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SozialtrainingDie starken Mädchen von Porz-Urbach

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Fünf Teilnehmerinnen der „Starke Mädchen“-Gruppe sitzen auf einem Sport-Matten-Wagen, daneben stehen ihre Trainerinnen des Kölner Vereins „FairStärken e.V.“ Anne Arenhövel und Juliane Götz.

Starke Mädchen und ihre Trainerinnen des Kölner Vereins „FairStärken e.V.“ Juliane Götz (links) und Anne Arenhövel.

Die Sozialtrainings von „FairStärken e.V.“ sollen die Bildungs- und Teilhabe-Chancen von benachteiligten Mädchen erhöhen. 

Wenn sich Amelie, 11, Fiona, 13, Chiagozie,11, und bis zu elf weitere Mädchen zwischen zehn und 14 Jahren donnerstags in der Turnhalle des Stadtgymnasiums in Porz-Urbach zur „Starke Mädchen“-Gruppe treffen, tauschen sie sich während der „Wie geht's mir-Runde“ erst einmal über ihr Befinden aus. Erzählen, moderiert von den beiden Trainerinnen Anne Arenhövel und Juliane Götz vom Verein „FairStärken“, davon, was sie gerade freut – der Besuch im Spieleland oder von der Oma aus Vietnam, das Klassenfest, Reitturnier, die Tanzaufführung. Und was sie besorgt – der schlechte Mathetest, dass die Straßenbahn nicht fährt, der Zoff mit der besten Freundin.

„Inzwischen haben die Mädchen gelernt, in sich selbst zu horchen, sich zu fühlen und von ihren Freuden und Sorgen zu erzählen. Zu Beginn des Kurses vor zwei Jahren fiel das einigen von ihnen noch schwer“, sagt Anne Arenhövel. Und Mechthild Böll, die Geschäftsführerin von „FairStärken“ erklärt mögliche Gründe: „Hunger im Bauch, Gewalt in der Familie, Mobbing in der Schule oder andere traumatische Erlebnisse fühlen sich nicht schön an, weshalb Kinder und Jugendliche vermehrt nicht mehr in der Lage dazu sind, sich und ihren Körper wahrzunehmen, sich selbst zu fühlen.“

Faire Bildung, faire Teilhabe

Wie in den rund 120 anderen Projekten des Kölner Vereins – etwa zum sozialen Lernen und zur Gewaltprävention – geht es bei dem, von „wir helfen“ geförderten, geschlechterspezifischen Sozialtraining „Starke Mädchen“, das auch in Deutz und Chorweiler angeboten wird, darum, Mädchen aus benachteiligten Lebenslagen, Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe-Chancen zu ermöglichen.

Mechthild Böll ist Geschäftsführerin des Kölner Vereins „FairStärken e.V.“

Hunger, Gewalt in der Familie, Mobbing in der Schule oder andere traumatische Erlebnisse fühlen sich nicht schön an, weshalb Mädchen vermehrt nicht mehr in der Lage dazu sind, sich und ihren Körper zu fühlen
Mechthild Böll, Geschäftsführerin des Kölner Vereins „FairStärken e.V.“

Im Anschluss an die „Wie geht's mir – Runde“ müssen Anne Arenhövel und Juliane Götz ein brisantes wie wichtiges Thema ansprechen: den Umgang mit der WhatsApp-Gruppe der „Starken Mädchen“. Zwei junge Teilnehmerinnen haben sie in der Woche zuvor gegen alle Abmachungen dazu genutzt, einen privaten Zoff auszutragen. Doch die Gruppe sei ausschließlich für Organisatorisches vorgesehen, etwa für kurzfristige Absagen oder Terminverschiebungen und die Koordination der Ausflüge zum Beispiel ins Frauenmuseum Bonn, ins Kölner Handwerkerinnenhaus oder in den Kletterpark, die auch Teil des „Starke Mädchen“-Projekts sind.

Gesunder Umgang mit den digitalen Medien

Die Trainerinnen machen den Mädchen noch einmal behutsam klar, dass private Fehden generell unter vier Augen und nicht in Social-Media-Kanälen ausgetragen werden sollten. So ergibt sich quasi am „lebenden Objekt“, sprich in der Praxis, ein weiteres ideelles Ziel des Projekts: die Vermittlung von Medienkompetenz. „Neben Datenschutz und Persönlichkeitsrechten in den Sozialen Medien thematisieren wir auch Cybermobbing, Sexting oder Fake News – mit dem Ziel, dass die Mädchen mögliche Gefahren und Risiken im Netz erkennen, bewerten, vermeiden lernen und einen gesunden Umgang mit den digitalen Medien entwickeln“, sagt Anne Arenhövel.

Zwei Teilnehmerinnen des „Starke Mädchen“-Projekts stehen neben zwei Holzkästen in einer Turnhalle und feuern ihre Mitstreiterinnen an.

Szenen aus dem Projekt „Starke Mädchen“ des Kölner Vereins „FairStärken e.V.“

Gemeinsam mit den Mädchen hinterfragt das „FairStärken“-Team zudem traditionelle Rollenbilder und Geschlechterstereotypen. „Digitale Medien sind fester Bestandteil des Alltags der meisten Mädchen. Sie haben einen großen Einfluss auf das Bild von Weiblichkeit und vermeintlichen Schönheitsidealen. Die Mädchen benötigen Medienkompetenz also auch, um die Darstellungen im Netz bewerten und kritisch hinterfragen zu können. Aufgrund der weltweiten Krisen sind viele von ihnen zudem deutlich ängstlicher, weniger belastbar – und damit durch ungefilterten Medienkonsum auch wesentlich leichter zu beeinflussen“, sagt Mechthild Böll.

Aggressionen aktiv und spielerisch abbauen

Daneben vermittelt das „FairStärken“-Team, wie der Name schon verrät, Regelbewusstsein, also einen fairen und gewaltfreien Umgang miteinander – zum Beispiel im Rahmen von kleinen spielerischen „Kampfeinheiten“ mit sogenannten Batacas. Diese gepolsterten Schläger aus Schaumstoff werden häufig bei Deeskalations- und Anti-Aggressionstrainings eingesetzt.

Ein Mädchen steht auf einer Holzbank und versucht, mit einem Bataca, also einem Schläger aus Schaumstoff, ein anderes Mädchen von der Bank zu schubsen.

Chiagozie,11, ist die Gewinnerin des Bataca-Contests.

Flugs und geübt bauen die Mädchen Bänke auf, legen Matten daneben und warten fiebrig auf ihren Einsatz, bei dem jeweils zwei Mädchen versuchen müssen, sich mittels der soften Schläger von der Bank zu schubsen. „Das schafft einen sicheren Raum für den Umgang mit Aggression, die dadurch kontrolliert abgebaut werden kann, statt sie zu unterdrücken oder unkontrolliert auszuleben“, erklärt Anne Arenhövel.

Zukunftsperspektiven verbessern mit politischer Bildung

Außerdem schule der spielerische Einsatz mit den Batakas die motorische Koordination, Konzentration, das Gleichgewicht, den behutsamen Körperkontakt – und den respektvollen, fairen Umgang miteinander. Soziale Kompetenz, gewaltlose Handlungsstrategien und eine erhöhte Frustrationstoleranz seien, so Böll, die Grundlagen dafür, weitere Fähigkeiten erlernen zu können, die die Teilhabe-Chancen von (benachteiligten) Mädchen in der Gesellschaft erhöhen und damit ihre Zukunftsperspektiven verbessern – wozu auch politische Bildung zählt.

Die Mädchen lernen im Kleinen, was es konkret bedeutet, mitzubestimmen, indem sie zum Beispiel die Spiele vorschlagen, oder das Ziel des nächsten Ausflugs. Sie erfahren, ihrem Alter entsprechend zu partizipieren, ihre Bedürfnisse zu erkennen und auszudrücken und somit ihr Leben – und ihre Zukunft – aktiv mitzugestalten. „Dafür erarbeiten wir zum Beispiel gemeinsam demokratische und lösungsorientierte Kommunikationsmethoden, praktizieren einen offenen und interessierten Umgang mit kultureller, religiöser und sozialer Vielfalt, vermitteln Kinder- und Frauenrechte und ein tolerantes Weltbild“, sagt Anne Arenhövel.

Soziales Lernen macht stark

Dass dieses Konzept des sozialen Lernens fruchtet, ahnt, wer erlebt, wie die Mädchen an diesem heißen Juni-Nachmittag in der Turnhalle zwei Stunden lang sehr zugewandt und respektvoll miteinander reden, spielen und kämpfen – und von ihnen im Anschluss erfährt, warum es ihnen so viel Spaß macht. „Weil wir so viele Spiele machen und dabei Regeln einhalten, Spiele mit Regeln machen mehr Spaß“, sagt Amelie. „Anders als manchmal in der Schule oder im Park, tritt hier niemand jemand anderes, niemand nimmt anderen etwas weg oder lacht andere aus“, sagt Maja, „und wir lassen uns meistens ausreden!“ – faire, starke Mädchen, eben!