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So kommt Deutschland aus der Krise„Wir haben uns eingegraben, wir können uns auch wieder ausgraben“

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Markus Steilemann, CEO Covestro, und Katherina Reiche laufen durch den Showroom (l-r).

Unternehmerschaft, Industrie und Politik ringen um Wege aus der Krise. Markus Steilemann, CEO Covestro, und Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche bei ihrer Tour durch NRW im Sommer. 

Die Wirtschaft kommt nicht in Fahrt. Warum? Spitzenökonom Christoph Schmidt über Strukturprobleme, diskriminierende Energiepreise, den Rentenstreit und wie er Optimist bleibt - auch angesichts düsterer Zahlen. 

Der führende Wirtschaftsforscher Christoph Schmidt wirft einen konstruktiven Blick auf ein bewegtes Thema: Wie kommt Deutschland aus der Krise? Was ist eine generationengerechte Rente? Wie klappt die Wirtschaftswende klimasensibel? Der Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung war lange Wirtschaftsweiser und gilt als Verfechter einer evidenzbasierten Politikberatung, die auf der empirischen Forschung basiert. Am kommenden Montag hält er an der Uni Köln die Ludwig-Erhard-Lecture 2025 zum Thema „Welche Strukturreformen benötigt Deutschland, um im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu sein?“


Herr Professor Schmidt,  Sie arbeiten stark daten- und modellbasiert und sind täglich mit meist schlechten Nachrichten konfrontiert – schwächelndes BIP, Strukturkrisen, geopolitische Risiken. Woraus schöpfen Sie persönlich Zuversicht?

Christoph Schmidt: Auch Zahlenmenschen können optimistisch sein. Für mich sind Daten ein Weg, dieses Dickicht zu durchdringen, komplexe Zusammenhänge zu sortieren und besser zu verstehen. Und wenn man genauer hinschaut, merkt man oft: Die schlimmsten Szenarien treten seltener ein, als es die öffentliche Aufmerksamkeit vermuten lässt.

Grundsätzlich glaube ich daran, dass Menschen ihr Leben gestalten und verbessern können – trotz aller Risiken. Diese Grundhaltung bleibt durch nüchterne statistische Analysen unberührt. Im Gegenteil: Ein realistischer Blick kann beruhigen.

Wir sprechen ständig über Prognosen – Wachstum, Rezession, Stagnation. Sind Vorhersagen in dieser hohen Frequenz sinnvoll?

Ja, das sind sie. Unternehmen, jeder Haushalt – alle müssen Entscheidungen treffen, die langfristige Folgen haben: Investitionen, Immobilienkäufe, die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. Wirtschaftsforschung hilft dabei, indem sie Erwartungen einordnet. Menschen handeln ja immer im Vorgriff auf das, was sie für die Zukunft erwarten. Deshalb ist es wichtig, die vorhandenen Daten professionell auszuwerten und ehrlich zu sagen, was sie hergeben – und was eben wahrscheinlich auch nicht.

„Wachstum von null bedeutet, dass wir die Wirtschaftsleistung, in diesem Jahr wieder erarbeiten werden“

Wenn Sie am kommenden Montag an der Kölner Uni über dringende Strukturreformen in Deutschland sprechen, werden Sie da auch ein optimistisches Zukunftsnarrativ anbieten?

Aber sicher. Doch dazu gehört zunächst einmal die Anerkennung der Realität: Einerseits sitzen wir nach drei Jahren Stagnation wirtschaftlich in einem recht tiefen Loch. Andererseits bedeutet ein Wachstum von null, dass wir die Wirtschaftsleistung, die wir im vergangenen Jahr erarbeitet haben, in diesem Jahr wieder erarbeiten werden: 100 Prozent sind ja nicht nichts. Wir schauen aber typischerweise auf das Wachstum, also das, was noch darüber hinausgeht, weil Menschen durch ihre Kreativität stetig neue Ideen und Geschäftsmodelle, schlankere Verfahren oder neue Organisationsformen einbringen, was uns produktiver wirtschaften und materiellen Wohlstand steigern lässt. Wenn wir also über eine längere Zeit stagnieren, heißt das, dass hemmende Kräfte diesem positiven Antrieb entgegenwirken. Dann gilt es, den nüchternen Blick auf diese Defizite zu werfen, um Möglichkeiten zu finden, um uns aus dem Loch wieder herauszugraben.

Was gräbt Ihrer Meinung nach denn am besten?

Wichtig ist, dass der Staat sich als Ermöglicher versteht, nicht als Bremser. Zudem müssen wir insgesamt Leistung wieder stärker betonen und die Effizienz wirtschaftlichen Handelns in den Mittelpunkt rücken. Bei dem Leistungsaspekt hören wir aber in steter Wiederkehr, diese Forderung sei nicht einzelfallgerecht. Dabei haben wir doch ein hoch solidarisches Gemeinwesen. Der Bundeshaushalt gibt um die 40 Prozent in die soziale Sicherung. Trotzdem wird oft so getan, als sei Deutschland extrem unsolidarisch. Dadurch wird eine Wahrnehmung geschaffen, die eine andere Geschichte erzählt als die Wirklichkeit. Und das spaltet eine Gesellschaft. In der sozialen Marktwirtschaft geht es um beides: größtmöglichen Wohlstand schaffen und zugleich diejenigen unterstützen, die weniger abbekommen. Das funktioniert – und das sollten wir nicht schlechtreden.


Prof. Christoph Schmidt ist im Porträt zu sehen.

„Ein Nanny-Staat, wie wir ihn zunehmend haben, lähmt“, sagt Prof. Christoph Schmidt, Leiter des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen.

Zur Person: Prof. Dr. Dr. h. c. Christoph M. Schmidt ist Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Von 2009 bis 2020 war er Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, von März 2013 bis Februar 2020 dessen Vorsitzender. Seit Mai 2024 ist er Mitglied der von der Bundesregierung berufenen Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI).


An dieser Stelle kommen wir jetzt um die Rentendebatte nicht mehr herum. 22 Ökonomen haben sich gegen das Paket ausgesprochen, Sie waren nicht unter den Unterzeichnern.

Die Forderung dieser Fachkollegen ist auch aus meiner Sicht völlig richtig. Die eindeutigen Fakten liegen doch seit Jahrzehnten auf dem Tisch: Es gibt immer mehr Ältere und immer weniger Jüngere. Wir haben in der Sache nur drei Stellschrauben: höhere Beiträge, geringere Rentensteigerungen, längere Lebensarbeitszeit. Letztere einzubeziehen, wäre die fairste Lösung – moderat, mit langem Übergang. Wer 1990 geboren wurde, arbeitet nicht mehr körperlich so wie jemand aus dem Jahrgang 1940.

Bisher schaden sich die einzelnen Gruppen in der Debatte gegenseitig. Wie kommen wir Ihrer Einschätzung nach ans Ziel?

Der ganze Diskurs ist politisch emotionalisiert, einzelne Gruppen werden gegeneinander ausgespielt. Dabei können wir gemeinsam erfolgreich sein. Dafür müssen wir die Debatte aber rational führen. Dann würde man sagen: Naja gut, die Rentengenerationen der nächsten Jahrzehnte arbeiten ein halbes Jahr oder ein Jahr länger. Dafür bleibt aber das System erhalten. Das könnte man meiner Einschätzung nach allen abverlangen. Mit der Rente ab 67 hatten wir das auch – wer regt sich heute noch darüber auf?

„Reformen an vielen Stellen gleichzeitig, mit klarer Priorität auf Investitionen“

Die Regierung hat schon einiges für die Wirtschaft getan: Der Industriestrompreis soll kommen, Steuern für Unternehmen wurden gesenkt, es gibt eine Kraftwerksstrategie mit Gaskraftwerken, das Sondervermögen wurde beschlossen. Ist Ihnen die Koalition nicht mutig genug?

Einiges geht in die richtige Richtung: ältere Arbeitnehmer zu aktivieren, ein Digitalministerium einzuführen, Spitzentechnologie in den Blick zu nehmen, eine innovationspolitische Strategie aufzulegen. Was fehlt, ist ein konsistentes Gesamtpaket, ein strategischer Blick wie damals bei der Agenda 2010: Reformen an vielen Stellen gleichzeitig, mit klarer Priorität auf Investitionen, Innovation und effiziente Rahmenbedingungen. Stattdessen sehen wir: Gute Maßnahmen werden durch schlechte Entscheidungen – etwa in der Rentenpolitik, denken Sie an die völlig unsinnige Mütterrente – wieder aufgehoben.

Dann jetzt nochmal ganz konkret: Was sind die wichtigsten Maßnahmen der Strukturreform aus Ihrer Sicht?

Ich sehe zwei große Handlungsfelder. Einerseits müssen wir immer von der Frage ausgehen: Was macht es für Unternehmerinnen und Unternehmer attraktiv, bei uns zu investieren und nicht anderswo? Die Antworten liegen bei den Energiekosten, der Arbeitsverfügbarkeit kompetenter Erwerbstätiger und guter digitaler Infrastruktur. Vor allem muss das alles diskriminierungsfrei sein. Es darf nicht darum gehen, einzelnen Unternehmen Privilegien oder Subventionen zu geben. Niedrigere Energiekosten müssen für alle gelten, auch für kleine und mittelständische Unternehmen und für uns – Sie und mich. Dann sollte das Steuersystem so gestaltet sein, dass es einem möglich viel lässt von dem, was man erwirtschaftet. Und wir brauchen deutlich weniger Regulierungsdichte – dieser Regulierungswust ist ja vielleicht das Allerschlimmste.

Und das zweite Handlungsfeld?

Die Verwaltung arbeitet jetzt noch zu sehr in dem Mindset einer Hoheitlichkeit, etwas nach langer Prüfung gnädig zu gewähren. Ein Nanny-Staat, wie wir ihn zunehmend haben, lähmt. Ich spitze das jetzt natürlich etwas zu. Stattdessen müsste der Staat sich konsequent als Dienstleister verstehen, als Ermöglicher und Katalysator für wirtschaftliches Handeln. Also: schlanke Verfahren, pragmatische Standards und schnelle Entscheidungen.

„Der CO₂-Preis ist ein gutes Instrument“

Wie kann die Wirtschaftswende gelingen, ohne auf Kosten des Klimaschutzes zu gehen?

Der CO₂-Preis ist ein gutes Instrument. Ich bin nach wie vor dafür, den Emissionshandel auf alle Emittenten, alle Akteure, alle Technologien in Europa auszuweiten – mit einem einheitlichen Deckel und einem einheitlichen Preis. Klar, dabei entstehen Verteilungseffekte, wie bei jeder klimapolitischen Maßnahme. Die müsste man kompensieren, indem Preiseinnahmen wieder in die Bevölkerung zurückgegeben würden. Viele deutsche Sonderwege – Subventionen, nationale Verbote, Förderprogramme – bringen wenig fürs Klima, kosten aber viel. Der politisch festgelegte nationale Kohleausstieg zum Beispiel verändert europaweit gar nichts, weil die Zertifikate dann eben anderswo genutzt werden.

Die Uni Köln erhält Millionen für die Gateway Startup Factory, um die Entstehung innovativer Unternehmen zu fördern. Sie zeigen sich subventionskritisch. Ist das kein Widerspruch?

Nein. Dauersubventionen zur Erhaltung alter Strukturen sind von Übel. Aber die Finanzierung der Grundlagenforschung oder Anschubhilfen für Innovationen, die sich privat nicht finanzieren lassen, sind im Gegenteil sehr sinnvoll. Bei wettbewerblicher Vergabe erhalten nur gute Konzepte den Zuschlag. Und das zugehörige Patentsystem ist eine Hilfe, damit man Erfindungen dann ein paar Jahre allein vermarkten kann. Wichtig ist ein klares Ziel, ein definierter Zeitraum und die Perspektive, wann der Staat sich wieder zurückzieht.

Sie haben zu Beginn unseres Gesprächs von einem „Bekenntnis zu Leistung“ gesprochen. Wie erleben Sie junge Menschen an der Universität?

Mitunter sehr positiv. Es gibt viele junge Leute, die anpacken, gestalten und etwas bewegen wollen. Natürlich gibt es auch andere – das ist aber wohl keine Generationenfrage. Ich sehe große Leistungsbereitschaft und viel Talent. In guten Strukturen würde sich das noch stärker entfalten.