Schicht im SchachtBergbau im Ruhrgebiet endet nach 200 Jahren

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Auch die Zeche Prosper-Haniel in Bottrop wird dicht gemacht.

Bottrop – Was Frank Lohmann auf keinen Fall will, ist Mitleid. Aber es sollte schon „rüberkommen, dass wir betroffen sind von der Schließung der letzten Zechen“, sagt der 51-Jährige und posiert in seiner Arbeitskleidung mit dem Häckel, dem traditionellen Handstock, der üblicherweise zu festlichen Anlässen mitgeführt wird, vor Schacht 10 auf Prosper-Haniel in Bottrop. Es ist die letzte Zeche im Ruhrgebiet. Mit ihrer Schließung Ende Dezember 2018 werden knapp 200 Jahre Steinkohle-Bergbau zu Ende gehen. Schicht im Schacht wird es zeitgleich in Ibbenbüren im Münsterland heißen, wo die Ruhrkohle AG noch das Bergwerk Anthrazit betreibt.

Was für Außenstehende und die vielen Besucher, die auf den letzten Drücker eine Grubenfahrt unternehmen möchten, nach Folklore aussehen mag, ist für die 2500 Bergleute Alltag. 1800 von ihnen werden 1200 Meter unter Tage bis Ende des Jahres rund 2,5 Millionen Tonnen Steinkohle aus der Erde holen. Sie wissen seit Jahren, dass ihr Job zum Aussterben verdammt ist, weigern sich aber, Endzeitstimmung zu verbreiten. Sie malochen immer weiter. Bis zur letzten Schicht. Und zum Teil auch noch danach.

Frank Lohmann gehört zu den Dinosauriern

Wie Frank Lohmann. Er zählt zu den Dinosauriern auf dem Pütt. „Ich habe auf diesem Bergwerk gelernt und bin immer noch hier.“ Ein Alt-Prosperaner, von denen es nur noch zehn oder zwölf gibt. Als Bergmechaniker hat er begonnen, mit 16 Jahren, weil die Schule nicht sein Ding und der Opa Schießmeister auf der Zeche war. „Wir haben damals alle die Hauptschule gemacht und sind dann in den Bergbau gegangen.“

Lohmann hat sich immer um die Transport-Logistik gekümmert, unter Tage Dieselkatzen gefahren, Schienenhängebahnen, mit denen die Männer und Werkzeuge kilometerweit vor Ort transportiert werden. Jetzt ist Lohmann einer der letzten Fahrsteiger in Deutschland. Das Streckennetz auf Prosper-Haniel umfasst 110 Kilometer, doch mit jedem Abbaugebiet, das aufgegeben wird, werden es weniger. Was Lohmann besonders schmerzt: „Jeden Tag machen wir Dinge zum letzten Mal. Ende Januar haben wir das letzte Revier anlaufen lassen. Das war für mich der letzte Schwertransport unter Tage. Ich habe meinen letzten Schildeinsatzplan geschrieben. Es schmerzt mich sehr, meinen eigenen Arbeitsplatz abzuwickeln.“

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Ein Schild mit den Signalen für die Grubenwehr.

Das geht nicht allen so. Frank Lohmann schiebt den letzten Tag von sich weg. „Ich versuche das zu verdrängen. Aber natürlich habe ich auch Kollegen, die schon etliche Zechenschließungen hinter sich haben und von allen möglichen Pütts teilweise bis zu 100 Kilometer hierher zur Arbeit fahren müssen. Die fahren jeden Tag an ihren weggesprengten Schächten vorbei. Denen blutet jeden Tag das Herz.“

 Im Sommer 2017 hat die Ruhrkohle AG für Prosper-Haniel den letzten Walzenschrämlader bestellt. „Den haben wir unter Tage zusammengeschraubt.“ Seither schneidet die Hightech-Maschine täglich bis zu 40 000 Tonnen Steinkohle aus dem Berg, die über ein 3600 Meter langes Band ans Tageslicht gefördert werden. „Das ist einzigartig auf der Welt. Aber letztendlich fördern wir hier etwas, das keiner mehr haben will. Wir sind zu teuer“, sagt Lohmann.

50 Millionen Tonnen Kohle lagern noch tief unter der Kirchheller Heide

Geschätzte 50 Millionen Tonnen Kohle lagern noch tief unter der Kirchheller Heide. Zusammen mit der Belegschaft von Anthrazit in Ibbenbüren arbeiten insgesamt noch 6000 Menschen im Bergbau. In den 1950er Jahren waren es 600 000. Rund 150 Millionen Tonnen wurden aus damals 173 Zechen pro Jahr gefördert. Seither geht es stetig bergab. Seit den 1960er Jahren wurde die Förderung mit 100 Milliarden Euro an öffentlichem Geld subventioniert.

„Theoretisch haben wir hier auf Prosper Nord noch Kohle für 250 Jahre. Wir müssten zwar immer tiefer gehen, ab 1400 Meter würde es sicher grenzwertig, aber prinzipiell haben wir hier ideale Bedingungen.“ Bei der Tiefe der Förderung sei der Bergdruck „der einzig limitierende Faktor“, sagt Lohmann. Die Begeisterung für den Bergmanns-Beruf, der sein Leben geprägt hat, ist ihm in jeder Sekunde anzumerken. Aber eine neue Strecke aufzufahren unter diesen Bedingungen kostet pro Meter rund 10 000 Euro. „Und da hast Du noch keine Kohle gefördert. Das ist nicht mehr wirtschaftlich.“ 150 Euro kostet eine Tonne Steinkohle aus dem Ruhrgebiet, Importkohle ist für 80 Euro zu haben. Das Todesurteil für den Bergbau in Deutschland fiel 2007 mit dem Steinkohlefinanzierungsgesetz, in dem das langsame Auslaufen der Zechen und gleichzeitig geregelt wurde, dass kein Kumpel ins Bergfreie fallen wird.

Vorruhestand mit 49

Wer 49 ist, kann in den Vorruhestand gehen. Das stößt auf Kritik. „Wir haben gerade jetzt immer wieder Gäste auf dem Bergwerk, die fragen, warum das so ist“, sagt Lohmann. „Unser Produktionsleiter sagt dann, darüber könne man nach der Grubenfahrt diskutieren. Ich halte mich lieber ruhig, wenn die Werksleitung dabei ist. Unten im Streb wird nicht geschauspielert. Der VIP ist nur zwei Minuten drinnen, aber fix und alle. Bei 36 Grad, bei dem Krach, kein Licht, der Staub, der durch die Bedüsung mit Wasser sofort gebunden wird. Sonst würdest Du die Hand vor Augen nicht sehen. Wenn wir erst wieder am Tageslicht sind, hat sich die Diskussion erledigt.“

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Ein Leben auf Prosper-Haniel: Fahrsteiger Frank Lohmann

Was wird Lohmann tun, wenn es Prosper-Haniel nicht mehr gibt? Bis zum Schluss bleiben. Denn mit dem Ende der Produktion ist das Bergwerk nicht einfach fertig. „Wir werden noch zwei Jahre lang Schächte verfüllen und alles rausholen, was nicht unter Tage bleiben kann.“ Alle Maschinen und Ausrüstungsgegenstände müssen zerlegt und nach oben geschafft werden. Als sie ihn gefragt haben, ob er sich vorstellen könne, noch länger zu bleiben, hat Lohmann sofort zugestimmt. Sein Stichtag ist jetzt der 31. Dezember 2020. Doch selbst danach würde er dem Bergbau gern zur Verfügung stehen. „Ich bin fit und habe mich noch nie vor Arbeit gedrückt.“

Man kann die Zeche nicht selber überlassen

Und davon wird es reichlich geben. Die Ruhrkohle kann auch die Zeche Prosper-Haniel nicht einfach sich selbst überlassen. Das salzhaltige Grubenwasser, das sich in den Schächten und Stollen unter dem Ruhrgebiet sammelt, würde immer weiter ansteigen, im Fall von Prosper-Haniel irgendwann die Schichten des Trinkwassers in den Halterner Sanden erreichen und sich dort damit vermischen. Deshalb müssen ein paar Schächte für immer offen bleiben und die Pumpen weiterlaufen. Bis in alle Ewigkeit. Die Kosten dafür schätzt die Ruhrkohle auf 220 Millionen pro Jahr.

Wenn es für Frank Lohmann nach 2020 auf dem Pütt noch Arbeit gibt, wird er weitermachen. „Als ich damals anfing, war schon abzusehen, dass es mit dem Bergbau zu Ende geht. Das war in den 1990er Jahren“, sagt Lohmann. „Da hat man uns aufgefordert: Sucht euch eine andere Arbeit, hier geht ihr nicht mehr in Rente. Ich habe das einfach ausgesessen, dazu war und bin ich zu sehr mit der Steinkohle verbunden. Da habe ich Glück gehabt.“ 

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