GastbeitragWarum uns die Soziale Marktwirtschaft nach der Pandemie retten kann

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Marktwirtschaft

Ludwig Erhard im Jahr 1958. Er gilt als Vater der sozialen Markt­wirt­schaft. 

  • Schwache Wachstumsdynamik, hohe Schulden, die Alterung der Bevölkerung und der Klimawandel stellen Wirtschaft und Gesellschaft spätestens nach Corona vor große Herausforderungen. Aber was ist die beste Strategie, diese Herausforderungen zu meistern?
  • Ein Gastbeitrag von Lars P. Feld, Peter Jungen und Ludger Schuknecht.

Köln – Deutschland hat sich bisher stets im zweiten Lager wiedergefunden, und das hat im Rest der Welt, besonders in Asien, viel Bewunderung und Nachahmung ausgelöst. Mit der Sozialen Marktwirtschaft haben wir unsere Herausforderungen vom Wiederaufbau bis zur globalen Finanzkrise besser gemeistert als die meisten anderen westlichen Länder.

Die Autoren

Lars P. Feld ist Professor für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Universität Freiburg, Direktor des Walter Eucken Instituts und war zehn Jahre Mitglied, zuletzt Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, genannt die Wirtschaftsweisen.

Peter Jungen, Peter Jungen Holding GmbH, Präsident (em.) des European Business Angels Network (EBAN) und Honorary Chairman des Center on Capitalism and Society der Columbia University.

Ludger Schuknecht war Chefökonom des Bundesfinanzministeriums unter  Wolfgang Schäuble  und stellvertretender OECD-Generalsekretär.

Besonders in China ist das Interesse groß. Zwei von uns (Feld und Jungen) haben deshalb gemeinsam mit der ehemaligen Generaldirektorin der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften Zhou Hong und dem früheren stellvertretenden Geschäftsführenden Direktor des Internationalen Währungsfonds Zhu Min das Buch „Die Soziale Marktwirtschaft: Ein Modell für Individuen, Markt, Gesellschaft und Staat“ auf Chinesisch herausgegeben.

Inzwischen scheinen wir jedoch selber die Grundlagen dieses Erfolges zu vergessen und bemühen die „Soziale Marktwirtschaft“ lieber als Etikett, statt auf die Prinzipien und Regeln zu setzen, die ihr eigen sind. Deshalb lohnt es sich, die Erinnerung an die Anfänge und die Lehren der Sozialen Marktwirtschaft wieder aufzufrischen.

Der Staat legt die Spielregeln fest

Die bekanntesten Protagonisten der Sozialen Marktwirtschaft waren Walter Eucken und Franz Böhm, die Gründer der Freiburger Schule, sowie der Nobelpreisträger Friedrich A. von Hayek. Für sie legt der Staat die Spielregeln fest und sorgt für die wichtigsten öffentlichen Güter in den Bereichen der Rechtsstaatlichkeit, Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Sicherheit. Das macht die Soziale Marktwirtschaft für den Normalbürger intuitiv verständlich: Jeder weiß, dass gute Regeln und Rahmenbedingungen für ein gutes Spiel sorgen; das gilt in der Wirtschaft ebenso wie im Sport.

Märkte sind unverzichtbar

Hierbei sind Märkte unverzichtbar, um die Produktion auf die Verbraucherwünsche abzustimmen, indem sie Informationen darüber hervorbringen, was knapp ist und was nicht. Die Preise haben eine Schlüsselfunktion; sie sind, wie Eucken es formulierte, ein „Knappheitsmesser“. Um jedoch ordnungsgemäß zu funktionieren, müssen Märkte vom Wettbewerb bestimmt sein, was den zusätzlichen Vorteil hat, Effizienz und Innovation zu steigern. Dazu helfen ein modernes Arbeits- und Wettbewerbsrecht, denn sie verhindern „Klüngelkapitalismus“ und Kartelle.

Damit ist die Soziale Marktwirtschaft darauf angelegt, „den grundlegenden menschlichen Instinkt zur Verbesserung des eigenen Lebens“ zu unterstützen, wie Erhard betonte. Der Grundsatz individueller Verantwortung stellt sicher, dass die Menschen die Früchte ihrer Erfolge ernten können, jedoch ohne die Haftung für ihre Fehlschläge auf andere abzuwälzen. Eine solche Wettbewerbsordnung bietet allen Chancen – nicht nur den Mächtigen. Schon damit ist sie sozial. Außerdem schafft sie den nötigen Wohlstand, um Sozialleistungen wie Renten, Grundsicherung und andere Programme zu finanzieren. Märkte müssen in starke und unterstützende soziale Institutionen eingebettet sein, um gut zu funktionieren und Übertreibungen zu vermeiden. Staatliche „ad hoc“-Eingriffe in die Wirtschaft sind dagegen problematisch, denn sie schaffen Fehlanreize und Privilegien, die häufig denen zugutekommen, die über gute Beziehungen verfügen. Sie sind deshalb meist unsozial.

Alles begann mit der D-Mark

Die große Stunde der Sozialen Marktwirtschaft kam nach dem Zweiten Weltkrieg als die D-Mark eingeführt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war unser Land bettelarm und verzweifelt. Es fehlte an allem. Interventionismus, staatliche Planung und Kontrolle überwogen.

Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU) entschied gegen viele Widerstände, das Kriegs- und Nachkriegssystem der Bewirtschaftung abzuschaffen und die Preise freizugeben. Schon bald waren die Auslagen der bundesdeutschen Geschäfte wieder mit Waren gefüllt, und der Schwarzmarkt wurde von der offiziellen Wirtschaft abgelöst. Das deutsche Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit war geboren. Viele weitere Maßnahmen in diesem Geist folgten – vom Wettbewerbsrecht bis zur unabhängigen Bundesbank. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich die Bundesrepublik zu einer der erfolgreichsten Volkswirtschaften Europas.

Die Soziale Marktwirtschaft dient seither als wirtschaftliches Leitbild des Landes. Offenheit, Innovation und wirtschaftliche Dynamik spielen dabei eine Schlüsselrolle. Statt kostspieliger und oft erfolgloser direkter Interventionen (wie sie mancherorts propagiert werden) ist die Rolle des Staates im Grundsatz auf die Finanzierung der Grundlagenforschung und angemessene Infrastruktur beschränkt, sodass Unternehmer und Erfinder ein stabiles Umfeld haben, in dem sie Wissen in Kapital umwandeln und neue, innovative Produkte auf den Markt bringen können. Tatsächlich hätte keine Regierung vorhersehen können, dass die von einem deutschen Start-up (Biontech) zur Krebsbekämpfung entwickelte und von risikobereitem privatem Kapital finanzierte mRNA-Technologie zum Einsatz kommen würde, um in Rekordzeit einen Impfstoff gegen Covid-19 zu entwickeln.

Einfluss auf die Europäische Union

Darüber hinaus hatte die Soziale Marktwirtschaft einen großen Einfluss auf die Europäische Union. Ihr Ansatz liegt den „vier Grundfreiheiten“, dem freien Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr sowie der Personenfreizügigkeit im Binnenmarkt zugrunde, ebenso wie der der unabhängigen Europäischen Zentralbank und dem Stabilitäts- und Wachstumspakt. Die Schuldenbremse erlaubte es Deutschland, seine Staatsverschuldung nach der globalen Finanzkrise so zu verringern, dass die fiskalpolitischen Herausforderungen der Pandemie zu bewältigen sind. Die Bepreisung von CO2 und der Handel mit Emissionszertifikaten sind ebenfalls die richtige ordnungspolitische Strategie, um den Klimawandel zu meistern.

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Die Soziale Marktwirtschaft und das ihr zugrunde liegende ordoliberale Denken der Freiburger Schule sind deshalb keine obskure deutsche Marotte, die ihre besten Zeiten hinter sich hat. Die Soziale Marktwirtschaft hat sich als zuverlässige Grundlage für eine erfolgreiche Wirtschaft und Gesellschaft erwiesen. Allen Unkenrufen zum Trotz bleibt sie ein geeigneter Kompass für die westlichen Volkswirtschaften, gerade in Krisenzeiten.

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