2023 schon 77 Fälle in NRWWieso immer mehr Pflegeheime Insolvenz anmelden

Lesezeit 4 Minuten
Eine Pflegefachkraft geht mit einer Bewohnerin durch das Seniorenheim «Mein Zuhause Nienburg». (zu dpa "Weniger Beschäftigungszuwachs in der Altenpflege in Deutschland") +++ dpa-Bildfunk +++

Immer mehr Pflegeheime melden Insolvenz an – für Pflegebedürftige ein massives Problem. (Symbolbild)

2023 haben in NRW bereits dreimal so viele Pflegeeinrichtungen Insolvenz angemeldet wie im Vorjahr. Die Branche steht unter Druck. 

Immer wieder gab es in den vergangenen Monaten Schreckensnachrichten für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen in der Region. Als die Convivo-Gruppe mit deutschlandweit 77 Pflege- und Wohneinrichtungen Anfang des Jahres Insolvenz anmeldete, bangten Seniorinnen und Senioren in Heimen in Brühl, Bad Münstereifel, Eitorf und Velbert um ihre Versorgung. Die Einrichtung in Velbert wurde schließlich geschlossen, 102 Bewohner mussten innerhalb kürzester Zeit eine neue Einrichtung finden. Auch in Siegburg drohten bei der Schließung des Visitatis-Altenheims 30 Senioren kurzfristig ohne einen Heimplatz dazustehen – bis die Caritas anbot, sie mitsamt der Pflegekräfte aufzunehmen.

Die Beispiele verdeutlichen eine beunruhigende Entwicklung. Die Insolvenzen von Pflegeeinrichtungen in NRW haben 2023 stark zugenommen. Wie das NRW-Gesundheitsministerium aufschlüsselt, meldeten in den ersten zwei Quartalen 2023 insgesamt 73 Einrichtungen Insolvenz an. Im gesamten Jahr 2022 waren es nur 25. Im Regierungsbezirk Köln waren elf Standorte betroffen, darunter fünf vollstationäre Pflegeeinrichtungen sowie vier ambulante Dienste.

Pflegeeinrichtungen sind auf Dritte angewiesen

Das NRW-Gesundheitsministerium verweist auf Anfrage darauf, dass „in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle die gemeldeten Überschuldungen nicht zu Schließungen der Leistungsangebote und einem damit verbundenen Wegfall von Plätzen in der stationären Pflege geführt haben“. Die Einrichtungen seien stattdessen überwiegend von anderen Betreiberinnen und Betreibern übernommen und weitergeführt worden.

Dennoch ist unstrittig, dass die Lage in der Branche allgemein sehr kritisch ist. „Umfragen bei uns im Verband zeigen, dass die weit überwiegende Mehrzahl unserer Mitglieder negativ in die Zukunft blickt“, so Thomas Knieling, Bundesgeschäftsführer des Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe. Der VDAB vertritt bundesweit 1800 Mitgliedsunternehmen der Alten- und Behindertenhilfe. Diese Unternehmen sähen im Bestand „gerade die Wände näher kommen“. „Wir erleben gerade das Phänomen, dass auch rentable Unternehmen in Liquiditätsschwierigkeiten kommen“, so Knieling. „Denn wir sind bei Erlösen und Einnahmen auf Dritte angewiesen.“

Rückstände gehen in die Millionen

Ihr Geld bekommen Einrichtungen von den Pflegekassen und Sozialträgern – wie viel, muss auf Landesebene mit den Kassen ausgehandelt werden. Doch die Verhandlungen brauchen Zeit, sie haben einen langen Vor- und Nachlauf. „In NRW verhandeln wir derzeit noch Vereinbarungen, die schon im Februar hätten geschlossen werden müssen.“ Die dazugehörigen Zahlungen lassen in solchen Fällen auf sich warten – was bei den Einrichtungen zu Liquiditätsproblemen führen kann.

Punktuell kämen außerdem Probleme mit den Sozialträgern bei Städten und Kommunen hinzu, nämlich immer dann, wenn Zahlungen durch Verzögerungen in der Verwaltung nicht rechtzeitig flössen, so Knieling. Er spricht je nach Kommune von „unterschiedlich hohen Rückständen“: „Manchmal geht es um fünf- bis sechsstellige Summen.“

Fachkräftemangel macht Betreibern zu schaffen

Schon das zeigt: Die Rahmenbedingungen, in denen Pflegeheime wirtschaften, sind speziell. „Betreiber müssen unternehmerisch handeln – aber sie sind sehr abhängig von vielen Stellen“, sagt Bernd Höpfner, Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule Fresenius in Berlin. „Die Kombination aus privatem Betreiber und starker Regulatorik ist schwierig. Es gibt zu viele Prozessbeteiligte.“

Zu schaffen macht den Pflegeheimen außerdem der Fachkräftemangel. Die gesetzlichen Vorgaben zu Personalschlüssel und Qualifikation sind in Pflegeheimen zum Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner hoch. Den Betreibern fällt es jedoch häufig schwer, entsprechend qualifiziertes Personal zu finden. „Wenn wir eine Stelle nicht besetzen können, müssen wir uns entscheiden: Entweder wir lassen Heimplätze unbesetzt – oder wir setzen auf Zeitarbeiter zu erhöhten Preisen“, sagt Knieling.

Bedarf an Pflegeplätzen wird stark zunehmen

Gut ausgebildete Mitarbeitende seien „mehr denn je aktuell und in Zukunft das Kapital einer guten und wirtschaftlich auskömmlichen Pflege“, sagt auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann auf Anfrage. Für Ausbildungsplätze an Pflegeschulen seien seit 2020 rund 350 Millionen Euro bereitgestellt worden. Grundsätzlich müssten in der Pflege Lösungen angestrebt werden, „zu denen wir sowohl seitens des Landes als auch seitens der Kostenträger und der Einrichtungsträger Beiträge leisten müssen“. 

Der Bedarf an Pflegeplätzen wird in den kommenden Jahren allein demographisch bedingt stark zunehmen. Schon zwischen 1999 und 2019 verdoppelte sich die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland laut Statistischem Bundesamt von 2,02 Millionen auf 4,13 Millionen. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Bulwiengesa wird diese Zahl bis 2040 noch einmal stark um 1,39 Millionen auf 5,59 Millionen steigen.

„Es geht also nicht nur darum, Pflegeplätze zu erhalten – sondern auch neue Plätze aufzubauen“, so Höpfner. „Und schon die Plätze, die wir haben, stehen sehr stark im Wind.“

KStA abonnieren