Flache Hierarchien, befreite MitarbeiterWie der Bayer-Chef den Konzern revolutionieren will

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Bill Anderson, neuer Chef / Vorstandsvorsitzender der Bayer AG

Bill Anderson, Vorstandsvorsitzender der Bayer AG

Bayer, langjähriger Vorzeigekonzern im Dax, steckt in einer schweren strukturellen Krise. Nun soll ein krasser Kulturbruch den Konzern wieder auf Kurs bringen.

Nicht weniger als eine Revolution will Bill Anderson im traditionsreichen Leverkusener Bayer-Konzern entfachen. Der Amerikaner, seit Juni 2023 auf dem Chef-Posten, stellt dabei alles infrage. Erhalten bleiben soll nur noch das, was Wert schafft.

Anderson will krassen Kulturbruch

Um Bayer schneller, effizienter und innovativer zu machen und Wachstum und Wert wieder zu steigern, wird die gesamte Arbeits- und Organisationsstruktur weltweit komplett neu aufgestellt. „Dynamic Shared Ownership“ (DSO) heißt das Organisationsmodell, was aus klassischen Angestellten unternehmerisch denkende Mitarbeitende machen soll. Ein krasser Kulturbruch in dem bislang sehr hierarchisch aufgestellten Unternehmen. Nun äußerte sich Vorstandschef Anderson in einem Pressegespräch am Freitagnachmittag erstmals etwas konkreter zu den Plänen und warum sie in seinen Augen unerlässlich sind, um den Konzern wieder auf Kurs zu bringen.

Entscheidungsprozesse sollen radikal verkürzt werden

Manche der bis zu zehn Hierarchiestufen seien schlicht überflüssig, es müssten viel mehr Entscheidungen an der Basis getroffen werden, sagte Anderson. Heute würden bis zu 90 Prozent aller Entscheidungen von den Managern getroffen. Dabei sollten 95 Prozent aller Entscheidungen von denjenigen getroffen werden, die die Arbeit machen. Entscheidungssysteme seien langwierig und lähmten die Energie und Innovationskraft der Mitarbeitenden. Ebenso wie die Vorgaben auf 1362 Seiten, auf denen Bayer-spezifische Regeln festgehalten seien. Bayer brauche ein vollständiges Redesign. Im Kern: mehr Teamarbeit, weniger Komplexität, mehr unternehmerische Eigenverantwortung der Mitarbeiter, mit Führungskräften als Coaches. Teams sollen im 90-Tage-Rhythmus entscheiden, was sie wofür brauchen, so Anderson.

Klassische Management-Modelle haben ausgedient

Grundlage ist dabei das Buch „Humanocracy“ des amerikanischen Management-Gurus Gary Hamel, der seine Prinzipien in einer Videobotschaft erläuterte. „Organisationen müssen heute so schnell sein, damit sie an die sich schnell verändernd Welt anpassen und darauf reagieren können“, sagte Hamel. Klassische Management-Modelle mit starker Bürokratie hätten dabei ebenso ausgedient, wie Autos mit Verbrennermotoren. Deshalb müsse man das Prinzip Befehl und Kontrolle durch Befähigung und Ermutigung der Mitarbeiter ersetzen. Man müsse den Menschen vertrauen, sie seien innovativ, kreativ, leidenschaftlich und resilient. Das gelte es zu fördern und nicht durch überbordende Bürokratie verkümmern zu lassen. Seien die Beschäftigten erst von diesen Fesseln befreit, seien Produktivität und Wachstum die Folge für die Firmen.

Praxisbeispiele aus den USA

Eine Einschätzung, die auch Kevin Nolan, Vorstandschef des US-Küchengeräteherstellers GE Appliances teilt. Als er vor sechs Jahren den Vorstandsvorsitz übernommen habe, hätte er frustrierte Mitarbeiter und ein stagnierendes Unternehmen vorgefunden. Nach der Reorganisation habe man das Wachstum verdoppelt und sei heute Branchenführer.

Bei Bayer weltweit verantwortlich für den Wandel ist Michael Lurie – Chief Catalyst. Er führte aus, dass bereits 4000 Bayer-Beschäftigte nach den neuen Prinzipien arbeiteten. Kernelement sind kleine ressortübergreifende Teams, die den Kunden in den Mittelpunkt stellen und entsprechend dieser Bedürfnisse alle weiteren Schritte vollzögen. Beispiele und erste Erfahrungen bei Bayer gab es aus der US- Pharmasparte von Sebastian Guth sowie Lisa Perez, General Manager bei Bayer Consumer Health in den USA.

„Erste Abteilungen sind verschoben worden, und wir planen, den Großteil davon bis zum Jahresende vollzogen zu haben“, sagte Personalchefin Heike Prinz. „Wir sind mittendrin.“ Bereits Mitte Januar waren Stellenstreichungen vor allem im mittleren Management von Bayer angekündigt worden. Bayer hat derzeit rund 100.000 Beschäftigte. Wie viele Stellen wegfallen werden, ist aber auch weiterhin unklar. „Es wird zu Kostensenkungen führen, weil wir viele Rollen herausnehmen werden, die Kunden keinen direkten Mehrwert bieten.“

Bayer, langjähriger Vorzeigekonzern im Dax, steckt in einer schweren strukturellen Krise. Die größten Baustellen: Binnen fünf Jahren hat Bayer 50 Prozent seines Börsenwerts verloren. Das Erbe der milliardenschweren Übernahme von Monsanto liegt wie ein Mühlstein um den Hals der Leverkusener. Hohe Schulden durch den Kauf des Glyphosat-Herstellers lasten auf dem Traditionsunternehmen. Zuletzt verlor Bayer zudem erneut Glyphosat-Gerichtsprozesse. Die Kosten für die Rechtsstreitigkeiten sind enorm. Zudem musste der Konzern jüngst das Ende für sein derzeit wichtigstes Pharma-Forschungsprojekt verkünden, das in der neuen Fabrik in Leverkusen produziert werden sollte. Der große Hoffnungsträger Asundexian sollte den Blutgerinnungshemmer und Milliarden-Blockbuster Xarelto ersetzen.

Der Umbruch soll nun helfen, Bayer aus der Krise zu manövrieren.

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