Konfliktforscher zu Bauern-Demos„Berechtigte Sorgen vermischen sich mit destruktiven Aussagen“

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Bauernproteste in Bamberg: Ein Traktor, an dem ein Galgen als Zeichen des Protests aufgebaut ist, parkt am 8. Januar zwischen zahlreichen anderen Schleppern.

Bauernproteste in Bamberg: Ein Traktor, an dem ein Galgen als Zeichen des Protests aufgebaut ist, parkt am 8. Januar zwischen zahlreichen anderen Schleppern.

Konfliktforscher Felix Anderl sagt, verschiedene Gruppen projizierten ihre Wut auf die landwirtschaftliche Debatte. Um Zukunftsfragen geht es nicht.

Herr Anderl, Bauern und Bäuerinnen blockieren dieser Tage überall im Land mit Traktoren die Autobahnen und Städte. Das ist außergewöhnlich, oder?

Historisch betrachtet ist diese Protestform gar nicht so außergewöhnlich. Weltweit und auch in Deutschland mobilisieren Bauern und Bäuerinnen immer wieder besonders effizient und schnell. Mit relativ wenig Aufwand können ihre Traktoren ganze Straßen sperren. Das wirkt sofort mächtig und spielt dem Protest natürlich in die Karten. Klimaaktivisten und ‑aktivistinnen, die sich auf eine Straße setzen, haben da beispielsweise nicht so eine Macht.

Sie forschen zu Bauernprotesten weltweit. Sind die Traktorblockaden hierzulande gerade Ausdruck dessen, dass unser globales Agrarsystem nicht mehr gut funktioniert?

Ja, aber man muss genau gucken, was das für Bauern sind, die protestieren, und was sie wollen. Da bietet sich der internationale Vergleich an. In Indien etwa gab es vor drei Jahren die größten Bauernproteste in der Landesgeschichte. Die Bilder ähneln zwar denen aus Deutschland. Tausende Traktoren blockierten Straßen in Delhi – sogar den ganzen Winter über. Die Protestform ist also vergleichbar. Aber es gibt einen zentralen Unterschied: In Deutschland demonstrieren gerade viele Landbesitzer. In Indien sind es zum größten Teil Pächter und Kleinbauern, die eine Umverteilung von Land fordern.

Bauernproteste: „Das Agrarsystem an sich wird nicht infrage gestellt“

Was zeigt Ihnen das als Konfliktforscher?

Das Spannende am Bauernprotest hierzulande ist: Es geht gerade eigentlich gar nicht um revolutionäre Forderungen. Im Gegenteil. Es geht um kleinere technische Zahlungsfragen. Das Agrarsystem an sich wird überhaupt nicht infrage gestellt.

Trotzdem bekommt das Agrarsystem durch die Bauernproteste gerade mehr Aufmerksamkeit. Besteht aus Ihrer Sicht die Chance, dass Strukturprobleme in nächster Zeit mitdiskutiert werden?

Ich bin mir nicht sicher. Diese Proteste artikulieren sich auf eine Art und Weise, die nicht zukunftsgerichtet ist. Die berechtigten Sorgen vermischen sich mit destruktiven und polarisierenden Aussagen. Die Bauernproteste scheinen auch den Zweck „die da oben“ zu kritisieren. Das hat teilweise eine populistische Dimension. Und das vermischt sich mit einer Wut gegen das System, die Ampel, die Expertinnen und Experten.

Es geht bei den Protesten auch viel um ein Gefühl, im ländlichen Raum abgehängt zu sein. Das vielerorts auch berechtigt, aber es wird sehr diffus vorgetragen und ist damit an problematische politische Themen anschlussfähig. Mich erinnert das an die Corona-Proteste. Es wird nicht klar, wofür oder wogegen nun genau demonstriert wird. Verschiedene Gruppen projizieren ihre Wut auf die landwirtschaftliche Debatte. Die strukturellen Fragen bleiben außen vor.

„Die großen Player in der Landwirtschaft wollen Systemfrage nicht stellen“

Welche Rolle spielt der Bauernverband bei den Protesten?

Er ist der wichtigste Akteur, gibt die politische Richtung vor und mobilisiert. Er vertritt inhaltlich vor allem Landwirte mit großen Ländereien. Diese sind hochgradig abhängig von staatlichen Zahlungen, weil Subventionen pro Quadratmeter gezahlt werden. Die großen Player wollen die Systemfrage deshalb nicht stellen. Es gibt zwar auch hierzulande Bauern und Bäuerinnen, die das regelmäßig machen. Auch sie protestieren mit Traktoren – jedes Jahr im Januar unter dem Motto „Wir haben es satt“. Sie bekommen aber meistens nicht so viel Aufmerksamkeit.

Die großen Player sind besser organisiert als die vielen kleineren Betriebe?

Sie haben mehr Macht. Um Politik zu verändern, reichen Blockaden und Demos nicht aus. Man braucht auch Stimmen in der Politik, die die Botschaft von der Straße in die Institutionen tragen. Da hat der Bauernverband als Lobbyinstitution eine sehr starke Position.

„Agrarpolitik gilt in Deutschland als wenig sexy“

Halten Sie die aktuellen Bauernproteste für verhältnismäßig?

Der Protest ist schon nachvollziehbar. Die Landwirte brauchen ja die Subventionen. Wenn man die wegnimmt, ist das für viele Betriebe erst mal ein existenzielles Problem.

Was fehlt, ist aber die langfristige Perspektive. Wie kommen wir zu einem Agrarsystem, in dem Bauern und Bäuerinnen von ihrer Arbeit gut leben können und nicht mehr so stark von Bezuschussung abhängig sind? Da macht der Bauernverband wenig Vorschläge, weil er sich in diesem System eingerichtet hat. Auch politische Entscheidungsträger sind verhalten. Agrarpolitik gilt in Deutschland und Europa als wenig sexy.

Dabei spielt gerade dieser Bereich auch im Klimawandel eine wichtige Rolle.

Der Agrarsektor ist momentan global gesehen der zweitgrößte Emittent und schädlicher für das Klima als der ganze Personenverkehr zusammengenommen. Aus Klimasicht muss sich die Landwirtschaft systemisch umstrukturieren. Eigentlich müssten wir jetzt darüber sprechen statt über die 2000 Euro mehr oder weniger Subventionen. Auch, wenn dieses Geld in diesem Moment für manche Höfe natürlich wichtig ist. Ich verstehe die Wut da schon.

Aber sie überdeckt die eigentlich notwendige Diskussion um eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Um diese müsste sich die Regierung kümmern und es bleibt für die Bäuerinnen und Bauern der Zukunft zu hoffen, dass der Bauernverband die Diskussion in diese Richtung lenkt.

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