Covestro-Vorständin Sucheta Govil„Ich bin ein Vorbild – ob ich das möchte oder nicht“

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Sucheta Govil

  • Sucheta Govil hat schon in den Chefetagen vieler internationaler Firmen gesessen, in den verschiedensten Ländern und Branchen gearbeitet. Jetzt verantwortet die Inderin den Vertrieb bei Covestro in Leverkusen.
  • Sie hat aktuell vor allem mit der Corona-Krise zu kämpfen, denn den Konzern kostet sie viele Millionen Euro.
  • Unsere Autorin hat die Managerin getroffen und porträtiert.

Köln/Leverkusen – Allein die Probleme der Gegenwart zu lösen, reicht in der chemischen Industrie nicht mehr. So sei es in der Vergangenheit gewesen, sagt Sucheta Govil: „Mögliche Kollateralschäden waren früher nicht ausgeschlossen.“

Govil ist Vertriebsvorständin beim Leverkusener Kunststoffkonzern Covestro. In der Vergangenheit, sagt sie, habe man hoch qualitative Produkte entwickelt, ohne dass Wirtschaft und Gesellschaft immer auch die Verwendung dieser Produkte am Ende ihrer Nutzungsdauer genau durchdacht hätten. Heißt konkret: Es entstand zu viel Müll. „Wir müssen sicherstellen, dass wir nicht nur die Probleme von heute, sondern auch die von morgen angehen“, sagt Govil: „Wir müssen antizipieren, welche Folgen es haben würde, wenn wir unser Müllproblem nicht in den Griff bekommen – und geeignete Lösungen entwickeln.“

60 Millionen Euro Verlust durch Coronavirus

Die Chemiebranche will sich verändern – auch wenn die Corona-Krise aktuell ganz andere Herausforderungen in den Fokus stellt. Es lasse sich noch nicht abschätzen, wie stark das Virus Covestro im laufenden Geschäftsjahr finanziell treffen werde, sagt Govil. Bis Mitte Februar lag der Verlust laut Konzern bereits bei rund 60 Millionen Euro. Um die Mitarbeiter zu schützen, hat Covestro diverse Schutzvorkehrungen getroffen. Aber: „Die nachhaltige Entwicklung unserer Industrie bleibt sehr wichtig für uns und unsere Kunden“, sagt Govil. „Auch in dieser schwierigen Situation werden wir dieses strategische Ziel weiter verfolgen.“

Sucheta Govil hat schon in den Chefetagen vieler internationaler Firmen gesessen, in den verschiedensten Ländern und Branchen gearbeitet. In ihrer indischen Heimat, in Dubai, Großbritannien, den Niederlanden. Bei Pharma-, Farben-, Ernährungsunternehmen, Herstellern von Bauprodukten und Werkstoffen. Und nun: beim Kunststoffhersteller Covestro. Seit August ist sie dort als Vertriebsvorständin unter anderem für die Produktvermarktung, das Innovationsmanagement und die Lieferketten verantwortlich.

Drei Ziele

Die 56-Jährige hat eine angenehme Stimme, lebendig, eine der Sorte, die den Raum einnimmt. Wenn sie darüber spricht, was sie beim Leverkusener Kunststoffkonzern erreichen möchte, dann unterteilt sie ihre Ziele in drei schönklingende Bereiche. Sie möchte die digitale Transformation vorantreiben. Die kommerziellen Dienstleistungen stärken. Und neue Segmente im Markt erschließen, die auf die Themen Kreislaufwirtschaft, Abfall-, Energie- und Ressourceneffizienz einzahlen. Konkret passiert das bei Covestro bereits im Projekt Cardyon, dessen Name ein Rohmaterial bezeichnet, das in Teilen aus Kohlendioxid hergestellt und in so variablen Dingen wie Matratzen, Textilien und Sportböden verarbeitet wird.

Um diese Ziele anzugehen, will Govil sich das Thema Diversität zunutze machen. Die Zahlen seien eindeutig: Eine diverse Belegschaft verbessere die Leistung eines Unternehmens. Die Chemiebranche ist aber bislang eine Männerdomäne. Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung waren 2016 nur 25,9 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der chemischen Industrie Frauen. „Wenn du ohnehin einen kleineren Pool zur Auswahl hast und zusätzlich viele Frauen das Unternehmen verlassen, weil sie für eine gewisse Zeit in Mutterschutz gehen, ist es schwer, eigene weibliche Talente weiterzuentwickeln“, sagt Govil.

Fortschritte nicht schnell und mutig genug

Alle Fortschritte, die es hier bislang gegeben habe, seien nicht schnell, nicht mutig genug erfolgt. Dabei sei die Zeit ideal für Veränderung. Govil macht sich dafür stark, die Bewertung von unternehmerischem Erfolg neu auszurichten und stärker auf die sogenannten ESG-Ziele, also ökologische, soziale und Führungsthemen zu schauen. „Die Investmentgesellschaft Blackrock hat bereits angekündigt, künftig vor allem in Unternehmen zu investieren, die hier gut aufgestellt sind. Wenn der Investorenmarkt diese Forderungen stellt, dann wird das in den Unternehmen einen neuen, diversen Führungsstil erfordern.“ Covestro strebt eine Frauenquote von 30 Prozent in den oberen Management-Ebenen an. 2019 lag der Anteil weltweit bei rund 20 Prozent.

„Ja, ich bin definitiv ein Vorbild – ob ich nun eins sein möchte oder nicht“, sagt Govil. „Meine Erfahrung, mein Verhalten, das, was ich beeinflussen und verändern kann, wird eine Leitlinie für viele Männer und Frauen sein.“

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Ein Schlüssel für den Erfolg sieht sie in neuen, flexiblen Arbeitsmodellen. Solchen, die sich am Endprodukt und nicht an Arbeitsstunden oder physischer Anwesenheit am Arbeitsplatz orientieren. Wie viel bereits digital funktioniert, zeigt die Corona-Krise eindrücklich. „In der aktuellen herausfordernden Situation setzt die Industrie auf eine digitalere und kreativere Art Art des Arbeitens. Das beobachten wir auch bei unseren Kunden“, sagt Govil. Sie selbst habe erst vergangene Woche einen Start-up-Preis digital vergeben – Thema der Ausschreibung war die innovative Nutzung von CO2.

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