Regierung, Industrie und Arbeitnehmervertreter ringen um die Zukunft der Autoindustrie. Neue Fördermaßnahmen für die E-Mobilität könnten kommen.
Autogipfel im KanzleramtWeicht die Koalition das Verbrenner-Verbot auf?

Beim Autogipfel in Berlin werden die Weichen für die Zukunft von Deutschlands wichtigster Industrie gestellt.
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„Autogipfel“ gibt es fast jedes Jahr, aber selten war die Lage so komplex. Konjunkturschwäche, Standortprobleme und Transformation summieren sich zu dramatischem Druck auf Hersteller und Zulieferer. „Aktuell gehen jeden Monat in Deutschland Arbeitsplätze in der Automobilindustrie verloren, von Juni 2024 bis Juni 2025 waren es über 50.000“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des Verbands der Automobilindustrie (VDA) und der IG Metall. Auch in Köln musste Ford zuletzt tausende Stellen streichen. Entsprechend groß sind die Erwartungen, wenn sich an diesem Donnerstag Vertreter von Regierung, Industrie, Gewerkschaft und Verbänden im Kanzleramt treffen.
Die Elektromobilität muss vorangebracht werden
Am Weg in die E-Mobilität will grundsätzlich niemand rütteln, denn die Industrie hat längst Milliarden investiert, und die Konkurrenz aus Asien und den USA sitzt ihr im Nacken. VDA und IG Metall, deren Vertreterinnen mit am Tisch sitzen, fordern eine Dreifachstrategie: Die E-Mobilität müsse vorangebracht, aber auch die CO2-Regulierung „flexibilisiert” und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie grundsätzlich verbessert werden.
„Wir halten den Kurs in Richtung Elektromobilität weiterhin für richtig, würden aber einen längeren Übergangszeitraum tolerieren, um Arbeitsplätze in der Zulieferindustrie zu sichern“, erläutert Kerstin Klein, Geschäftsführerin und erste Bevollmächtigte der IG Metall Köln-Leverkusen. Schwerpunkte der Autozulieferindustrie in der Region finden sich in Burscheid und mit dem Motorguss-Anbieter Eisenwerk in Brühl. Branchenexperten schätzen, dass zurzeit mindestens 4000 Menschen im Großraum Köln in der Zulieferindustrie arbeiten.
Verlängerung der Kfz-Steuerbefreiung für E-Autos bis 2035 geplant
Sie alle hoffen auf Impulse aus Berlin. Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) hat bereits eine Verlängerung der Kfz-Steuerbefreiung bis 2035 zugesagt, um den Verkauf von E-Autos anzukurbeln. Der Verband des Kraftfahrzeuggewerbes (ZDK) schlägt eine höhere Kilometerpauschale für E-Autos vor.
Eine staatliche Kaufprämie ist dagegen unwahrscheinlich: Das Instrument hat wenig Freunde, weil es zu Strohfeuern führt und Gebrauchtpreise drückt. Der Verband der Automobilhändler Deutschlands (VAD) lehnt Prämien ausdrücklich ab.
Es wird auch um bessere Rahmenbedingungen gehen. Das Ladenetz ist zwar dichter geworden, aber es fehlt an Schnellladern und an Lademöglichkeiten in Mietshäusern. Fast alle Verbände fordern niedrigere Strompreise und mehr Preistransparenz an den Ladesäulen.
Stefan Bratzel: „Ein Aufweichen des Verbrennerverbots führt nicht weiter“
Das sind Maßnahmen, die auch Stefan Bratzel unterstützt. „Ein Aufweichen des Verbrennerverbots führt nicht weiter“, sagt der BWL-Professor und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. Viele Autohersteller hätten sich ja bereits auf diese Regulierung vorbereitet. „Den Markthochlauf der E-Autos würde das nur bremsen“, so Bratzel am Mittwoch im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Autohersteller sei es dagegen wichtig, dass die Stückzahlen in der E-Auto-Produktion deutlich zunehmen, um die Kosten zu senken und Skaleneffekte zu nutzen.
„Parallele Entwicklungen von Verbrennern, Hybriden und E-Fahrzeugen würden die Kosten nur steigern“, sagt der Wissenschaftler. Der Forderung nach Technologieoffenheit hält Bratzel entgegen: „Dem Elektroauto gehört die Zukunft, es wird sich langfristig durchsetzen.“ An den Autogipfel hat Bratzel die Forderung, den „Ausbau von Ladesäulen zu beschleunigen, die Ladestrompreise zu senken und etwa Anreize durch günstigere Parkplätze“ für Stromer anzubieten.
Nur noch elektrische Neuwagen ab 2035: „Nicht realistisch“
Doch trotz aller Förderung wird das Klimaziel wohl nicht erreicht: Bis 2035 muss der CO2-Ausstoß neuer Pkw und leichter Transporter in der EU stufenweise auf null sinken. Hersteller, die die Vorgaben nicht erreichen, zahlen hohe Strafen. Angesichts des zähen Starts sei es aber „nicht realistisch”, in Europa in zehn Jahren nur noch elektrische Neuwagen zu verkaufen, sagte jüngst VW-Chef Oliver Blume. Außerdem fürchtet die Industrie, ohne moderne Verbrenner im Rest der Welt abgehängt zu werden.
Auch beim Familienunternehmen Witte Automotive aus Velbert hat man klare Erwartungen an den Autogipfel. „Für Witte ist entscheidend, dass die Wirtschaft insgesamt angekurbelt wird.“ Die Politik müsse Planbarkeit schaffen. Für die Industrie, aber auch für die Verbraucher, damit die ihre Kaufzurückhaltung aufgeben, so eine Unternehmenssprecherin. Witte, in der Branche vor allem bekannt für seine Schließsysteme, leide unter den „nach wie vor extrem hohen Energiekosten“, die etwa die Produktion im Stanzwerk in Wülfrath verteuern. Ein weiteres zentrales Problem sei auch der „wahnsinnig hohe Bürokratieaufwand“, heißt es aus dem Unternehmen. „Wenn es gelänge, den abzubauen, wäre viel erreicht.“
Produktionsvolumen von Fahrzeugen in Europa ein Viertel unter dem Vor-Corona-Niveau
Bei Adient, dem größten Autositzhersteller weltweit, der seine Europazentrale und ein Technologiezentrum in Burscheid unterhält, verweist man auf die konjunkturelle Lage, die der Branche zusetze. „Das Produktionsvolumen von Fahrzeugen innerhalb Europas ist im Vergleich zum Vor-Corona-Niveau um ein Viertel gesunken. Dementsprechend gibt es Überkapazitäten und einen hohen Preisdruck“, erläutert Sprecherin Claudia Steinhoff. Unklare Rahmenbedingungen schafften in diesem ohnehin schwierigen Umfeld zusätzliche Unsicherheit. Adient sei als Hersteller von Autositzen nicht direkt von der einen oder der anderen Antriebstechnologie abhängig. „Wir spüren es aber sehr wohl, wenn die Autobauer die Produktion für bestimmte Baureihen anpassen, ursprünglich geplante Serien nach hinten schieben oder ganz einstellen müssen, weil der Fokus sich vom E-Auto zum Verbrenner verlagert oder umgekehrt“, so Steinhoff.
Die Politik sucht derweil nach Kompromissen. Die SPD will das Datum 2035 retten, vor allem Landespolitiker wie der niedersächsische Ministerpräsident Olaf Lies und Anke Rehlinger im Saarland plädieren aber für Übergangslösungen. Auf der anderen Seite lehnt die Union das „Verbrennerverbot“ zwar ab, aber Kanzler Friedrich Merz (CDU) formuliert das mit Hintertüren: „Meine klare Vorstellung ist, dass wir dieses sogenannte Verbrennerverbot in der Form nicht aufrechterhalten“, sagte er jüngst. Also in anderer Form?
„Es gab bislang kein pauschales Verbrennerverbot und es wird auch keines geben“
So schwierig sei das nicht, glaubt Lies: „Es gab bislang kein pauschales Verbrennerverbot und es wird auch keines geben.“ Schon die bisherigen Pläne machten klimaneutrale Treibstoffe für Verbrenner ebenso möglich wie andere Maßnahmen, um Klimaneutralität zu erreichen. Das Problem: Die dafür nötigen EU-Regeln gibt es auch nach jahrelanger Diskussion noch nicht.