Flüchtlingsrat hilftTausende Minderjährige leben ohne gültige Papiere in Köln

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Leben die Eltern illegal in Deutschland, haben oft auch die Kinder keine Papiere.

Leben die Eltern illegal in Deutschland, haben oft auch die Kinder keine Papiere.

Köln – Angst ist ihr ständiger Begleiter. Menschen, die ohne gültige Papiere in Deutschland leben, müssen aufpassen, nicht in eine Verkehrskontrolle zu geraten. Sie können nicht zu einem Arzt gehen, weil sie keine Krankenversicherung besitzen. Ihre Kinder können oft weder Kindergarten noch Schule besuchen. Menschen ohne Papiere müssen illegal arbeiten, müssen auf misstrauische Nachbarn achten. „Sobald man den öffentlichen Raum betritt, kann man entdeckt werden“, sagt Birte Lange, die Menschen ohne Papiere beim Kölner Flüchtlingsrat betreut.

Wie viele Menschen ohne Papiere sich in Deutschland aufhalten, kann nur vermutet werden. Die Bremer Wissenschaftlerin Dita Vogel schätzt ihre Anzahl auf mindestens 140 000 Menschen. 20 000 dieser Menschen könnten in Köln leben, glaubt man der Kölner Studie von Michael Bommes und Maren Wilmes von 2007. Neuere Zahlen gibt es nicht, Experten halten diesen Wert für zu niedrig. Unbekannt ist auch, wie viele Kinder und Jugendliche unter ihnen sind. Die Schätzungen reichen von einigen Tausend bis zu einigen Zehntausend bundesweit.

Schlecht bezahlt und um den Lohn geprellt

Die meisten von ihnen kommen aus Ländern, in denen sie in Armut lebten. In Deutschland arbeiten sie als Reinigungskräfte, auf dem Bau oder in der Gastronomie. „Sie wollen Geld verdienen, um Teile davon in das Herkunftsland zwecks Unterhalts von Angehörigen und/oder zur Investition zu senden“, heißt es in der Studie. Oft werden sie schlecht bezahlt, mitunter sogar vom Arbeitgeber um den Lohn geprellt, erläutert Lange. Denn Menschen ohne Papiere können sich schlecht wehren. Können nicht zum Anwalt oder der Polizei gehen oder ein Gericht anrufen, weil dies eine Abschiebung nach sich ziehen könnte.

Ähnliches gilt für die Wohnsituation. Weil Menschen ohne Papiere keinen üblichen Mietvertrag unterschreiben können, wohnen sie oft bei Verwandten oder Bekannten. „Es sind keine legalen Mietverhältnisse“, sagt Lange. „Oft sind die Zimmer sehr teuer.“ Kritisch ist auch die medizinische Versorgung. Es gibt zwar Organisationen wie die Malteser Migranten Medizin, die Menschen ohne Papiere behandeln. Dennoch meiden viele Betroffene aus Angst Praxen und Kliniken.

Angst vor dem Arztbesuch

„Nur in äußersten Notfällen suchen sie privatärztliche Praxen auf und lassen sich zum Selbstkostenpreis behandeln“, schreiben Bommes und Wilmes. Wer sich selten medizinisch betreuen lässt, wird schneller krank, so Lange. So berichtet Wiebke Bornschlegl in ihrer 2006 veröffentlichten Studie „Der Zugang von Kindern ohne Papiere zu medizinischer Versorgung in Deutschland“ von einem Kind, dass mit komatösem Fieber in einem Krankenhaus behandelt werden musste. Grund war ein Wurzelabszess am Zahn. In einem anderen Fall wurde ein dreijähriges Kind in eine Klinik eingeliefert, das regelmäßig starke Fieberschübe hatte. „Die Mutter kaufte dann jedes Mal Fieberzäpfchen, aber die Schübe kamen immer wieder“, so Bornschlegl. „Dann stellte sich heraus, dass das Kind verschleppten Scharlach hatte.“

Der Kölner Flüchtlingsrat unterstützt diese Familien, die sich oft in prekären Situationen befinden. 92 Beratungen für 49 Menschen führte er im vergangenen Jahr durch. Darunter war ein Iraker, der 2014 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling hierher kam. Er galt als Jeside als politisch verfolgt und erhielt zunächst eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Erst als er diese verlängern wollte, bemerkten die Behörden offenbar widersprüchliche Angaben in seinen Unterlagen und verlangten einen irakischen Pass. „Dazu hätte er aber in die irakische Botschaft gehen müssen, was ihm nicht möglich war“, sagte Lange.

Stattdessen ist der junge Mann, mittlerweile volljährig und verheiratet, untergetaucht. Das Paar hat ein 14 Monate altes Kind, das nun ebenfalls keinen sicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland hat. Ohne Papiere gibt es kein Kindergeld, keine medizinischen Untersuchungen, keine Hilfe von Hebammen.

Flüchtlingsrat fordert besseren Zugang zu Bildung und Krankenversorgung

Im Fall einer anderen Familie hatte der Flüchtlingsrat bereits Erfolg. Eine Mutter mit ihrer achtjährigen Tochter war aus Ghana nach Deutschland geflohen, hatte einen Deutschen geheiratet und so eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. In Ghana zurückgeblieben war aber ihr Sohn, der von seiner Großmutter großgezogen wurde. Als diese starb, floh der damals 14-Jährige aus dem afrikanischen Land. Mit Hilfe einer Schleuserbande flog er nach Paris und kam schließlich bei seiner Mutter in Köln an. Der Kölner Flüchtlingsrat hat den Jugendlichen beraten und dem Ausländeramt vorgestellt. „Es sieht gut aus, dass er einen Aufenthaltsstatus bekommen kann“, sagt Lange. Die Behörden könnten in diesem Fall zugunsten des Jungen werten, dass er keine Sorgeberechtigten im Heimatland besitzt.

Kaum Chancen, in Deutschland aufgenommen zu werden hatte dagegen ein 17-jähriger Serbe, der im Dezember 2019 mit einem gültigen Visum eingereist war und seitdem bei seiner Mutter in Köln lebte. Das Visum lief nach 90 Tagen ab, der junge Mann blieb, auch weil die zuständigen Behörden während der Corona-Pandemie geschlossen waren. Seine Chancen wären vermutlich aber auch ohne das Virus schlecht gewesen. Der junge Mann konnte kaum Deutsch, besuchte keine Schule, absolvierte keine Ausbildung. Als er 18 Jahre alt wurde, entfiel auch das Sorgerecht als möglicher Duldungsgrund. Mittlerweile ist er wieder in Serbien.

Der Kölner Flüchtlingsrat fordert, dass Menschen ohne Papiere mehr Rechte eingeräumt werden. Es müsse einen Zugang zu Bildung und ärztlicher Versorgung geben, die die Betroffenen in Anspruch nehmen können ohne Gefahr zu laufen, abgeschoben zu werden. So arbeite die Stadt Bonn an anonymen Krankenscheinen für Menschen ohne Papiere.

Das Recht auf Bildung

Laut UN-Kinderrechtskonvention hat jedes Kind ein Recht auf Schulbildung. Zudem müssen Schulen illegale Kinder seit 2011 nicht mehr der Ausländerbehörde melden.

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Tatsächlich entspricht dies nicht überall in Deutschland der gesellschaftlichen Wirklichkeit. In einer Studie der Universität Bremen (2015) wurde bei 62 Prozent der befragten Schulen kein gangbarer Weg zur Schulanmeldung des papierlosen Kindes aufgezeigt. Oft sind Lehrer und Schulverwaltungen schlecht informiert. Die betroffenen Familien meiden jedes Risiko, durch eine Schulanmeldung entdeckt und möglicherweise abgeschoben zu werden, sagen Experten.

Auch Kindergärten nehmen Kinder ohne Papiere meist nicht an und die Kleinsten werden eher von Geschwistern oder den Eltern betreut.

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