KindergrundsicherungZu wenig Geld für arme Kinder

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Ein kleines Mädchen steht vor einem leeren Kühlschrank.

Armut bedeutet mehr als wenig Geld und leere Kühlschränke. Wer arm ist, ist ausgegrenzt und hat weniger Zukunftschancen.

Eine neue Studie belegt, was Armutsforscher längst anmahnen: Die geplante Kindergrundsicherung wirkt nicht effizient gegen Armut. 

Die Höhe der geplanten Kindergrundsicherung reicht nicht aus, um Kinderarmut wirksam und nachhaltig zu bekämpfen, sprich: um Entwicklungsmöglichkeiten und soziokulturelle Teilhabe betroffener Kinder und damit wichtige Elemente des Existenzminimums zu sichern. Was Sozialverbände, Armuts- und Verteilungsexperten längst anmahnen, hat jetzt erneut eine wissenschaftliche Studie bestätigt.

Bis zu 191 Euro pro Monat zu wenig

Für ein angemessenes Niveau, das Kinderarmut nachhaltig verhindert, müssten die Beträge, je nach Alter, sechs bis 30 Prozent höher ausfallen, also zwischen 30 und 191 Euro mehr als aktuell von der Bundesregierung vorgesehen, lautet das Fazit der von der Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie „Berechnung von angemessenen Beiträgen einer Kindergrundsicherung“.

Ziel der Kindergrundsicherung, die im Jahr 2025 starten soll, ist es, Kinderarmut zu bekämpfen, die derzeit hierzulande mehr als jedem fünften jungen Menschen Teilhabe-Chancen und damit Zukunftsperspektiven verwehrt. Ob das gelingt, hängt auch davon ab, wie das Existenzminimum berechnet wird, das der Ermittlung der Kindergrundsicherung zugrunde liegt.

Existenzminimum unzulänglich berechnet

Als „in mehrfacher Hinsicht unzulänglich“ kritisiert Studienleiterin Irene Becker die aktuellen Berechnungen. Denn „es werden dafür nur Konsumausgaben von Haushalten im untersten Einkommensbereich herangezogen. Von den so ermittelten Referenzausgaben werden zudem aufgrund willkürlicher politischer Vorgaben etliche Ausgaben generell gestrichen, etwa für Taschen, das Eis in der Eisdiele, Pflanzen und Tierfutter. Diese Vorgehensweise führt zu einer systematischen Bedarfsunterdeckung“, so die Wirtschaftswissenschaftlerin.

Becker schlägt alternativ vor, die Ausgaben von Haushalten mit mittlerem Einkommen als Bezugspunkt zu nehmen und gänzlich darauf zu verzichten, einzelne Ausgabenpositionen zu streichen. Demnach wäre soziokulturelle Teilhabe gerade noch gegeben, wenn Haushalte bei den Ausgaben für Ernährung, Bekleidung und Wohnen nicht mehr als 25 Prozent und bei sonstigen Bedürfnissen nicht mehr als 40 Prozent von der Mitte nach unten abweichen. Schließlich sollte die Kindergrundsicherung kontinuierlich an die Entwicklung der Verbraucherpreise angepasst werden.

Die aktuellen Berechnungen des Existenzminimums sind unzulänglich und führen zu einer systematischen Bedarfsunterdeckung
Irene Becker, Studienleiterin

Laut Gesetzesentwurf läge der monatliche Höchstbetrag ab 2025 für Kinder unter sechs Jahren bei 530 Euro statt der, in Beckers Studie berechneten, 560 Euro, für Kinder von sechs bis 14 Jahren bei 557 statt 693 Euro und für Jugendliche bis 18 Jahren bei 636 statt 827 Euro.

Arme Kinder: Ausgegrenzt und wenig gebildet

Armut bedeutet mehr als nur ein geringes Einkommen, wer arm ist, kann weniger teilhaben am sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben. Von Armut betroffene Kinder haben nicht die gleichen Möglichkeiten, beispielsweise ins Kino zu gehen, ein Instrument zu lernen, Mitglied eines Vereins zu sein oder kulturelle Angebote zu nutzen wie andere Kinder – was zu schlechteren Bildungschancen führt.

50.000 Jugendliche werden Jahr für Jahr ohne Schulabschluss in ein Leben entlassen, das mit hoher Wahrscheinlichkeit von Arbeitslosigkeit, Abhängigkeit vom Sozialsystem, weniger Lebenszufriedenheit und schlechterer Gesundheit geprägt ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits vor zehn Jahren sehr klare Vorgaben gemacht, was die Bekämpfung von Kinderarmut angeht, indem es erstmals festgehalten hat, dass es ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gibt, wobei das physische und das soziale Existenzminimum gleichermaßen berücksichtigt werden sollen. Es geht dabei nicht nur um die Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Wohnen und Kleidung, sondern auch um die soziokulturelle Teilhabe und um Bildung, also um den grundlegenden Bedarf, den Kinder für ihre Entwicklung benötigen.

OECD: Kinderarmut kostet den Staat mehr als 100 Milliarden Euro

Bleibt die Frage nach den Gesamtkosten für die Kindergrundsicherung. Die Regierung hat sich dafür auf 2,4 Milliarden Euro statt der ursprünglich geplanten 12 Milliarden Euro pro Jahr geeinigt. Wissenschaftliche Studien aber gehen von mindestens 17 bis 26 Milliarden Euro jährlich aus, um Kinderarmut effektiv zu beseitigen. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schätzt die jährlichen Kosten, die die Kinderarmut in Deutschland verursacht, auf mehr als 100 Milliarden Euro. Hinzukommt, dass der Staat für viele Kinder, die heute in Armut leben, auch deren Leben lang deutlich höhere Sozialausgaben leisten muss.

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