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Dürener Autozulieferer pleiteWie es im einstigen Ford-Werk weitergeht

Lesezeit 4 Minuten
Im Jahr 2023 arbeitet ein Beschäftigter von Neapco im Dürener Werk an der Produktionsstraße.

Im Jahr 2023 arbeitet ein Beschäftigter von Neapco im Dürener Werk an der Produktionsstraße. 

Rund 500 Beschäftigte müssen um ihre Jobs bangen. Dabei ist das Problem hausgemacht und vor allem der Steuerpolitik des Mutterkonzerns zu schulden.

Die Krise der deutschen Automobilindustrie hat ein weiteres Unternehmen in der Region in wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht. Der Autozulieferer Neapco mit Sitz in Düren musste Insolvenz anmelden, teilt der Insolvenzverwalter mit.

Das traditionsreiche Unternehmen am südlichen Rand der Stadt war seit 1968 ursprünglich ein Werk des Autobauers Ford, das mit 850 Beschäftigten Achsen, Antriebswellen und Lenksysteme für den US-Konzern mit deutschem Sitz in Köln produzierte. Im Jahr 2000 wurde es unabhängig von Ford und schließlich 2009 von Neapco Europe übernommen. Heute werden Kardanwellen, Halbwellen, Druckgusserzeugnisse und Differenziale für weltweit führende Automobilhersteller wie auch Ford am Standort hergestellt. Mit rund 500 Mitarbeitern ist das Werk der größte Industriearbeitgeber in Düren.

Gründe für die Schieflage

Gründe für die derzeitige Schieflage gibt es gleich mehrere. Der Entscheidende aber ist, dass die Verluste durch den Mutterkonzern nicht mehr übernommen werden.

Der entsprechende Vertrag läuft am 30. Juni aus und sollte, so heißt es vom Sprecher des Insolvenzverwalters, eigentlich um weitere fünf Jahre verlängert werden. Nun wird die Übereinkunft fristgerecht zum 11. Dezember 2025 gekündigt. Das bedeutet im Klartext, dass das Werk in Düren in absehbarer Zeit zahlungsunfähig sein wird. Deswegen hat sich die Geschäftsführung entschieden, Insolvenz in Eigenverwaltung zu beantragen.

Steueroptimierung sorgt für Millionen-Verlust

Das liegt allerdings weder an der schlechten wirtschaftlichen Performance des Werks noch allein an der Krise der Branche, sondern vor allem an der „steueroptimierenden“, sprich steuersparenden, Konstruktion, die bei multinationalen Konzernen global üblich ist. Laut Aussagen des Insolvenzverwalters lag der Umsatz der vergangenen Jahre im Schnitt bei rund 80 Millionen Euro. Durch die Konstruktion entstehen in Düren aber hohe Verluste im zweistelligen Millionenbereich.

Bei Neapco werden zwar Antriebswellen für viele namhafte Automobilhersteller rund um den Globus gefertigt, doch wer hier was genau einkauft, gehört zu den bestgehüteten Geheimnissen der Branche. Die Produkte werden auch nicht aus Düren an die Autobauer direkt geliefert, sondern zuerst ins Schwesterwerk nach Polen gebracht und von dort aus an die Endabnehmer versandt. Nach Informationen der „Aachener Zeitung“ und auch dieser Zeitung zahlen die Kunden an die polnische Niederlassung und nicht an den Sitz in Düren.

Das spart Steuern – vor allem Gewerbesteuer. Die fließt an die Kommune und hat in Düren einen Hebesatz von 450 und ist damit noch etwas höher als Köln mit 440. Die Steuer wird auf den Gewinn erhoben; wer also in Düren Gewinne erzielt, muss etwa 15 Prozent davon abdrücken.

Gibt es keinen, da wie bei Neapco alles über Polen abgerechnet wird, muss also auch keine Gewerbesteuer gezahlt werden. Des Weiteren fallen 15 Prozent Körperschaftssteuer an den deutschen Fiskus an. Ohne Gewinn muss auch in diesem Fall keine Steuer in Deutschland bezahlt werden. In Polen liegt hier der Satz zwar etwas höher. Nichtsdestotrotz lohnt sich das Geschäft unter dem Strich.

Den Dürener Verlust hat die US-Holding, die wiederum zum chinesischen Konzern Wanxiang gehört, bislang immer ausgeglichen. Damit soll nun Schluss sein.

Nun muss das Insolvenzteam schnelle Lösungen erarbeiten, um das Unternehmen wieder auf ein wirtschaftlich solides Gleis zu setzen. In der gewählten Insolvenzform in Eigenverwaltung bleibt die Geschäftsführung operativ am Ruder. Ihr zur Seite stehen ein Sachwalter und ein Generalbevollmächtigter. Die Auswahl ist dabei hochkarätig: Rechtsanwalt Claus-Peter Kruth hat die Sachwalterfunktion übernommen. Er hat unter anderem das Insolvenzverfahren beim Aachener E-Mobile-Hersteller e.Go von RWTH-Professor Günther Schuh begleitet. Generalbevollmächtigter ist Frank Kebekus, der an spektakulären Insolvenzverfahren wie etwa Air Berlin und den Pleiten von Galeria Karstadt Kaufhof mitgewirkt hat.

Löhne werden weitergezahlt

Löhne und Gehälter der rund 500 Mitarbeitenden der Neapco in Düren werden für den Zeitraum Juli bis einschließlich August 2025 über das Insolvenzgeld gezahlt. Allerdings sind alle tarifvertraglichen Zusicherungen erstmal ausgesetzt.

Trotzdem glauben alle Beteiligten vorerst an eine Perspektive: „Mit dem heutigen Schritt wahren wir alle Chancen, unser Knowhow sowie den Standort mit seinen fortführungsfähigen und fortführungswürdigen Teilen mittel- und längerfristig abzusichern“, erklärt der Neapco-Geschäftsführer Jürgen Liermann.

Auch wenn die Zeit drängt, Ideen gibt es, die an die Vorgeschichte anknüpfen. Vor wenigen Tagen stellte Günther Schuh in Düren unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein neues E-Mobilitätsprojekt im Segment der leichten Nutzfahrzeuge vor. Die Modelle sollen zwar aus chinesischer Produktion stammen, werden aber an den deutschen Markt und den Vertrieb angepasst. Hier gäbe es laut Insolvenzverwalter Kebekus auch Chancen für das Dürener Werk. Günther Schuh war bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe nicht für eine Stellungnahme erreichbar.

Ein weiteres Szenario, das nach Informationen dieser Zeitung von der IG Metall angestoßen, aber auch von Insolvenzverwalter Kebekus angeführt wurde, ist die Auslastung des Werkes mit Rüstungsproduktion. Denn die Branche sucht nach der sogenannten „Zeitenwende“ schnell nach verfügbaren und geeigneten Produktionsstätten. Naheliegend wäre also eine Kooperation oder ein Verkauf an die Düsseldorfer Rheinmetall. Eine entsprechende Anfrage an den Rüstungskonzern blieb bislang unbeantwortet.