auch die betroffenen „Careleaver“ mit in den Prozess einbezogen, deren Perspektiven, Wünsche und Bedürfnisse zentral für das Konzept und die Praxis der ehrenamtlichen Wegbegleitung sind.


Sie wollen ein „Heimkind“ begleiten? Bewerben Sie sich jetzt!

Sie möchten ehrenamtlich einen jungen Menschen, der im „Heim“ lebt, und niemanden außerhalb der Wohngruppe hat, begleiten und stärken? Ihn regelmäßig, etwa alle zwei Wochen besuchen und mit ihm gemeinsame Zeit verbringen? Dann bewerben Sie sich jetzt für die nächste Qualifizierungsschulung am 11. und 25. Oktober 2025 in Köln, per E-Mail hier beim Verein „Ehrenamtliche Wegbegleitung Deutschland e.V.“

Mehr Infos finden Sie auf der Vereinshomepage hier >>