Pharma-Sparte in der KriseBayers Milliarden-Pläne platzen – Konzern schweigt zu Folgen für Leverkusener Pillenfabrik

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Leverkusen Bayerkreuz. Foto: Ralf Krieger

Das Bayerkreuz in Leverkusen.

Zwei schlechte Nachrichten innerhalb weniger Tage lassen die Bayer-Aktie dramatisch abstürzen. Der neue Vorstandschef ist unter Zugzwang.

Als die EU-Kommission in der vergangenen Woche nach zähem Ringen entschieden hatte, das Pflanzengift Glyphosat weitere zehn Jahre zuzulassen, war das für Bayer ein großer Erfolg. Mehrere Milliarden Euro Umsatz hängen für den Leverkusener Konzern schließlich an Produkten, die Glyphosat enthalten. Wenige Tage später sieht die Welt für Bayer düster aus. Zwei schmerzende Nachrichten mussten die Leverkusener in den vergangenen Tagen verkraften.

Eine krachende Niederlage in den USA

Erst entschied am Freitag ein Gericht im US-Bundesstaat Missouri, Bayers Glyphosat-Mittel Roundup sei für die Krebserkrankungen dreier Kläger verantwortlich. Mehr als 1,5 Milliarden Dollar sollen sie von Bayer an Schadensersatz erhalten, lautete das Urteil der ersten Instanz. Die Vergangenheit hat zwar gezeigt, dass die Summen in Folgeinstanzen deutlich niedriger ausfallen – eine Niederlage ist der Richterspruch dennoch.

Und als wäre das nicht schon genug für ein Wochenende, kam am Sonntag die Schreckensmeldung: Bayer stoppt eine klinische Phase-III-Studie des Wirkstoffs Asundexian. Geprüft wurde in der Studie, ob Asundexian – wie erhofft – einen therapeutischen Vorteil gegenüber der Standardbehandlung bei Patienten mit Vorhofflimmern und Schlaganfallrisiko bietet. Doch das Gegenteil ist der Fall, heißt es: Asundexian ist im Vergleich zur Kontrollgruppe gar unterlegen.

Dabei war Asundexian die Hoffnung für Bayers Pharma-Sparte. Das Patent für den größten Umsatzträger, das Gerinnungsmittel Xarelto, läuft im kommenden Jahr aus. Dann darf die Konkurrenz Nachahmerprodukte mit dem gleichen Wirkstoff, sogenannte Generika, auf den Markt – und damit Bayers Umsatz mit Xarelto zum Einsturz bringen. 2022 erlösten die Leverkusener 4,5 Milliarden Euro mit dem Medikament. Das entspricht mehr als einem Viertel des gesamten Umsatzes der Pharma-Sparte. Für Bayer ist es wichtig, Nachfolgeprodukte in der Pipeline zu haben, neue Umsatzträger, die das Geschäft stabilisieren.

Von Asundexian wurden Spitzenumsätze erwartet

Für Asenduxian war eine solche Rolle vorgesehen. Jährliche Spitzenumsätze von mehr als fünf Milliarden Euro sollte der neue Wirkstoff bringen. Ein Großteil davon ist hinfällig, auch wenn Asenduxian für zwei weitere Indikationen in Phase-III-Studien nun weiter erprobt wird. „Vorhofflimmern war die wichtigste Indikation mit 70 bis 80 Prozent des Marktpotenzials“, sagt Markus Manns, Portfoliomanager bei Union Investment, der Fondsgesellschaft der DZ Bank. „Das ist ein heftiger Rückschlag für Bayer“, führt er aus: „Asundexian war die Perle in Bayers Pharma-Pipeline und ohne den Wirkstoff steht die Pharma-Sparte ohne nachhaltiges Wachstum da.“

Das wiegt auch deshalb schwer, weil 2025 darüber hinaus das Patent auf Eylea ausläuft. Das Augenmedikament belegt Rang zwei der umsatzstärksten Pharma-Produkte Bayers mit Einnahmen von zuletzt gut 3,2 Milliarden Euro.

Die Nachrichten sorgten für einen Kurzsturz der Bayer-Aktie am Montag. Ihr Wert fiel zwischenzeitlich auf weniger als 33 Euro je Aktie – der niedrigste Stand seit 17 Jahren. Innerhalb kürzester Zeit verringerte sich Bayers Marktwert um knapp ein Fünftel. 

„Der Geduldsfaden der Anleger ist zuletzt immer dünner geworden“, sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). „Sie sind unsicher und ungeduldiger geworden, das ist Gift an der Börse. Wenn dann so kumuliert zwei böse Nachrichten kommen, ist da nichts mehr, was sie aufhält.“

Bayer – gefangen zwischen Vergangenheit und Zukunft

Jetzt sei Bayer in einer Zange von Vergangenheit und Zukunft. Die Vergangenheit: Glyphosat. „Bisher hat nur die Vergangenheit Probleme bereitet. Die Story, die Bayer erzählt hat, war: Wir managen das schon, die Probleme mit den Glyphosat-Klagen in den USA sind irgendwann abgeschlossen“, sagt Tüngler. „Bayer hat es dabei immer geschafft, zu vermitteln, dass die Pharma-Pipeline in der Zukunft den Anschluss schafft, und hat das mit großer Hoffnung und Visionen befeuert. All das ist am Sonntag in sich zusammengefallen. Jetzt ist auch die Zukunft unsicher.“ Wenn Bayer noch zwei, drei andere Pfeile im Köcher hätte, „dann wüssten wir es längst“, sagt Tüngler. Die Vielzahl der Probleme bildeten ein „extrem toxisches Gemisch“.

Und so stellt sich, wieder einmal, die Frage, ob Bayer jetzt endgültig zum Übernahmekandidaten geworden ist. 2018 haben die Leverkusener den Glyphosat-Erfinder Monsanto noch für etwa 57 Milliarden Euro übernommen, gut fünf Jahre später ist Bayer selbst an der Börse nicht mehr annähernd so viel wert. Auch ein Verkauf von Unternehmensteilen ist denkbar, der neue Bayer-Chef Bill Anderson hat sie zuletzt selbst öffentlich diskutiert. Dass die Pharma-Sparte abgestoßen wird, war bislang allerdings kaum denkbar, der US-Amerikaner Anderson ist Pharma-Manager durch und durch, war CEO von Roche in der Schweiz und managte zuvor Unternehmen in den Bereichen Neurologie und Onkologie.

Fragen zur Leverkusener Pillenfabrik nicht beantwortet

Völlig offen bleibt am Montag die Zukunft von Bayers neuer, automatisierter Produktionsanlage für Tabletten, eine der laut Bayer modernsten Pillenfabriken der Welt, die gerade in Leverkusen gebaut wird. 275 Millionen Euro investiert Bayer in die Anlage Solida-1. Im Frühjahr 2024 soll die Herstellung von Medikamenten dort anlaufen, verkündete Bayer bei einer Führung durch das Werk Ende Oktober. Bis zu 1,2 Milliarden Tabletten sollen in Leverkusen künftig produziert werden, hieß es zuletzt. Das erste Präparat, das aus der Solida-1 stammen sollte: Asenduxian. Bayer ließ sämtliche Fragen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ nach den Folgen des Studien-Abbruchs auf die geplante Produktion am Konzernsitz am Montag unbeantwortet.

Gefragt nach Medikamenten mit Blockbuster-Potenzial wie Xarelto und Eylea, sind die Leverkusener auskunftsfreudiger. Nubeqa, ein in den USA bereits 2022 zugelassenes Mittel zur Behandlung von Prostatakrebspatienten, besitze ein prognostiziertes „Spitzenumsatzpotenzial von mehr als drei Milliarden Euro“, schreibt eine Sprecherin. Im vergangenen Jahr nahm Bayer damit 466 Millionen Euro ein, in den ersten neun Monaten 2023 waren es bereits 611 Millionen. Der Wirkstoff Kerendia, der Patienten mit chronischer Nierenerkrankung bei Diabetes Mellitus hilft, sorgte 2023 bislang für einen Umsatz von 185 Millionen Euro, in der Spitze soll er ebenfalls drei Milliarden Euro erreichen.

Ein „Potenzial von mehr als einer Milliarde Euro“, sagt die Bayer-Sprecherin, „wird auch Elinzanetant zugeschrieben“, einem Wirkstoff, der Symptome an Blutgefäßen während der Menopause behandeln soll. Elinzanetant befinde sich in Phase III der klinischen Entwicklung.

Bayer-Chef Bill Anderson hatte bei Investoren seit seinem Start am 1. April und als Konzernchef seit 1. Juni um einige Zeit gebeten, dem Konzern eine neue Strategie zu geben. Doch jetzt herrsche Ungeduld am Kapitalmarkt, sagt DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler: „So langsam muss mal was kommen. Der Druck steigt enorm, die Handlungsoptionen werden weniger.“ Tüngler setzt große Hoffnungen auf den Kapitalmarkttag im kommenden Frühjahr, bei dem Anderson über die Strategie des einst wertvollsten deutschen Unternehmens zu informieren plant. „Aktuell ist Bayer ein Konzern, der seit April eigentlich ohne Strategie unterwegs ist.“

Markus Manns von Union Investment sieht Bill Andersons Bayer jetzt unter Druck, neue, bereits zugelassene oder kurz davor stehende Medikamente zu lizenzieren. „Und es wird teuer, eigentlich ist dafür kein Geld da.“ Eile wünscht er sich bei einer neuen Strategie nicht: Bill Anderson werde zwar gerade „von den Nachrichten überrollt“, sagt Manns. „Aber die Strategie, die im März verkündet werden soll, ist bedeutsamer als der Zeitpunkt, an dem sie verkündet wird.“

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