LRS und DyskalkulieKölner Arbeitskreis setzt auf frühe Förderung

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Ein Grundschul-Mädchen hält verzweifelt eine Schulaufgabe in die Höhe, es scheint Probleme mit der Lösung zu haben.

Geschätzt mehr als 30.000 Schülerinnen und Schüler sind allein in Köln von einer Lese-,Rechtschreib- und Rechenschwäche betroffen.

Rund 25.000 Schülerinnen und Schüler sind allein in Köln von einer Lese- und Rechtschreibschwäche (LRS) betroffen, geschätzte 6.000 weitere von einer Rechenschwäche (Dyskalkulie). Ein Kölner Verein setzt sich dafür ein, dass diesen Kindern frühzeitig geholfen wird.

„Früher ist man in der Schule bedeutend offener mit dem Thema umgangen, da hieß es: Max hat eine Brille, Corinna kann nicht so gut singen und Maximilian ist Legastheniker“, sagt Dieter Budke. Wenn der Erste Vorsitzende des „Kölner Arbeitskreis LRS und Dyskalkulie e.V.“ von früher spricht, davon, dass Schüler wie Maximilian, die eine Lese-, Rechtschreib- (LRS), oder Rechenschwäche (Dyskalkulie) hatten, andere Aufgaben bekamen, mehr Zeit und Arbeitsblätter mit größeren Ziffern und Zahlen, meint er die Sechziger und Siebziger Jahre, als er noch Grundschüler war.

Heute, in Zeiten, in denen Teile der Fachwelt davon ausgehen, dass bis zu 25 Prozent der Schülerschaft von einer LRS betroffen sind und es seit 1991 für jedes Bundesland einen LRS-Erlass gibt, der Unterstützungsmaßnahmen wie Notenschutz und Nachteilsausgleich für diese Schüler regeln sollte, würden sie stiefmütterlicher behandelt denn je.

Lese-Rechtschreibschwäche-Erlass wird oft fehlinterpretiert

Die Zahlen schwanken deutschlandweit, „sicher ist aber, dass es mehr betroffene Schüler mit einer LRS und/oder Rechenschwäche gibt, als Schüler mit einem sonderpädagogischen Förderverfahren. Alleine schon deshalb müssen verbindliche Vorgaben geschaffen werden, die nicht fehlinterpretiert werden können, so wie es mit dem LRS-Erlass in NRW der Fall ist“, sagt Budke. „Viele Schulen handeln immer noch nicht nach dem Erlass, weshalb betroffene Kinder und Jugendliche mehrfach benachteiligt werden statt Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit zu erfahren“, sagt die Gründerin des Arbeitskreises Tanja Blum.

Expertinnen und Experten sind sich einig, dass sich eine unerkannte LRS nicht nur auf das schulische Lernen in allen Fächern auswirkt, sondern auch auf die persönliche Entwicklung der betroffenen Kinder, zu psychischen Störungen bis hin zu seelischen Behinderungen führen und den Kindern auch viel später noch lebensentscheidende (berufliche) Nachteile bringen kann.

Bis zu 25 Prozent der Schüler sind von LRS betroffen

Im Durchschnitt befinden sich in jeder Klasse fünf bis sieben Kinder, die von einer LRS betroffen sind und zirka ein bis zwei Kinder mit einer Rechenschwäche. Umgerechnet auf Köln bedeutet das: Rund 20.000 bis 25.000 Schüler haben Probleme mit dem Lesen und Schreiben, 6.000 weitere mit Rechenaufgaben. Und das nicht etwa, weil sie zu wenig intelligent, zu schwach oder zu krank dafür sind, sondern weil sie Lesen, Schreiben und Rechnen aus verschiedenen Gründen wie etwa einer visuellen Wahrnehmungsstörung nicht mit den üblichen Schulmethoden lernen können.

Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO leiden Kinder und Jugendliche an einer LRS, wenn ihre Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten explizit nicht durch bestimmte äußere Faktoren oder eine geringe Intelligenz zu erklären sind. Diese Kinder lassen Buchstaben willkürlich aus, fügen sie an anderer Stelle hinzu oder vertauschen sie. Ihnen fällt das Lernen nicht nur im Fach Deutsch, sondern auch in anderen Fächern schwer. Denn wer eine Textaufgabe in Mathe aufgrund einer LRS nicht versteht, wird sie auch nicht lösen können.

Schulen müssen von LRS und Dyskalkulie betroffene Kindermöglichst frühzeitig und effektiv fördern, um eine seelische Behinderung zu verhindern.
Tanja Blum, Kölner Arbeitskreis LRS und Dyskalkulie e.V.

Blum: „Es wäre also eine enorm wichtige Aufgabe der Schulen, dass sie diese Kinder möglichst frühzeitig und effektiv fördern. Denn je früher eine Förderung beginnt, desto eher können Lücken geschlossen beziehungsweise vermieden werden, Strategien entwickelt und eine seelische Behinderung verhindert werden“, sagt Blum.

Schulische, nicht ärztliche Diagnose

Der LRS-Erlass für NRW schreibt vor: Die Schule, also der oder die jeweilige Deutschlehrer(in), sollte erkennen, welche Kinder besondere Probleme beim Lesen und Rechtschreiben haben. Und sie daraufhin individuell fördern. Diese Kinder sollten bei Klassenarbeiten einen Nachteilsausgleich und Notenschutz erhalten, um nicht durch schlechte Zensuren immer wieder entmutigt, gedemütigt und gestresst zu werden. „Ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass hierfür ein fachärztliches Attest vorliegen muss“, sagt Blum.

Ein weit verbreiteter Irrtum ist, dass für den Nachteilsausgleich oder Notenschutz ein fachärztliches Attest vorliegen muss.
Tanja Blum, Kölner Arbeitskreis LRS und Dyskalkulie e.V.

„Ein weiteres gravierendes Problem ist, dass die Schulen, vorausgesetzt sie kennen den Erlass, ihn als Kann-Bestimmung interpretieren und nicht als das, was er ist: eine Anweisung. Wenn diese nicht befolgt wird, ist das ein Dienstvergehen“, mahnt Budke.

Das besagt der LRS-Erlass von 1991

  • Nachteilsausgleich: Zu den im LRS-Erlass angewiesenen möglichen Fördermaßnahmen und Nachteilsausgleichen zählt etwa, dass betroffenen Schülerinnen und Schülern
  • verlängerte Pausen-, Arbeits- und Vorbereitungszeiten gewährt werden,
  • sie technische Hilfsmittel, wie ein Lesegerät, Sprachcomputer oder ein Laptop erhalten,
  • ihnen eine Assistenz zur Seite gestellt wird oder/und
  • sie die Möglichkeit erhalten, etwa Klausuren in einer ablenkungsfreien Umgebung, sprich: in einem separaten Raum, zu schreiben.
  • Notenschutz bedeutet konkret etwa,
  • dass bei schriftlichen Arbeiten, egal in welchem Fach, nur der Inhalt und nicht die Rechtschreibung bewertet wird,
  • es statt einer Note einen Kommentar gibt, oder
  • in den Fremdsprachen Vokabeln nur mündlich abgefragt werden. Im LRS-Erlass von Nordrhein-Westfalen steht in Paragraf 4.1: „Die Rechtschreibleistungen werden nicht in die Beurteilung der schriftlichen Arbeiten und Übungen im Fach Deutsch oder in einem anderen Fach einbezogen.“

Zu große Klassen, keine Ausbildung

Dennoch würden rund 85 Prozent der Schulen den Erlass ignorieren. Auch deshalb, weil viele Klassen zu groß seien, um Einzelne individuell zu fördern, die Lehrkräfte dafür nicht ausgebildet seien – LRS und Dyskalkulie sind noch immer kein Thema im Lehramtsstudium – oder eine falsche Einstellung gegenüber der Teilleistungs- und Wahrnehmungsstörung herrsche.

Abhilfe schaffen möchte der im Jahr 2015 gegründete gemeinnützige Verein „Kölner Arbeitskreis LRS und Dyskalkulie“, indem er Eltern, Kitas, Schulen und Therapeuten mit Informationen versorgt, Podiumsdiskussionen mit Fachleuten und Politikern organisiert.

Ralph Caspars ist Schirmherr des Kölner Arbeitskreises

Der Verein erreicht etwa 110.000 Schülerinnen und Schüler und deren Eltern, 1.300 Teilnehmer auf Veranstaltungen und 80.000 Userinnen auf seiner Homepage. Und er bietet kostenfreie Beratungen an. Dieses vorbildliche ehrenamtliche Engagement wurde gerade als „Rheinischer Bildungsplatz 2022“ ausgezeichnet. Der Preis der Rheinischen Stiftung für Bildung ist eine Anerkennung für das bildungspolitische Engagement des Kölner Arbeitskreises, das auf Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit abzielt; darauf, dass Jugendliche einen ihrem Potenzial entsprechenden Schulabschluss erhalten können und damit gute Zukunftschancen haben.

Und damit auch darauf dass, wie Ralph Caspars, der Schirmherr des AKs, sagt: „Bei Kindern, die mit wilden Buchstaben und tanzenden Zahlen Probleme haben, aus Schulfrust wieder Schullust wird.“


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