Interview mit Ex-Google-ManagerinWarum viel mehr Firmen Job-Sharing anbieten sollten – auch in der Führung

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Porträt der Autorin Elly Oldenbourg

Elly Oldenbourg wollte nicht mehr nur Karriere machen, sondern die Welt mitgestalten, erst recht angesichts der politischen Veränderungen.

Jobsharing sollte die Norm sein, Diversität ein knallhartes Business-Ziel, fordert Elly Oldenbourg in ihrem Buch „Workshift“. 

Frau Oldenbourg, Sie waren erfolgreiche Managerin bei Google, als Sie vor acht Jahren beschlossen haben: Ich will viel weniger arbeiten, um mehr Zeit für andere Dinge zu haben, zum Beispiel ehrenamtliches Engagement. Wie kam es dazu?

Elly Oldenbourg: Das Leben tischte mir damals einige Herausforderungen auf, die mir klarmachten, dass ich so nicht weitermachen kann und möchte. Ich wollte mich auch nicht nur noch ständig um mich selbst oder meine Karriere drehen. Dafür brauchte ich aber: Zeit. Ich reduzierte also meinen Unternehmensjob auf drei Tage – was damals als sehr radikal empfunden wurde – von Arbeitskollegen, Freunden und Familienmitgliedern. Ich bin mit dem Satz meiner Mutter groß geworden: „Du musst Karriere machen.“ Mein Arbeitsethos war und ist irre hoch. Aber heute habe ich mein Verständnis von Arbeit erweitert und differenziere nicht mehr zwischen Erwerbsarbeit, Care-Arbeit und Gesellschaftsengagement. Alles ist gleichberechtigt wichtige Arbeit.

Eine These in Ihrem Buch „Workshift“: Es ist höchste Zeit für Vollzeitscham bei Gutverdienenden, die ihr Leben so strukturiert haben, dass sie möglichst viel Karriere machen und sich ansonsten für wenig anderes gesellschaftlich engagieren.

Der Teilzeitanteil all derer, die es sich finanziell leisten könnten, ist sehr gering. Ich persönlich hatte das Gefühl, mich gerne in anderen Kontexten erleben zu wollen. Die Karriere-Elly kannte ich, von der war ich gelangweilt. Ich wollte die Welt mitgestalten, erst recht unter den politischen Veränderungen, die wir sehen: Seit 2022 gibt es wieder mehr Autokratien als Demokratien. Dazu kommt die Klima-Katastrophe.

Wie haben Sie sich konkret engagiert?

Ich war Teil eines Projekts, das Geflüchtete über ein Mentoring-Programm in Unternehmen gebracht hat. Wir haben da immer noch riesige bürokratische Hürden. Und ich war im Pflegeheim und habe demenzkranken Frauen vorgelesen. Ich bin dort wegen der zum Teil grenzwertigen Umstände manchmal weinend rausgegangen. Der Perspektivwechsel hat mich sehr geprägt und auch viel mehr politisiert.

Ein Beispiel dafür?

Das Heraustreten aus meiner bisherigen Erfahrungswelt hat bei mir dazu geführt, dass sich mein subjektives Empfinden für Leistung und Erfolg verändert und erweitert hat. Je mehr ich mich selbst wirksam in anderen Kontexten erlebte, abseits der Schlagzahl des Karrierejobs, desto mehr erlebte ich eine innere Repriorisierung dieser anderen Arbeiten. Der wichtige Pitch, die nächste Beförderung bereiteten mir nicht mehr schlaflose Nächte. Stattdessen wurde ich ruhiger. Meine Erwerbsarbeit profitierte also von einer innerlich kohärenteren, ausgeglichenen und sicher auch weiseren Person.

Sie fordern ein neues Verständnis von Arbeit. Sie soll nach ihrer Qualität, nicht nach ihrer Quantität bewertet werden.

In vielen Unternehmenskulturen ist etwas zur Gewohnheit geworden, dass ich als permanente Performance-Party bezeichne. Menschen laufen hektisch herum, führen Unmengen Gespräche, schicken sich gegenseitig tonnenweise von Daten, produzieren Tausende von Charts, Listen und Präsentationen. Sie, und damit meine ich natürlich auch selbstkritisch ganz oft mich, fühlen sich gut, weil sie beschäftigt sind und halten das für Produktivität. Diese Performance-Party wird nicht nur zur Gewohnheit, sondern auch zur Grundlage von Leistungsmessung, Honorierung und Beförderungen. Wer zeigt, wie viel er zu tun hat, gilt als Superperformer. Das ist alles andere als fachliche Kreativität und tragfähige Innovation – die wir im Hinblick auf die großen Herausforderungen auf der Welt aber dringend bräuchten.

Die Wirtschaftsleistung bricht ein, Deutschland steckt in der Rezension. Was auch daran liegt, dass der Arbeitsmarkt immer leerer wird.

Und dann heißt es, dass die stille Reserve aktiviert werden muss. Was nach Reservisten klingt, wie im Militär. Als solche gelten vor allem Frauen. Viele argumentieren, dass zu viel Teilzeitarbeit schuld ist an der schnarchigen Produktivität in Deutschland. Für mich ein totaler Irrtum. Umgekehrt wird ein Schuh daraus.

Elly Oldenbourg guckt in die Kamera und lacht.

Elly Oldenbourg war gelangweilt von der „Karriere-Elly“.

Inwiefern?

Weil Frauen stärker mit Sorgearbeit belastet sind und weil sie heute im Mittel gut, oft sogar besser ausgebildet sind als ihre männlichen Kollegen, suchen sie sich die Früchte, die sie pflücken, sehr genau aus und lehnen bei nicht unzumutbaren Rahmenbedingungen ab. Und diese Rahmenbedingungen werden eben nicht nur von der Politik, etwa durch ausreichend viele sowie gute Pflege- und Kitaplätze, sondern auch von Unternehmen mit flexiblen Kulturen und Strukturen gestaltet.

Das ist aber oft nicht die Realität…

Genau. Deshalb bleiben die Frauen ungleichberechtigt in alten Beziehungen stecken, bekommen pauschal Führungsqualitäten abgesprochen und müssen um eine geringere Rente, gar Altersarmut bangen. Sie scheitern an den vorgegebenen zeitlichen Strukturen. Sie mögen auch das Bullshit-Bingo und politische Ellbogenspielchen nicht. Ich würde fragen: Könnte nicht mehr flexible Teilzeit auf qualifizierten Positionen dazu führen, dass weniger Frauen in der stillen Reserve versacken, weil sie keine adäquaten Jobs finden, für die sie genug Zeit haben? Würde das Arbeit nicht insgesamt produktiver machen?

Sie plädieren für Job-Sharing, auch in Führungspositionen. Das dürften viele Chefs umständlich finden. Was entgegnen Sie?

Häufig wird nach Gründen gesucht, warum ein alternatives Arbeitsmodell wie Job-Sharing nicht funktionieren kann, etwa: Das passt nicht in unsere Strukturen. Oder: Wie bewerten wir dann Performance? Oft schließt man pauschal von sich auf andere oder will wohl geölte Prozesse nicht anfassen, Konferenzstrukturen etwa. Ja, man hat dann zwei Personen, an die man sich wendet – oder eine E-Mail-Adresse, bei der man nicht weiß, wer antworten wird. Aber die Vorteile liegen auch auf der Hand: Man hat nie einen Ausfall. Man kann Kompetenzen vervielfachen, weil man verschiedene Erfahrungen und Skills komplementieren kann. Und man gewinnt hoch qualifizierte Frauen für sein Unternehmen.

Ein Führungsduo bedeutet auch: zwei Perspektiven auf ein Thema.

Absolut. Man ist ständig im Sparring miteinander, lernt also ganz lebensnah Zukunftskompetenzen wie Empathiefähigkeit und Agilität.

Teilzeit ist für Sie eine Mogelpackung. Warum?

Weil klassische Teilzeit in sehr vielen Fällen zu deutlich mehr Stress und Stigmas führt – aber bei weniger Gehalt. Als Führungskraft in Teilzeit ist man sowieso nur am Aufholen. Denn egal, was ich außerhalb der Erwerbsarbeit mache – die Uhr bleibt nicht stehen, das E-Mail-Postfach füllt sich immer weiter. Das macht nicht nur unruhig, man hat auch nie das Gefühl, dem Job – oder einer anderen Arbeit im Leben – gerecht zu werden. Das ist beim Job-Sharing fundamental anders. Ich stelle mir sehr gerne eine Welt vor, in der gerade auf den Führungsetagen Job-Sharing die Norm wäre: Ältere mit Jüngeren, verschiedene ethnische Hintergründe oder weiblich mit männlich gelesenen Menschen. Es würden andere Entscheidungen getroffen werden, von Menschen, die ausgeschlafen sind und nicht todmüde von ihrer Taktung mit drei Kaffee intus, um irgendwie durch den Tag zu kommen.

Immer mehr Unternehmen fordern, dass die Mitarbeitenden aus dem Homeoffice zurückkommen – und zwar komplett. Was sagen Sie?

Ich sage, dass dogmatisches Festhalten an alten Strukturen noch nie Fortschritt gebracht hat. Ich persönlich bin kein Fan von 100 Prozent Homeoffice. Ich mag die Macht der Begegnung. Aber als Unternehmen pauschal zu ignorieren, welche Vorteile Homeoffice für manche Mitarbeitende mitbringt, ist natürlich auch maximal borniert. Wie bei jedem flexiblen Arbeitsmodell muss man die wirtschaftlichen Vorteile sehen: Es macht Menschen mit Care-Verpflichtungen, in Deutschland zuallermeist Frauen, deutlich leichter, Teil der Arbeitswelt zu sein und zu bleiben, als in die sogenannte stille Reserve zu gehen – was ihnen im Nachhinein dann wieder vorgeworfen wird. 

Sie stellen die Frage, wie Unternehmen sich langfristig selbst erhalten können, wenn sie nicht zur Stabilität des Rechtsstaates beitragen, von dessen Sicherheitsgarantien sie profitieren. Diese Frage ist plötzlich brandaktuell.

Viele Unternehmen positionieren sich gerade sehr klar gegen Rechtsextremismus. Das ist richtig und wichtig. Aber die Handlungen dahinter wären mir noch wichtiger als eine Kampagne; dass eine Firma ganz aktiv Chancengerechtigkeit entlang des gesamten Mitarbeiter-Lebenszyklus aktiv und vorsätzlich fördert. Oder es honoriert, wenn Mitarbeitende sich für Demokratie einsetzen.

Dafür müssten Unternehmen aber Zeit und Raum geben.

Wenn es wirklich ernst gemeint ist: Ja. Und mein Appell an Führungskräfte wäre, das nicht nur anzubieten, sondern auch vorzuleben. Stellt euch vor, der Vorstandsvorsitzende sagt: Freitags kann ich nicht, da ist mein Ehrenamtstag. Oder: Da verbringe ich den Vormittag mit meinem Kind. Was für eine Wirkung hätte das? Es würde sagen: Ich kümmere mich um mehr als um mein Unternehmen, meine Karriere und meinen Status.

Die Fähigkeit zu echter Zusammenarbeit wird eine der entscheidenden Zukunfts-Kompetenzen sein, sagen Sie. Warum?

Wir haben versucht, den Mensch als Subjekt immer mehr zu objektivieren, damit wir seine Performance besser messen können. Dagegen bin ich nicht. Im Hinblick auf die Entwicklung von KI ist es aber maximal schwierig, den Output einer Maschine und eines Menschen zu vergleichen. Mehr Digitalisierung wird zu mehr Spezialisierung führen. Wir werden also noch stärker voneinander abhängig sein. Und das geht im Ego-Rausch nicht gut. Wie können wir also künstliche Intelligenz von Objekten und emotionale Intelligenz von Subjekten zusammenbringen? Und wie schaffen wir mehr Diversität? Das beschäftigt mich.

Das wirtschaftliche Potenzial von Migration auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist riesig.

Definitiv. Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: Wir werden die Herausforderungen des Arbeitsmarkts ohne Migration nicht meistern. Es wirkt geradezu irrational, dass sich sowohl große Teile unserer Wirtschaft als auch unserer Gesellschaft mit diesen Gedanken schwertun. Dabei haben sie gar keine andere Möglichkeit, ihre zahllosen Vakanzen zu füllen. Deshalb müssen sich Unternehmen mit Diversität und Chancengerechtigkeit auseinandersetzen, ob sie wollen oder nicht.

Wie überzeugen Sie einen Chef davon, dass sich mehr Diversität lohnt?

Es gibt Hunderte von Studien, die beweisen, dass ein explizit oder implizit benachteiligter Umgang mit Menschen Leistungen einbrechen lässt. Kulturen und Strukturen in Gemeinschaften und Unternehmen, die unfair oder diskriminiert sind, implizit oder explizit, drosseln die Leistung. Langfristig zahlt sich der Aufwand für mehr Diversität aus, es gibt enorme Leistungssteigerungen und Innovationskraft in der Belegschaft. Aber die wenigsten Unternehmen und Führungskräfte haben diesen langen Atem, wenn sie gleichzeitig unter Druck stehen, kurzfristige Ziele zu erreichen.

Die Studien sind bekannt, allein: Es ändert sich nicht allzu viel. Was müsste passieren, damit sich echte Diversität durchsetzt?

Man müsste das Thema rigoros angehen und als Business-Ziel definieren, nicht nur auf Charts schreiben und dann noch schöne Postings zum Weltfrauentag machen. Das sind keine knallhart definierten Ziele. Am Ende muss das Schaffen von Diversität bei Führungskräften mit Personalverantwortung genauso honoriert werden wie jedes andere Quartalsziel auch.

Unternehmen schauen aber vor allem auf Wachstum.

Ich bin keine Kapitalismuskritikerin per se, aber wir sehen ja, dass es sich an vielen Stellen pervertiert hat. Eine allein auf Wachstum beruhende Welt zieht viel Zerstörung nach sich, regional wie global. Man fragt sich: Wo ist der Hebel, der diese wild gewordene Wachstumsmaschine umsteuert?

Was tun?

Statt das Bruttoinlandsprodukt immer weiter nach oben zu treiben und die dazu gehörenden unternehmerischen Kennzahlen als einzigen Erfolgs- und Vergleichsmesswert zu glorifizieren, könnten wir diesen Messwert endlich mit dem kombinieren, was Gesellschaften über die rein wirtschaftlichen Faktoren hinaus gesund, zufrieden, friedlich und gerecht macht – mit sozialen und ökologischen Messpunkten.

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