TraumaarbeitEin Zuhause für zerbrechliche Seelen

Lesezeit 3 Minuten
Zwei geflüchtete Jugendliche sitzen am Rhein und blicken auf den Kölner Dom.

Auch Ausflüge bietet Hennamond e.V. seinen Besucherinnen und Besuchern an.

Der Kölner Verein Hennamond e.V. unterstützt mit dem von „wir helfen“ geförderten Projekt „Zerbrechliche Seelen“ vom Krieg geflüchtete und andere traumatisierte Jugendliche.

Alan Hussein kann sich noch gut erinnern, wie er sich bei seiner Abreise aus seinem syrischen Heimatdorf wunderte, dass seine Eltern beim Abschied weinten. „Die Reise war ja nur als kurzer Trip nach Istanbul geplant, als Belohnung dafür, dass ich die neunte Klasse geschafft hatte.“ Erst in Istanbul erfährt der 14-Jährige die Wahrheit: „Ich bekam einen Anruf von meinen Eltern. Sie baten mich: Komm nicht zurück. Alle suchen dich.“

Ohne Familie reist Alan daher weiter nach Europa, kommt 2014 in Deutschland an. „Die Reise war nicht einfach“, sagt er. „Wie gut, dass meine Tante, die schon länger in Deutschland lebte, für mich die Vormundschaft übernommen hat.“

Über den Krieg sprechen öffnet Wunden

Wenn Alan über den Krieg und seine Flucht spricht, öffnen sich auch heute noch die Wunden, wie er sagt. „Darum war es großes Glück, dass ich über meine damalige Bonner Nachbarin Avim im Jahr 2020 den Verein Hennamond kennengelernt habe“, so Alan. Avim Hesso ist ebenfalls kurdischstämmig und seit 2016 in Deutschland. Im Gegensatz zu Alan musste sie nicht auf ihre Angehörigen verzichten – ihr Vater hatte die Familie nachholen können.

Ob man Gewalt durch einen Krieg oder in der eigenen Familie erlebt hat, ist letztlich egal
Sonja Fatima Bläser

Dennoch hat auch sie große Schwierigkeiten, sich an das neue Leben zu gewöhnen. „Man muss mit 15 sein ganzes Umfeld hinter sich lassen und in einem fremden Land bei Null anfangen. Wo ist meine Heimat? Diese Frage hat mich sehr beschäftigt.“ Avim findet über die Schule den Weg zu Hennamond, als der Verein seine Arbeit an ihrem Berufskolleg vorstellt. Avim und Alan sind nun regelmäßig in dem Ladenlokal in der Wilhelm-Sollmann-Straße zu Gast, wo sie im Rahmen des Projekts „Zerbrechliche Seelen“ betreut werden.

„Hennamond“-Geschäftsführerin Sonja Fatma Bläser möchte traumatisierten Jugendlichen Halt bieten.

„Hennamond“-Geschäftsführerin Sonja Fatma Bläser.

„Ich beschäftige mich seit 33 Jahren mit den Themen Zwangsheirat, Kinderehen und Ehrenmord, den Verein haben wir im Jahr 2006 gegründet, um Kinder und Jugendliche aufzufangen, die davon betroffen sind“, sagt Sonja Fatma Bläser, die Geschäftsführerin des Vereins. Heute bietet der mehrere Projekte mit unterschiedlichen Zielsetzungen an – „Zerbrechliche Seelen“ richtet sich an Jugendliche, die traumatische Gewalterfahrungen gemacht haben.

Diesen Jugendlichen ermöglicht der Verein mit Unterstützung von „wir helfen“ Einzelberatungen und Gruppentreffen und bemüht sich um eine möglichst umfassende, nachhaltige Betreuung. „Wir wollen die jungen Leute nicht nur beraten und dann sagen: Das war's“, sagt Bläser. „Wir wollen auf vielen Ebenen arbeiten und schauen, was die Einzelnen brauchen. Jemanden zum Reden? Hilfe bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz? Eine Therapie?“

Auch deutsche traumatisierte Jugendliche besuchen den Kölner Verein

Zwar finden sich unter den Jugendlichen viele mit Flucht- oder Migrationserfahrungen, doch das sei laut Bläser zweitrangig. „Man kann in Deutschland aufgewachsen und trotzdem traumatisiert sein – ob man Gewalt durch einen Krieg erlebt hat oder innerhalb der eigenen Familie, ist letztlich nicht entscheidend“, sagt Bläser.

Gerade die Problemlagen von Jugendlichen, die sich mit ihren Familien überworfen haben, sind sehr komplex, weiß Birgit S., die seit 2021 als Beraterin für den Verein tätig ist.„Eigentlich definieren sie sich sehr stark über die Familie, gleichzeitig wollen sie ein selbstbestimmtes Leben führen und haben ihre Verwandten damit plötzlich gegen sich. Da zerbricht ein ganzes Weltbild“, sagt die Beraterin.

Heimat muss kein Ort sein

Eine Therapie wäre gerade in diesen Fällen oft nötig, doch die Wartelisten sind lang. Geplant ist daher nun der Aufbau einer Stabilisierungsgruppe, die Birgit S. leiten soll. „Die ersetzt zwar keine Therapie, bietet aber eine zusätzliche Hilfestellung.“ Für Alan und Avim jedenfalls ist Hennamond zu einer bedeutenden emotionalen Stütze in ihrem Leben geworden. „Der Verein ist meine Familie“, sagt Alan. Avim geht es ähnlich. „Hier habe ich gelernt, dass Heimat kein Ort sein muss“, sagt sie.

KStA abonnieren