Ein sozialer BerufAls Friseur muss man sich auf Menschen einlassen

Dem Chef den Kopf waschen - davon träumt man in anderen Berufen.
Copyright: Martina Goyert
Köln – Richtig nervös bin ich, als ich mich auf den Weg zu meinem Praktikumsbetrieb mache – vielleicht, weil mich die Situation an früher erinnert: Erste Ferienjobs Ende der 80er Jahre, im Supermarkt oder bei Karstadt, ich erinnere mich an viel zielloses Herumstehen und Unwohlsein ...
Kunstrausch im Belgischen Viertel
Doch zu früh gesorgt: Im Friseursalon „Kunstrausch“ im Belgischen Viertel ist Unwohlsein nicht vorgesehen. Der kleine Laden mit fünf Sesseln im Vintage-Stil und Asien-Fotos an den Wänden atmet eine komplett entspannte Atmosphäre. Es gibt angenehme Musik, die auch ein Zielpublikum, das älter als 40 ist, nicht verschreckt und einen Hinterhof mit Tischen und Stühlen.

Weder durch Maschine noch Computer zu ersetzen. Der Friseurberuf bietet in Zukunft eine sichere Perspektive.
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Von dort aus geht es in den großen Aufenthaltsraum mit gemütlichem Sofa, Fernseher Kaffee-, Waschmaschine und Kühlschrank. Das Versorgen der Kunden mit Getränken gehört heute auch zu meinen Aufgaben. Alle Neuankömmlinge werden freundlich begrüßt und nach ihrem Getränkewunsch gefragt. Als ich um 10.30 Uhr eintreffe, ist der Chef „Wolli“, Wolfgang Reitz noch nicht da.
Ich darf erstmal auf dem geräumigen Sofa Platz nehmen und in der „Gala“ blättern, auch ein Standard bei Friseur-Besuchen. Um 11 wirbelt der Chef samt Begleitung, Boxer-Mischling Banjo, durch die Tür. Während es sich das vierbeinige Salon-Maskottchen auf seinem Kissen bequem macht, geht es für mich los: Wolli zeigt mir, wo die Handtücher sind, und wie ich sie zu falten und wo einzuräumen habe. „Sandalen sind nicht so gut“, sagt er auf mein Schuhwerk deutend. Wenn mal eine Schere fällt, könnte das blutig enden. Beruhigender Gedanke, dass sich der Chef auch um das Thema Arbeitssicherheit kümmert.
Vom Heizungsbauer zum Friseur
Also mit Obacht erstmal ran an den Besen. Wo geschnitten wird, fallen viele, viele Haare an. Die werden im Salon Kunstrausch in ein Loch im Boden gefegt. Der Besen hat eine Magnet-Kappe, mit der man den Verschluss zur Seite bewegen kann, ohne sich zu bücken. Die Haare landen dann in einem großen Müllsack, der an der Kellerdecke angebracht ist. Praktisch. „Das haben sich Freunde von mir ausgedacht“, sagt Reitz und nimmt seinen ersten Kunden in Empfang. Viele haben einen Termin, manche kommen aber auch einfach so rein. „Für Herren veranschlagen wir eine halbe Stunde, für Damen eine Stunde, mit Färben oder Strähnchen mindestens zwei“, sagt der Chef.
Wolfgang Reitz führt den Laden in Köln gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Rachid Ben Hammou. Ein zweites Geschäft gibt es in Aachen. Reitz hatte nach der Schule eine Ausbildung als Heizungsbauer begonnen. „Ich wollte mein Leben dann aber nicht im Keller verbringen.“ Mit 23 Jahren sattelte er um auf Friseur. „Ich wollte auch gerne etwas Kreatives machen. Zum Studieren hatte ich keine Lust. Also kam ich auf Friseur. Besonders mit Farbe den Look zu verändern, finde ich toll. Man sieht schnell ein Ergebnis und bekommt im Idealfall positives Feedback.“ Vor sechs Jahren machte er sich selbstständig.

fegen, fegen, fegen. Wo geschnitten wird, fallen Haare.
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Der Begriff von selbst und ständig
So nun aber ran an den Spiegel. Der muss auch mal wieder geputzt werden, beziehungsweise, die fünf, die es gibt. Chris, der wahre Praktikant, der drei Monate lang da ist, zeigt mir den Umgang mit Sprühflasche und Zewa-Rolle. Chris ist 27 und hat schon verschiedene Sachen ausprobiert. Friseur ist nun sein Ziel. Klar sein muss ihm, dass der Beruf kurzfristig jedenfalls alles andere als reich macht.
„Während meiner Ausbildung habe ich bei meinen Eltern gewohnt“, sagt Wolfgang Reitz. Es gibt aber auch die Möglichkeit, Bafög für Azubis zu beantragen. Auch als angestellter Friseur wird man nach Abschluss der Lehre nicht fürstlich bezahlt. Deshalb träumen viele von der Selbstständigkeit. Dann gilt aber der alte Spruch von selbst und ständig. Der Salon in Köln hat an sechs Tagen in der Woche geöffnet, donnerstags und freitags sogar bis 22 Uhr.
Den freien Montag kann sich keiner mehr leisten. Auch sonst hat sich das Bild vom Friseur-Beruf zum Glück gewandelt und ist längst nicht mehr nur Dauerwellen-lastig. „Es gibt viele junge, coole Salons mit engagierten Mitarbeitern“, sagt Reitz. Wer den Beruf ergreifen möchte, sollte sich klar machen, worauf er sich einlässt: viel Kundenkontakt, von morgens bis abends.
Gehalt
Im ersten, zweiten und dritten Ausbildungsjahr: 422, 540 und 660 Euro im Monat.
Den Smalltalk mit den Kunden muss man mögen, das Nah-Ran-Gehen an Menschen auch. Und das Stehen. Alles Gewöhnungssache. Für mich Anfängerin ist das Haarewaschen die größte Herausforderung. Damit ich keine Kunden verschrecke, darf ich am Chef üben. Die Wassertemperatur richtig hinzubekommen und Augen und Ohren nicht zu fluten, ist die Hauptherausforderung. Verbrühen wäre auch schlecht, denn der Temperaturregler ist eigenwillig, doch ich kriege es hin. „Bei dir fühle ich mich schon ganz sicher“, sagt Reitz. Also, alles gar nicht so wild. Wann beginnt nochmal das neue Ausbildungsjahr?
www.kunstrausch-friseure.com